Freitag: War es glücklich, den Osten zur Chefsache zu machen?
Der Aufbau Ost ist Chefsache. Das hat der Bundeskanzler beispielsweise dadurch bewiesen, dass er auf Bitten der Ost-Ministerpräsidenten seine Bereitschaft erklärt hat, den Solidarpakt II noch in diesem Jahr zu verabschieden, und sich sehr konkreter Probleme des Ostens ja auch persönlich annimmt, beispielsweise des Wohnungsleerstands.
Immerhin: Wer etwas zur Chefsache macht, signalisiert, dass er sich nicht in diese Sache hineinreden lassen will. Und es hat nun einige Zeit gebraucht, bis die Bundesregierung hier Notwendigkeiten anerkannt hat.
Das sehe ich nicht so: Chefsache heißt, die Bundesregierung sieht es als ihre Aufgabe an, gezielt etwas für den Aufbau Ost zu bewegen. Und der Bundeskanzler zeigt
bewegen. Und der Bundeskanzler zeigt deswegen auch ein besonderes Interesse für unsere Probleme und hat sich dieser sehr konkret angenommen.Auch in der Diskussion um Sonderprogramme, die die Zeit bis zum Start des Solidarpaktes II überbrücken sollen. Da hat das Kanzleramt in der vergangenen Woche Berichte über konkrete Pläne sofort wieder dementiert.Bis zum Jahre 2005, wenn der Solidarpakt II einsetzt, ist es noch eine längere Wegstrecke, und wir brauchen für diese Zeit noch einmal einen kräftigen Impuls für die Weiterentwicklung im Osten. Aber wie der Kanzler halte ich nichts davon, dass hier schon über konkrete Summen geredet wird.Warum nicht?Man muss erst einmal analysieren: Wo sind die Engpässe? Wo muss man etwas tun, damit die im Prinzip durchaus positive Entwicklung in den neuen Bundesländern noch einmal neuen Schwung bekommt? Mit dieser Analyse sind wir derzeit beschäftigt, und da müssen sich auch die Praktiker erst einmal zurücknehmen. Es reicht nicht, einfach die bisherigen Programme mit mehr Geld auszustatten und zu denken, damit würde sich automatisch die Entwicklung im Osten beschleunigen.Aber ganz am Anfang der Analyse sind Sie ja nun auch nicht.Wir haben jetzt schon ein paar Punkte, die wir erkennen können: Das ist zum einen alles, was mit kommunaler Infrastruktur zusammenhängt: Nicht nur der Straßenbau oder die Verbesserung der Wohnungssituationen in den Städten, sondern auch die Schulen - der Bildungsbereich insgesamt - brauchen wesentlich mehr Unterstützung. Zum anderen: Die wirtschaftliche Entwicklung im Osten hängt wesentlich davon ab, dass hier mehr Innovation geschieht, Forschung betrieben wird und sich neue Unternehmen gründen. Auch hier lohnt es, neue Impulse zu setzen. Das InnoRegio-Programm ist sehr erfolgreich gewesen, auch für Sachsen-Anhalt. Es fortzusetzen, ist ein lohnendes Ziel.Können Sie sich denn wirklich Zeit für weitere Analysen lassen? Es gibt einen engen Zusammenhang mit den Länderfinanzausgleichsverhandlungen, die bis Mitte des Jahres beendet sein sollen, und dann steht schon der Wahlkampf bevor.Sicherlich: Wir müssen den Solidarpakt gut und solide verhandeln. Wir haben an dieser Stelle schon viel erreicht, seit wir im vergangenen Jahr die Gutachten vorgelegt haben, die die Infrastrukturlücke zwischen Ost und West mit 300 Milliarden und die notwendige Wirtschaftsförderung ab 2005 mit 100 Milliarden beziffern. Seitdem ist eigentlich nicht mehr umstritten, auch nicht in westlichen Bundesländern, dass wir den Solidarpakt II für die nächsten zehn Jahre nach 2004 brauchen. Was aber die Frage eines kräftigen Impulses bis dahin angeht, das spielt sich hauptsächlich zwischen dem Bund und den neuen Ländern ab. Und dafür haben wir noch ein paar Wochen Zeit, aber keine Jahre.Für eine Finanzierung dieser neuen Impulse wird inzwischen auch aus Reihen der SPD gefordert, Eichels Konsolidierungsprogramm zu beenden oder wenigstens in die Länge zu ziehen.Die Konsolidierung des Bundeshaushaltes ist eine Voraussetzung dafür, dass man längerfristig auch die Mittel für den Aufbau Ost sichern kann. Ich bin der Meinung, dass die Summen, die diskutiert werden, relativ moderat sind im Vergleich zur Umsetzung der Renten- oder Steuerreform, die Bund und Länder erheblich belasten. Wir haben schließlich auch im europäischen Kontext wegen der Maastricht-Kriterien keine andere Möglichkeit, als weiter Konsolidierung zu betreiben. Die Summen, die der Osten braucht, werden trotz der Haushaltssanierung in Bund und Ländern zur Verfügung stehen.Apropos europäischer Kontext: Nach 2006 werden auch die EU-Subventionen für die neuen Bundesländer zurückgehen. Auch das ist Anlass dafür, dass heute über die Ostförderung debattiert wird ...Zunächst: Auch wenn die EU-Programme formal nur noch bis 2006 laufen, können noch in den folgenden zwei Jahren entsprechende Summen ausgegeben werden. Über die Förderung danach wird derzeit beraten. Uns ist klar, dass wir dann nicht mehr soviel bekommen werden wie in dieser Förderperiode, denn auch den Beitrittsländern muss geholfen werden, ihren Start in die Europäische Union vernünftig zu gestalten. Wir gehen allerdings davon aus, dass die Förderung auch nicht auf Null gehen wird. Wie viel die Bundesregierung noch als Ausgleich für die fehlenden Förderprogramme der EU zahlen kann, wird wesentlich davon abhängen, wie hoch die Beiträge Deutschlands für den europäischen Haushalt sein werden. Sollte nach 2006 der EU-Förderhaushalt insgesamt kleiner werden, hoffen wir, dass sich dann der Bundesregierung die Chance bietet, nicht mehr so viel Geld über die EU, sondern direkt in die neuen Länder zu geben.Zum Abschluss: Die PDS hat einen neuen Programmentwurf veröffentlicht. Beweist sie damit mehr Koalitionsfähigkeit, auch in Sachsen-Anhalt?Der Richtungsstreit in der PDS ist in vollem Gange, das hat man nicht nur an der Programmdiskussion gemerkt, sondern auch an parteiinternen Reaktionen auf die Entschuldigung für die Zwangsvereinigung von KPD und SPD. Ich habe immer damit gerechnet, dass diese Diskussionen in der PDS noch lange andauern werden. Es gibt aber keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der Frage von Koalitionen, weil sich die PDS bei uns in Sachsen-Anhalt landespolitisch sehr pragmatisch darstellt. Die Entscheidungen, die hier mitgetragen werden, hängen nicht sehr von den derzeitigen Grundsatzdiskussionen innerhalb der PDS ab. Einen positiven oder negativen Einfluss auf die Frage von Koalitionen kann ich deshalb nicht sehen.Das Gespräch führte Jörn Kabisch