Was ökologische Außenpolitik sein könnte, bleibt nach der Amtszeit Joschka Fischers eine offene Frage. Bei den Grünen gibt es darüber neue Diskussionen. Dabei spielt die der Partei nahe stehende Heinrich-Böll-Stiftung als Denkfabrik eine wichtige Rolle.
FREITAG: Ich möchte von einer Spannung ausgehen, die zwischen dem Programm einer "ökologischen Marktwirtschaft" und gewissen technischen Entwicklungen besteht. Dieses grüne Programm erinnert sehr stark an den Ordoliberalismus von Ludwig Erhard: Man setzt auf den Markt, fasst ihn aber nicht mehr als Naturgeschehen auf, sondern als künstlichen "Apparat", der politisch eingerichtet und dauernd kontrolliert werden muss, damit er läuft. Die Grünen wollen, dass es ein ökologischer Apparat ist. Das ist die Konzeption. Nun gibt es aber auf dem Weltmarkt Phänomene wie die "Biopiraterie", die Sie in einem Aufsatz beklagt haben.
RALF FÜCKS: Ich habe geschrieben: Wenn dieser Entwicklung kein politischer Riegel vorgeschoben wird, droht die kommerzielle Monopolisierung der genetischen Ressourcen, von denen die menschliche Ernährung und Reproduktion abhängt.
Aber kann der denn vorgeschoben werden? Die Ordoliberalen haben es freilich vorausgesetzt.
Die Politik entscheidet, was patentierbar, also in ökonomisches Eigentum verwandelbar ist und was nicht. Wir sagen, Biologie ist nicht patentierbar: weder das menschliche Geninventar noch der pflanzliche Reichtum, der durch Evolution oder bäuerliche Züchtung seit 10.000 Jahren entstanden ist. Patentierbar dürfen nur Neuerfindungen sein. Das ist eine politische Kampffront, in der Bündnisse mit Staaten des Südens möglich sind. Dieser Interessenkonflikt muss durch internationale Vereinbarungen entschieden werden.
Und haben Sie Hoffnung, dass das tatsächlich geschieht?
Ja, denn der Widerstand ist breit, vor allem in Europa, aber auch etwa in Indien oder Brasilien.
Jedenfalls ist der Weltmarkt nicht geordnet und beherrscht, wie es wünschenswert wäre ...
Weil es keine Weltregierung gibt und nie geben wird! Wir haben supranationale Organisationen wie die Welthandelsorganisation, die weitreichende Sanktionsmöglichkeiten haben, und andere, die schwächer sind, wie das Bioprotokoll zum Schutz der biologischen Vielfalt. Und wir haben die Ebene der internationalen Zivilgesellschaft, sprich: die Nichtregierungsorganisationen. Von denen waren 10.000 in Bali, wie zu lesen war. Das ist eine Macht, die öffentliche Meinung zu mobilisieren.
Sie schreiben, man müsse sich "gegen den Kurzschluss von Big Science und Big Business" verwahren.
Es gibt heute die große Versuchung, Natur- und Technikwissenschaften über die Drittmittelfinanzierung zum direkten Dienstleister für Großindustrieinteressen zu machen. Deshalb ist es so wichtig, den öffentlichen Sektor in Wissenschaft und Forschung zu stärken, auch was den Zugang zu Wissen und Information angeht. Was mit Steuergeldern finanziert worden ist, muss zur Wissens-Allmende gehören, also zu dem Gemeingut, das für alle Bürgerinnen und Bürger zugänglich ist, und zwar weltweit. Man hat anzuerkennen, dass es im großen Stil privat finanzierte Forschung gibt, aber Universitäten und staatlich finanzierte Forschungsinstitutionen müssen ein Gegengewicht bilden.
Liegt das Problem nicht eher darin, dass das Kapital jeden beliebigen Zugang hat? Marx meinte, man könne überhaupt erst von "Kapital" sprechen, wenn der Zusammenschluss von Science und Business geschehen sei.
Er sagt damit, dass der Kapitalismus auf permanenter Innovation beruht. Es wird nicht möglich sein, private Forschung und Entwicklung komplett durch staatliche Veranstaltungen zu ersetzen. Wir brauchen das Know-how und die Innovationskraft etwa der chemischen Industrie, wenn es um den Übergang von der Chlorchemie zu einer Chemie nachwachsender Rohstoffe geht. Aber wir müssen Regeln etablieren. Die entscheiden darüber, was öffentliches Eigentum bleibt und wo die Grenzen privater Patente sind.
