Wir können uns keine irrationale Politik leisten

USA, Irak und Rot-Grün Der CDU-Politiker Willy Wimmer über eine Bundesregierung, die im Irak-Konflikt am Spielfeldrand randaliert, statt einer durchdachten Diplomatie zu folgen

Willy Wimmer ...


... ist seit 1976 Mitglied des Bundestages. Er war von 1988 bis 1992 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, danach von 1994 bis 2000 Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE. Derzeit ist er Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und stellvertretender Leiter der Bundestagsdelegation bei der Parlamentarischen Versammlung der OSZE. Wimmer gilt als ausgewiesener Spezialist für Fragen der internationalen Sicherheit sowie für die Region Ostasien und Südostasien. Von 1986 bis 2000 war er zugleich Vorsitzender des Bezirksverbandes Niederrhein der CDU Nordrhein-Westfalen.

FREITAG: Was halten Sie von Friedensaktivisten aus den USA und Europa, die zur Zeit nach Bagdad reisen, um gegenüber den Irakern ihre Solidarität und Ablehnung eines Krieg auszudrücken?
WILLY WIMMER: Ich bin ja normalerweise der Auffassung, dass Reisen bildet. Aber man muss im Augenblick sehr darauf achten, dass die Dinge auf des Messers Schneide laufen. Da kann man selbst bei ehrenwertem Ansinnen schnell in die falsche Ecke gepackt werden. Und dann dient man weder dem Anliegen noch eigener Reputation. Ich stehe dem eher ablehnend gegenüber.

Aber man hat als besorgter Bürger den Eindruck, alles, was noch helfen könnte, wäre ein Aufbruch der Weltmeinung, die sagt: so geht es nicht!
Was Sie meinen, ist ja in diesen Tagen durchaus deutlich formuliert worden. UN-Generalsekretär Kofi Annan hat zum Jahreswechsel die Sorgen, die in weiten Teilen der Welt herrschen, sehr gut artikuliert, indem er auf die Kernauseinandersetzungen aufmerksam gemacht hat. Wir haben ja im Moment - gerade ist der Begriff Kakophonie en vogue - eine Situation, dass wir wie bei einem Feuerwerk alle Belange irgendwo am Horizont aufscheinen sehen, aber die eigentliche Kernfrage, um die es geht, in den Hintergrund gedrängt wird: Dieses Land und dieser Herrscher dürfen keine Massenvernichtungswaffen in Händen halten, und deshalb müssen die Vereinten Nationen eingreifen.

Was wäre demnach zu tun?
Die Staaten müssen zu einem geregelten Verfahren in einer schwierigen internationalen Frage zurückfinden. Wir haben doch den bemerkenswerten Umstand, dass bei einem ernsten regionalen - vielleicht globalen - Konflikt die Vereinten Nationen eine Rolle spielen könnten, die sie beim Jugoslawien-Krieg 1999 nicht spielen durften. Auch in der Bush-Regierung war es ja umstritten, ob man sich an den UN-Sicherheitsrat wenden sollte oder nicht. Aber das ist geschehen - von daher kann es aus meiner Sicht jetzt nur darum gehen, dass vor allem die fünf ständigen Mitglieder einen Weg finden, die UNO in der Rolle zu re-etablieren, die sie seit 1945 gehabt hat, da wir sonst in eine Zeit zurückfallen, die an das Mittelalter erinnern dürfte. Das genau ist der Punkt, an dem ich die größten Probleme mit der Bundesregierung habe.

Weil Schröder und Fischer nicht genug dafür tun?
Lassen wir in dieser Frage doch einmal den ganzen Wahlkampf beiseite. Hätte die Regierung wirklich auf die Menschen im Lande gehört, müsste sie doch ein Interesse daran haben, möglichst schnell zu einer internationalen Rechtsordnung zurückzukehren, die aus Sicht vieler - auch aus meiner - im Jugoslawienkrieg verletzt worden ist. Das hätte aber seitens der Bundesregierung eine wesentlich positivere Einstellung gegenüber den europäischen Nachbarn, dem Sicherheitsrat und der UNO insgesamt bedingt. Dadurch, dass sie eine Haltung bezogen hat, mit der die Rolle der UNO weiter in Abrede gestellt wird, hat sie nach meiner Auffassung etwas Verheerendes getan.

Die Regierung behauptet, das Gegenteil zu tun ...
Eben nicht! Sie brauchen sich nur anzuhören, was jetzt im hessischen Wahlkampf wieder gesagt worden ist: Egal, was die Vereinten Nationen machen - wir sind draußen. Wir sehen doch, wie sich eine Frage immer mehr herauskristallisiert: Bedarf es eines weiteren Beschlusses des Sicherheitsrates? Wie ist da die Lage? Frankreich nimmt sich dieser Frage so an, wie sie im Kern von allen gerecht denkenden Menschen auf dieser Erde gesehen wird: Es darf keinen Automatismus geben zwischen der Resolution 1441 über die Inspektionen und einem möglichen Kriegseinsatz. Die Lage, wie sie sich aus den Berichten der Inspektoren ergibt, muss im Sicherheitsrat diskutiert werden. Da sollte es doch Aufgabe der Bundesregierung sein, alles zu tun, damit im Sicherheitsrat eine Mehrheit für die Franzosen zustande kommt, stattdessen hat sie sich im Sommer völlig heraus genommen und seither praktisch neben das Spielfeld gestellt. Jetzt randaliert sie am Spielfeldrand, und alle fragen sich, was die Deutschen da wollen.

