Berlins Erzbischof Heiner Koch nimmt an einer Jugend-Messe in Schöneberg teil, die irgendwie unkatholisch wirkt. Es wird viel gesungen, der Prediger spricht fast inmitten der ersten Sitzreihen. Danach brechen die jungen Christen zum Spaziergang in den Schwulenkiez auf. Und Koch spricht mit dem Freitag über Kapitalismus.
der Freitag: Herr Erzbischof, kann man Ostern feiern, wenn die Welt voller Gräuel ist – wie gerade beim Anschlag auf koptische Christen?
Heiner Koch: Ostern beruhigt zu feiern, das geht nie. Zu Ostern gehört das Kreuz am Karfreitag und das Grab am Karsamstag dazu: Alles ist aus, Christus ist hinabgestiegen „in das Reich des Todes“. Aber auch im Dunkeln, im Leid, in der Trauer und der Verzweiflung, ganz unten, auch da ist Gott. Auch die Gottferne gehört wesentlich dazu, wenn wir Ostern feiern wollen.
Und passt zu Krieg und politischer Verwirrung.
Ostern ist auch Aufbruch und Neuanfang, die starke Wirklichkeit der Wiederauferstehung. Obwohl alles dagegen spricht, dass es mit Jesus weitergehen könnte. Weder die Jünger noch Freunde glauben daran. Das Grab des Gekreuzigten ist zu, es gibt keine Perspektive, aus, vorbei. In dieser Situation, wo man nicht mehr weiter weiß, genau da beginnt die Auferstehung. Ostern ist nicht das Symbol der menschlichen Macht – „wir können alles gestalten, verändern, in Bewegung bringen“ –, Ostern sind die Tage der Macht Gottes.
Welche politische Entwicklung macht Ihnen Hoffnung?
Dass viele Menschen sich mit dem Elend dieser Welt nicht abfinden, sondern Initiative ergreifen, gibt mir Hoffnung. Das fängt bei dem Engagement für Flüchtlinge an. Ich habe so viel Initiative und so viel hoffnungsvolles Engagement gefunden. Hoffnungen machen mir auch die Demonstrationen für Europa.
Zur Person
Heiner Koch begann als Mitglied der katholischen Jugend und Ministrant. Er war zuletzt Bischof in Dresden und ist seit 2015 Erzbischof. Koch leitet die Kommission für Ehe und Familie der Bischofskonferenz
Foto: Photo Agency/Imago
Ein paar tausend Leute.
Das ist vielleicht ein kleines Zeichen, aber ich finde es wirkungsvoll. Ich war selbst am Gendarmenmarkt. Die Zeiten sind, glaube ich, vorbei, dass die Bevölkerung nur noch zur Kenntnis nimmt. Die Menschen regen sich auf und wollen nicht mehr einfach so weitermachen. Ich merke, dass die Leute politischer, engagierter werden. Das ist natürlich von mir auch als Hoffnung formuliert.
Sollte die Kirche insgesamt mehr Position beziehen – zu den Ursachen von Konflikten, Kriegen und Hunger?
Wir haben sehr viel Position bezogen, in Flüchtlingsfragen zum Beispiel oder wenn es um die Wirtschaft geht. Manchen ist das schon zu viel. Wir haben als Christen eine Grundmotivation: Diese Welt ist unsere Aufgabe, Geschichte wird von uns auch mitgeschrieben. Engagiert euch! Ich verfolge daher mit großem Bedauern, dass sich in den letzten Jahren zu wenige aus ihrer christlichen Überzeugung direkt in der Politik engagieren. Als ich Jugendlicher war, sind noch viele aus meinem Freundeskreis in die Politik gegangen.
Ist auch Ihnen das weltliche Engagement zu viel?
Nein, mir ist das nicht zu viel. Ich versuche nur, mein Amt nicht zu instrumentalisieren. Wenn ich mit engagierten Christen und Katholiken diskutiere, dann bringe ich meine persönliche Meinung ein. Ich trenne das aber von meinem Amt, ich sage das nicht als Bischof von der Kanzel herab.
Vielleicht mischt sich die Kirche schon zu viel ein?
Als Kirche sind wir eine politische Größe. Das ist so. Wir sind eine große Gruppe, und die Gesellschaft und das politische Leben sind uns eine Herzensangelegenheit.
Ist die katholische Kirche dazu da, die Welt zu verbessern – oder die Kirche als Gemeinde Gläubiger zusammenzuhalten?