Falsche Sprecher des Marktes
Es gibt nicht nur die staatlichen Regeln. Sie haben in einem Gespräch gesagt: Durch ökologische Unternehmer, die der grünen Partei nahe stünden, komme eine wechselseitige Veränderung in Gang. In diesem Gespräch wurde auch formuliert, der Markt habe keine "richtigen Sprecher", die seinen Nutzen erklären könnten. Denn die Unternehmerverbände seien die falschen Sprecher. Das bringt mich auf die Frage, warum die den Grünen nahe stehenden Unternehmer sich nicht gegen die vorhandenen Verbände organisieren, um ein anderes Unternehmerbild zu propagieren.
Ich versuche immer, Unternehmer, die uns nicht unbedingt parteipolitisch, aber in der Sache nahe stehen, zu ermutigen: Ihr müsst euch als public citizens begreifen und engagieren! Weil das öffentliche Unternehmerbild von den großen Konzernen geprägt wird, von der Selbstbedienungsmentalität, die dort herrscht. "Unternehmer" ist fast zu einem Schimpfwort geworden, obwohl doch Eigeninitiative, Erfindungsreichtum und Risikobereitschaft positive Qualitäten sind.
Versuchen Sie es allein oder ist das Praxis der grünen Partei?
Es gibt Gesprächszusammenhänge, kleine Gruppen, eine Handvoll Akteure. Dass es schon Sache der grünen Partei ist, würde ich nicht sagen. Aber wir haben schon etliche ökologisch orientierte Unternehmerverbände. Da sind auch etablierte Unternehmen drin, und man muss genau hingucken, was hinter ihren "Nachhaltigkeitsstrategien" steckt. Soweit es ernsthafte Veränderungen sind, kann man sie nur ermutigen. Und wir finden eine neue Generation von Managern, denen klar geworden ist, dass das Zeitalter der fossilen Energie zu Ende geht. In den USA fordern die ökologisch aufgeklärten Vorreiter-Unternehmen die Einführung von bundesstaatlichen Klima-Standards. Staatliche Zielvorgaben korrespondieren also mit Entwicklungen, die in der Wirtschaft selbst begonnen haben.
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, von den Grünen auf den Weg gebracht, ist ein inhaltlich überzeugendes Beispiel ökologischer Regulierung. Das formale Pendant wäre der Unternehmer, der public citizen genug ist, um zu wissen, dass er Regeln braucht, die ihm auch einmal etwas verbieten, und der das im Streit mit anderen Unternehmern öffentlich vorbringt.
Es gibt ja auch bei uns schon Unternehmen, die sehr offensiv für verbindliche Emissionsgrenzen eintreten ...
... was man nicht in der Zeitung liest!
Ja, denn die Bremser quietschen am lautesten. Aber Bewusstsein vor allem bei Jüngeren, die oft aus unserer Szene kommen, ist vorhanden. Kluge Unternehmer wissen, dass die Privatwirtschaft an gesellschaftliche Voraussetzungen gebunden ist, die sie nicht selbst erzeugen kann. Das gilt für alle öffentlichen Güter, von der Rechtssicherheit über die Bildung bis zum Umweltschutz.
Die USA an Europa binden
Was können die Staaten gegen transnationale Biopiraterie tun, haben wir anfangs gefragt. Eine vielleicht nicht ganz andere Frage ist, wie das Verhältnis der Staaten untereinander aussehen sollte. Darüber hat in der Zeitung der Heinrich-Böll-Stiftung eine interessante Debatte begonnen. Joscha Schmierer schreibt, "Multipolarität" in den internationalen Beziehungen sei eine falsche Losung, weil dergleichen schließlich zur gefährlichen Zweilager-Situation führe. Die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs sei der Beweis. Sie stimmen der Position zu, sagen aber auch, die EU und die USA müssten sich zusammenschließen, denn das seien die großen Demokratien. Aber dann haben wir die zwei Lager: den Westen und den Rest.
Ich verstehe den Westen ja nicht als neue Polbildung. Es geht nicht um ein Lager, sondern um eine Allianz von Staaten, die sich innerhalb einer multilateralen Weltordnung - also auch innerhalb der UNO - zu gemeinsamen Werten und Prinzipien bekennen. Das ist nicht nur eine sicherheitspolitische Notwendigkeit, das ist vor allem die Möglichkeit, demokratische Prinzipien als universalistische zu behaupten. Und ich sage explizit: nicht, um sie anderen aufzuzwingen! Sondern indem wir sie selbst praktizieren. Also nicht das Modell Irak, sondern das Modell EU: Attraktivität durch das eigene Beispiel, so dass eine Überzeugungskraft entsteht, die auf autoritäre, halbdemokratisch verfasste Staaten einen Veränderungsdruck ausübt. Ich glaube, dafür ist Europa allein nicht stark genug, und die USA allein würden in Gefahr sein, einen ganz anderen Weg zu gehen, nämlich den imperialen. Es liegt in unserem Interesse, sie möglichst eng an Europa zu binden, um sie auf den nicht imperialen Pfad zu verpflichten.