Welches Motiv gibt es dafür aus Ihrer Sicht? Das lässt sich doch nicht mehr allein mit dem Wahlkampf erklären.
Ich kann diese Frage nicht beantworten, ich weiß nur, dass sich nicht nur die Menschen im eigenen Land, sondern auch im Ausland fragen, wie diese offenkundig irrationale Haltung zu erklären ist. Nur können wir uns als Bundesrepublik Deutschland keine irrationale Politik leisten. Im Moment ist alles, was für uns wichtig ist, auf die Frage nach der Glaubwürdigkeit von Schröder und Fischer reduziert - das ist für unser Land zu wenig.

Im Frühjahr 1999 haben Sie während der Luftangriffe auf Jugoslawien beklagt, dass damit Normen der internationalen Beziehungen verletzt worden seien und das Völkerrecht weiter an Wert verloren habe. Hat sich dieser Prozesse seither eher noch beschleunigt?
Die Leute beklagen heute - gerichtet an die Adresse von George Bush - genau das, was uns Clinton, Albright und Holbrooke eingebrockt haben, indem sie internationales Recht missachteten. Bush ist wenigstens zu den Vereinten Nationen gegangen. Das Interesse der deutschen Politik sollte daher darauf gerichtet sein, ihn im Regelwerk der UNO zu halten, damit wir nicht in unberechenbare Entwicklungen abgleiten. Allerdings - das will ich nicht verhehlen - besteht aus meiner Sicht die Gefahr, dass es den Inspektoren im Irak nicht anders ergeht als den OSZE-Beobachtern im Herbst 1998 im Kosovo - das heißt, sie sind nur Fassade und die Vorstufe für ganz andere Dinge. Wir haben beim Jugoslawienkrieg gesehen, dass die Vereinigten Staaten diesen Krieg ausgenutzt haben, um eine veränderte NATO-Strategie zu bekommen. Der berühmte NATO-Gipfel von Washington im April 1999 hätte eigentlich mit einem zu diesem Zeitpunkt schon siegreichen Jugoslawienkrieg im Rücken eine neue Strategie der Allianz absegnen sollen. Eine Strategie, die sich auf eine veränderte Position des Bündnisses zu Konflikten dieser Art gründete. Wenige Jahre vorher hatte NATO-Oberbefehlshaber Galvin noch in Belgrad erklärt, die Konflikte auf dem Balkan lägen nicht im Geltungsbereich des NATO-Vertrages. Jetzt muss man Sorge haben, dass die Vorstellungen der Amerikaner über einen Präventivkrieg im Konflikt mit dem Irak eine ähnliche Funktion haben wie 1999 der Jugoslawienkrieg für eine veränderte NATO-Strategie.

Was wäre, wenn es einen Mehrheitsbeschluss im Sicherheitsrat - also unter Wahrung des Rechtsrahmens der UNO - gäbe, der eine auf Präventivschläge fixierte Strategie durch ein Ja zu einem Irak-Irak absegnet?
Das ist vielleicht die schwierigste Frage überhaupt. Das Ganze läuft auf die Frage hinaus, wie lange wird das Regelwerk der UNO dem Geist und dem Buchstaben nach so erfüllt, wie es dem Sinn dieses Regelwerkes entspricht. Das bedeutet, es könnte sein, dass ständige Mitglieder des Sicherheitsrates in klarer Erkenntnis des von Ihnen angesprochenen Problems trotzdem zustimmen - ich meine damit die Russische Föderation, China oder auch Frankreich.

Das Frage ist dann: Wer hat wem den Arm hinterm Rücken umgedreht?
Ja, denn die Szenarien liegen auf der Hand. Ich tue keinem Unrecht, wenn ich sage, Frankreich könnte darüber nachdenken, ob es die politische Schwäche Deutschlands dazu nutzt, sich in eine Führungsrolle in Europa zu bringen. Als jemand, der zum Geltungsbereich des rheinischen Kapitalismus gehört und sich dort auch gern aufhält, kann ich nur sagen, ich hätte nichts dagegen, wenn sich die Französische Republik als wesentliche Kraft Kerneuropas zu profilieren sucht, solange Deutschland eine eher klägliche Rolle spielt. Ich mache aber auch kein Hehl daraus, dass mir eine Situation wie zu Zeiten des Kanzlers Kohl lieber war, als es ein entsprechendes deutsches Gewicht gab.

