GÜNTER GAUS: Im Herbst 1989 waren Sie Mitbegründer der Grünen Liga in der DDR, Sie saßen mit am Zentralen Runden Tisch und wurden Anfang 1990 Minister ohne Geschäftsbereich in der Übergangsregierung von Hans Modrow, heute Ehrenvorsitzender der PDS. Haben Sie Berührungsängste mit der PDS?
MATTHIAS PLATZECK: Ich habe keine Berührungsängste mit Hans Modrow. Ich schätze bis heute sein Engagement in den Monaten seiner Regierungszeit, die allen Widerreden zum Trotz - so glaube ich - unter der Überschrift stand, einen möglichst gewaltfreien Übergang in der DDR zu gewährleisten, was damals überhaupt nicht selbstverständlich und so zu erwarten war. Ich habe allerdings ein Problem mit Teilen der PDS, was deren Umgang mit Staatsgeld und dem Haushalt angeht - ich habe ein Problem mit dieser Mentalität, wonach man Geld beschließen kann. Dies zeigt sich immer wieder, wenn man mit Verantwortlichen der PDS spricht. Eine gefährliche Denkweise, durch die letztlich auch die DDR vor die Wand gefahren wurde.
Sie haben einmal den Finanz-Zustand Potsdams, als Sie Oberbürgermeister * wurden, mit dem ruinösen Zustand der DDR in den letzten Jahren ihrer Existenz verglichen. Hat sich das schon geändert unter Ihrer Stabführung?
Wir haben versucht, erste Weichen zu stellen hin zu einer Änderung, aber bei dem hohen Verschuldungsgrad wird man mindestens fünf bis sechs Jahre brauchen, um die Stadt wieder richtig zum Tickern zu bringen.
Ziehen Sie - ganz tief in Ihrem Herzen - die Einrichtung Runder Tisch dem Parteiensystem vor?
Mein Herz hängt daran - der Runde Tisch passt aber nicht in die Abläufe, wie sie nun einmal in dieser Gesellschaft sind.
Sie haben 1992, als Sie schon brandenburgischer Umweltminister im Kabinett Stolpe waren, den Zusammenschluss von Bündnis 90 mit den westdeutschen Grünen nicht mitgemacht. Warum nicht?
Mir waren sie zu westlich. Wir sind 89/90 mit der Grünen Liga aus einer anderen Ecke gekommen, wir waren viel pragmatischer, und wir hatten auch andere Sorgen, denn was sich im Osten mit Umweltschutz verband, konnte man riechen, schmecken und spüren. Ich halte das aus heutiger Sicht für politisch nicht sehr klug, was ich damals gedacht und getan habe, doch empfand ich bei den West-Grünen vieles als zu abgehoben, was an Diskussionen stattfand - und was machttechnisch sowie zwischenmenschlich lief. Dies war zu weit von meinem Erfahrungshorizont entfernt.
Wenn Sie heute sagen, Ihre Position damals war ein Fehler, heißt das dann, Sie haben sich dieser West-Art oder diesen West-Spielchen inzwischen notgedrungen angepasst?
Teilweise ist das mit Sicherheit der Fall. Was ich im nachhinein als wirklichen Mangel empfinde, dass wir uns seinerzeit zu wenig Mühe gaben, als Bündnis 90 geschlossener in die Vereinigung mit den West-Grünen zu gehen, um da auch mehr Stimme zu haben.
Nach der Trennung von den Grünen haben Sie lange gezögert, bis Sie 1995 der SPD beigetreten sind - weshalb?
Weil ich mir nicht sicher war.
Mit der SPD?
Ich wusste nicht, ob das für mich der richtige Schritt ist. Ich wollte da etwas wachsen lassen und mich immer wieder befragen, ich wollte auf keinen Fall den Schritt vor der Wahl 1994 tun, um nicht in den Ruf zu kommen, der tritt jetzt in die SPD ein, damit ihn Stolpe wieder ins Kabinett holen kann. Rückblickend muss ich sagen: es war für mich ein richtiger Entschluss, dann doch in die SPD zu gehen - ich fühle mich dort gut.
Hat sich die Partei im Osten, seit Sie dort eingetreten sind, aus Ihrer Sicht verändert?
Ich habe den Eindruck, wir sind ein bisschen zuviel mit dem Tagesgeschäft befasst. Wenn ich das auf Brandenburg beziehe, dann gibt es dort etwa 7.000 Mitglieder und Verantwortung in fast allen Gemeinden, Städten und in der Regierung, da ist das kein Wunder. Doch es gibt zuviel Pragmatismus und zu wenig Blick in die Zukunft, zu wenig Programm, was beispielsweise mit dem Osten werden soll.
Sind Sie in der SPD-Grundwertekommission?
Nein.
Wenn Sie Mitglied wären, welche Grundwerte würden bei Ihnen ganz oben stehen?
Einer der Grundwerte ist für mich auf jeden Fall Chancengleichheit, und zwar wirkliche Chancengleichheit. Ein zweiter wäre Ehrlichkeit: Ich möchte gern, dass wir mit den Bürgern in diesem Lande, für die ein Politiker ja zu arbeiten hat, aufrichtig umgehen, und ich lasse mich auch nicht davon abhalten, wenn mir gesagt wird, das ist ein schöner Vorsatz, nur damit wirst du nie gewählt. Die Kraft zur Ehrlichkeit sollte man haben - es zahlt sich irgendwann aus.
Denken Sie, dass die DDR-Menschen sich stärker angepasst haben, als die Westdeutschen sich anpassen?
Bis 1990 war ich mir da ganz sicher - jetzt bin ich nicht mehr so ganz sicher.
Sie haben in der DDR Ihren Militärdienst geleistet, gelten heute aber als Pazifist. Sind Sie ein Pazifist?
Bin 1991 dachte ich das, aber ich war dann zweimal im damaligen Jugoslawien, unter anderem in Slowenien - und da ist einiges ins Wanken gekommen.
* Matthias Platzeck war 1998 bis 2002 Oberbürgermeister von Potsdam
Aus der Interviewreihe Zur Person, ausgestrahlt im Oktober 1999.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.