Ach ja, sicher ist schön. Das dachte ich, als ich mich vor der Wahl über so ein inhaltsleeres CSU-Wahlkampfplakat aufregte, das den Bürgern Sicherheit versprach – ein überheblich grinsender Seehofer und keinerlei Thema, nur ein vages Gefühl, das in den Menschen geweckt werden soll, mit einem Lächeln gelöst.
Wir denken, wir sind sicher, hier mitten im zivilisierten und demokratischen Europa, wo sich die Wirbelsturm-Gefahr in Grenzen hält, und manchmal denken wir, wir sind es nicht, aber wir können nicht genau sagen, warum, vielleicht wegen all der Dinge, die wir in den Nachrichten sehen, und nicht immer merken wir es, wenn dieses nebulöse, verunsichernde Gefühl missbraucht wird für etwas, das fälschlicherweise politischer Inhalt genannt wird. Ich fühle mich sicher, weil ich in einem Land lebe, in dem ich als Autorin schreiben kann, was ich will – auch jetzt in diesem Moment: Ich kann die CSU nicht leiden –, ohne zu befürchten, verhaftet zu werden bzw. plötzlich zu verschwinden. Wir leisten es uns, über Syrien zu lesen oder die Türkei, Ungarn und Polen, die sich nicht an Urteile des EuGH halten, zu diskutieren und den Kopf über die Bilder in der Tagesschau zu schütteln, um dann erst einmal einen Kaffee zu trinken, weil: Wir sind hier. Und nicht dort, wo Menschen unterdrückt oder getötet werden.
Ach ja, sicher ist schön.
Einmal, im Urlaub, war ich an einem Strand, an dem an jenem Tag sonst keiner war, es war schön leer und windig, das Meer tobte vor sich hin, schäumte verspielt und ein wenig gefährlich. Wir gingen trotzdem ins Wasser, nicht um zu schwimmen, sondern um in den tobenden Wellen zu hüpfen wie Kinder, wir jauchzten, es ging uns so gut, es war in einer erdbebengefährdeten Region, in der es kein Erdbeben geben würde, da waren wir uns sicher, nicht, solange wir dort unseren Urlaub verbrachten. Es gab auch keins. Aber plötzlich, scheinbar innerhalb von Millisekunden, waren wir von den tobenden Wellen hinaus aufs weite Meer getragen worden, viel zu weit hinaus, auch für einen ruhigen Tag, es war aber kein ruhiger Tag. Im Meer waren wir und sonst keiner, ich schluckte Wasser, ich kam nicht mehr hoch, bei jeder noch so anstrengenden Schwimmbewegung Richtung Strand machte sich das Meer lustig über mich, indem es mich mehrere Meter zurückwarf. Und ich war mir in diesen Minuten sicher, absolut sicher, dass die Natur stärker sei als ich, ich war mir sicher, dass dies mein letzter Tag war.
Später, nachdem wir uns irgendwie, ich weiß nicht mehr, wie, zurückgekämpft hatten, lag ich am Strand, schnappte nach Luft und war dankbar und fühlte mich so unsicher wie noch nie. Mir machten die Gewitterwolken Angst, weil sie die Natur darstellten, das Meer sowieso, das Autofahren und der Rückflug noch dazu, weil Autos und Flugzeuge von Menschen gebaut und gelenkt werden.
Es dauerte drei, vier Tage, bis die Angst zu einer Urlaubsgeschichte verkommen war. Wir lieben die Sicherheit, in der wir uns wiegen, die wir genießen, aus der wir die Welt und die Unsicherheit abseits unseres Paradieses betrachten, wir sagen Sätze, die beginnen mit „Ich möchte sicher sein, dass ...“, wir vergessen und verdrängen, dass es Sicherheit als solche nicht gibt. Mit diesem Gefühl spielen manche, rege ich mich auf und lenke meinen Blick wieder vom Wahlplakat auf die Straße und stelle das Autoradio an. In London, so höre ich, gab es in der U-Bahn eine Explosion.
Ach ja, sicher wäre schön.
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