Was ist mit Russland?
Da sieht man die Daumenschrauben sehr deutlich - auf der einen Seite Tschetschenien, auf der anderen die Abhängigkeit von einem stabilen Ölpreis. Wir haben dieser Tage vom amerikanischen Botschafter in Moskau gehört, man könne sich sehr wohl vorstellen, dass Russland für Öllieferungen aus dem Persischen Golf nach Nordamerika einspringt. Und bei der Volksrepublik China kann man sich ausrechnen, dass die USA in der Taiwan-Frage mit den Dingen so spielen, wie es ihren Interessen entspricht. Es kann ja sein, dass ich das falsch interpretiere, aber was derzeit mit Nordkorea passiert, hat letztlich etwas damit zu, ob es den Amerikanern gelingt, auf der asiatischen Seite des eurasischen Kontinents den Fuß so in die Türe zu bekommen, wie ihnen das in Westeuropa gelungen ist. Ich kann mich noch gut an das erinnern, was mir Gesprächspartner, die es wissen müssen, schon vor etlichen Jahren gesagt haben, es gäbe amerikanische Überlegungen, der Volksrepublik China Taiwan zurückzugeben, fände sich Peking im Gegenzug bereit, einem Sicherheitssystem auf der nördlichen Hemisphäre beizutreten, das unter Führung der USA steht. Nur die Deutschen sind immer der Auffassung, es geht um hehre Grundsätze. Die anderen wissen, was Handelsware ist.

Gehen wir einmal davon aus, es kommt zum Krieg. Haben Sie den Eindruck, die Amerikaner wissen, was danach passieren soll?
Man bekommt auf diese Frage in der Regel keine Antwort, weil das zu den streng gehüteten Geheimnissen in Washington zählt. Ich will nur an das erinnern, was Henry Kissinger zum Völkerrecht gesagt hat - wozu es führt, wenn man über Präventivkriege nachdenkt. Er sagt, damit gehe man in die Zeit vor dem Westfälischen Frieden zurück. Das heißt, wir vergessen und verraten unsere Zivilisation, wenn wir auf diesem Feld einsteigen. Und wer uns zu solchen Fragen zwingt, dem - so meine starke Sorge - ist die Exit-Strategie zunächst einmal gleichgültig.

Das würden Sie tatsächlich so formulieren?
Ich sollte vielleicht das "gleichgültig" relativieren, aber ich muss doch die Grundfragen aufwerfen. Ich muss doch aus Sicht eines europäischen Landes auch fragen: Wie sieht denn die ganze Region aus? Da fällt mir Afghanistan ein, wo jetzt eine gesteigerte Zahl deutscher Soldaten engagiert ist. Da fällt mir Tschetschenien ein, da fällt mir Kaschmir ein, da fällt mir der Persische Golf ein, da fallen mir Israel und Palästina ein. Und wenn ich das alles bedenke und mir vorstelle, wozu ein Krieg führen kann, habe ich das Gefühl: Eigentlich dürften wir keine Nacht mehr ruhig schlafen. Da ist das mit dem Exit eine verdammt schwierige Frage. Ich sage ausdrücklich, es gibt zwei, die damit zu tun haben. Saddam Hussein und die Amerikaner, die sagen: wir kriegen den nur mit militärischen Mitteln weg. Wer die Welt vor solche Konsequenzen stellt - bei dem bin ich skeptisch, dass er wirklich die Frage nach dem Exit bis zu Ende durchdacht hat und beantworten will und kann.

Sie sagen, Bush habe trotz allem den Weg über die UNO gesucht. Aber ist es nicht eher so, dass er die UNO nur als Instrument amerikanischer Politik austestet und den Weg über den Sicherheitsrat bestenfalls als Umweg betrachtet ?
Diese Frage muss man sich natürlich immer wieder stellen - sie wird auch irgendwo eine Antwort finden, die außerhalb von Berlin gegeben wird. Es handelt sich um eine spannende Frage an die Mächtigen in Washington. Nur, wer sich wieder auf den Weg über die UNO begibt, der hat möglicherweise auch daran gedacht, dass er in dieser sehr unsicheren Welt nicht allein herumstehen will. Und wir in Europa haben doch die enge Bindung an die USA auch deshalb akzeptiert, weil wir meinten, wir ziehen damit nicht nur die Konsequenzen aus zwei Weltkriegen. Wir sahen die Vereinigten Staaten in ihrer Position gegenüber Europa und sagten: Wir sind eine Wertegemeinschaft. Sonst könnte man doch vieles, was zwischen Westeuropa und Nordamerika geschieht, nicht erklären. Was nun aber in den vergangenen Jahren passiert ist und jetzt in die Doktrin von Präventivschlägen mündet, berührt genau genommen die Frage, ob man in einer Wertegemeinschaft eingeschlafen ist und in einem Camp aufwacht.

Das Gespräch führten Hans Thie und Lutz Herden

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