Beides, das sind zwei Seiten einer Medaille. Einerseits Menschen im Glauben zu stärken, zu motivieren, auf den Weg zu bringen und Heimat zu geben. Diese Botschaft des Glaubens, die wir versuchen, auch in dieser Stadt wachzuhalten, wo sie so wenig selbstverständlich geworden ist, hat aber andererseits auch gesellschaftliche Auswirkungen. Mir ist das wichtig. Weil ich uns nicht auf dem Weg ins Dunkle sehe, weil ich glaube, dass die Geschichte eine Perspektive hat, die ins Gute geht.
Der Papst ist sehr im Weltlichen. In dem berühmten „Zeit“-Interview verhält er sich dem Vatikan gegenüber geradezu despektierlich.
Kirche ist nicht nur die heilige Kirche, sondern auch eine weltliche Organisation. Wir müssen also aufpassen, was wir heiligsprechen – und was wir verändern müssen, weil es irdisch ist. Aber Sie sollten nicht daran zweifeln, dass dieser Papst einen tiefen Glauben besitzt. Die Perspektive einer kirchlichen Erneuerung ist ihm ein wirkliches Herzens- und Glaubensanliegen.
Ach ja, kümmert er sich genug um die Kirche?
Aber sicher. Im Gegenteil, es regen sich manche darüber auf, dass er so sehr an Kirchenfragen interessiert ist und zu viel auf den Prüfstand stellt.
Herr Koch, was bedeutet für Sie Kapitalismus?
Die Herrschaft des Geldes über den Menschen, die Herrschaft der finanziellen Strukturen über den Menschen. Das können wir als Christen überhaupt nicht zulassen. Vor allem wenn ich Kapitalismus als einen Gegenpol zu Solidarität verstehe.
Kirche ist kapitalismuskritisch?
Unbedingt, ja. Alles mit „-mus“ ist gefährlich. Kapital ist ein hoher Wert, Kapital ist lebensnotwendig, wirtschaftsnotwendig. Wir wissen aus Entwicklungsländern, wohin das führt, wenn kein Kapital da ist. Aber die Dominanz des Geldes über den Menschen und die Arbeit, das kann nicht unser Anliegen sein.
Der Papst sagt: „Diese Wirtschaft tötet.“
Der Heilige Vater hat diesen Satz insbesondere auf sein Heimatland, Latein- und Südamerika bezogen. Zu Recht! Die Wirtschaft hat dort eine ungeheure Macht. Korruption und Ausbeutung der Natur schienen immer wieder außer Kontrolle zu geraten, die Schere zwischen Arm und Reich zu Lasten der Armen immer weiter auseinanderzugehen. Seine Aussagen sind von dieser leidvollen Erfahrung geprägt.
Auch hier driften die sozialen Lagen auseinander, Herr Koch.
Wenn auch sicherlich schwächer, droht auch bei uns eine Entwicklung, dass die Reichen immer reicher und die Armen ärmer werden. Gleichzeitig haben wir funktionierende Korrektive: eine öffentliche Debatte, die Medien und Gesetzgebung auf der Basis einer sozialen Marktwirtschaft. Wenn die bestehenden Regelungen nicht ausreichen, wird es auch eine Debatte über neue Gesetze und Abgaben geben.
Höhere Steuern zum Beispiel?
Wir müssen die Ungerechtigkeiten in dieser Gesellschaft wahrnehmen, sie bewusst machen und gemeinsam intelligente und kreative Lösungen angehen. Fans bezahlen eine Eintrittskarte – um Fußballern zuzusehen, die zig Millionen verdienen, da treffen Armut und Reichtum in beinahe obszöner Weise zusammen. Oder dass Kinderlose bei uns finanziell sicherer sind als Kinderreiche. Für mich ist das nicht nachvollziehbar.
Vielleicht ist das System einfach falsch, oder?
Ich stelle nicht das ganze System in Frage. Aber wir müssen sehr wach sein.
Wegen der Neuen Rechten, die sich gerade einnisten will?
Sonst wird das zu einem Hauptthema für die Populisten. Die kämpfen ja mit demselben Slogan: Dieser Staat, diese Gesellschaft ist ungerecht. Das dürfen wir denen nicht überlassen, sonst spielt es den Rechtsradikalen in die Hände. Die meisten Stimmen bekommen Populisten von denen, die sich ungerecht behandelt fühlen.
Welche Rolle kann Kirche spielen, um Ungerechtigkeit in dieser Gesellschaft zu bekämpfen?
Wir benennen die Fakten und geben denen eine Stimme, die keine haben, die sich nicht ausdrücken können. Gleichzeitig lassen wir uns auch als Kirche selbst in Frage stellen: Ob wir beispielsweise in unseren Einrichtungen unseren Maßstäben gerecht werden. Auch dort bewegen wir uns zwischen dem eigenen Anspruch und wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Zwängen.
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