Damit sagen Sie doch: Das Modell für die Welt ist nicht der europäisch-amerikanische Zusammenschluss, den es schon gibt - die NATO! -, sondern das ist eigentlich Europa, dem aber, wenn es allein stünde, die nötige Stärke fehlen würde. So liest man es auch in Ihrer Zeitung: Es geht eigentlich darum, dass die EU sich ausbreitet, teils buchstäblich und teils mit dem europäischen Modell; dieses müsste sich auch über die USA ausbreiten, damit der Partner nicht in eine gefährliche Richtung abdriftet.
Ich würde die USA nicht so schnell abschreiben, was ihre demokratische Vitalität betrifft. Für mich ist die Regierung Bush eher eine Episode; wir werden sehen: Die amerikanische Gesellschaft hat eine große Kritik- und Korrekturfähigkeit. Europa und die USA unterhalten ein Austauschverhältnis, in dem auch wir viel lernen können, was Citizenship, Selbstverantwortung, Eigeninitiative und den Gestaltungsoptimismus betrifft, der die amerikanische Kultur auszeichnet. Aber ich bin völlig damit einverstanden, dass das nicht eine exklusive europäisch-amerikanische Allianz sein darf: Das Versprechen einer Allianz von Demokratien liegt gerade darin, dass auch Indien, Südafrika oder Brasilien zu einem solchen Netzwerk gehören sollen.
Es gibt auf der einen Seite die positiven Qualitäten, die Sie angeführt haben, und auf der anderen eine politische Verfassung, die sich als problematisch erweist: das Amt eines Präsidenten, für dessen außenpolitisches Wirken die US-Bürger wenig Interesse aufbringen. Es spielt in den Massenmedien eine geringe Rolle. Eben deshalb - hypostasiert, wie es ist - kann es zur leichten Beute von Lobbygruppen werden. Es ist einfach furchtbar gefährlich, dass die jetzige Regierung praktisch von einer Öllobby gestellt wird.
Bei aller Machtfülle, die der Präsident tatsächlich hat und die für uns irritierend ist, soll man trotzdem nicht übertreiben: Es gibt den Kongress und die oberste Gerichtsbarkeit als Gegengewichte. Wie weit die Medien noch als Vierte Gewalt funktionieren - ob wir da nicht einer Illusion erliegen, weil wir vorrangig die New York Times und vielleicht noch die Washington Post wahrnehmen, aber nicht die Massenmedien -, das ist allerdings die Frage. Ich glaube dennoch: Die USA sind in der Lage, größere Fehler zu begehen als wir - auch wegen dieser Ermächtigung des Präsidenten -, aber wenn die Fehler erst öffentlich erkannt sind, gibt es auch starke Korrekturbewegungen. Eine falsche und gefährliche Politik setzt sich nicht auf Dauer durch, sie kann allerdings in der Zwischenzeit fürchterlichen Schaden anrichten. Immerhin gibt es auch Anzeichen, die auf gesunkenen Lobby-Einfluss hindeuten: Jemand wie Barack Obama, der nicht aus dem Establishment kommt, hat genauso viele Spenden für den Wahlkampf gesammelt wie Hillary Clinton.
Ist aus all dem nicht der Schluss zu ziehen, dass der "Zusammenschluss der Demokratien" vor allem ein Zusammenschluss der Demokraten sein sollte - der sich, wenn es sein muss, auch gegen die eigenen Regierungen diesseits oder jenseits des Atlantiks wendet?
An der Herausbildung einer globalen Allianz der Demokraten, einer globalen demokratischen Öffentlichkeit arbeiten wir auch als Stiftung. Das ist eine der positiven Seiten der Globalisierung. Wir brauchen ja nur an die Proteste gegen den Irak-Krieg zu denken - einen der wenigen wirklich globalen Momente, die es gegeben hat. Heute zeichnet sich eine neue Welle globaler Kooperation im Klimaschutz ab. Das gilt auch transatlantisch: Es gibt ein ungeheures Interesse an umweltpolitischen Erfahrungen und Modellen, die in Europa entwickelt wurden. Das Bild vom ökologisch rückständigen Amerika verändert sich schneller, als wir gucken können.
Das Gespräch führte Michael Jäger
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