Von dem lautstarken, manierierten und offensiv sinnfreiem Geplapper der Pillen-, Uhren-, Sextipps-Spams erhole ich mich am besten bei der Lektüre von Casino-Spam. Der empfiehlt sich durch Schlichtheit, wagt einen konservativen Stil und macht nur selten Rechtschreibfehler. In respektvollem Ton wird mir in der Höflichkeit angemessenen Zeitabständen mitgeteilt, dass meine Teilnahme im "Casino Club" (die ich nie beantragt habe) "akzeptiert" wurde; natürlich nicht, ohne mir zu versichern: "Wir nehmen nicht jeden an". Stets werde ich gesiezt, und das Wissen meiner Vorfahren gilt hier noch etwas. "Vielleicht hatte Ihre Mutter Recht, als sie Ihnen sagte, man bekommt nichts umsonst. Sie wusste auch, was sie sagte, als sie behauptete, dass Geld nicht auf Bäumen wächst", schreibt mir etwa das "Privilege Casino".
Die Gleichsetzung von Tradition und Familie, die Zugehörigkeit zu einer Elite, die sich nicht auf Besitz oder Bildung, sondern auf Blutsverwandtschaft gründet, ist sichtlich das Begehr, das Casino-Spammern ihrem Zielpublikum unterstellen. Es geht um Clubs, um Exklusivität, um Erstklassigkeit, und zwar in biologischer Form. Im Digitalen überlebt doch tatsächlich die Sehnsucht nach der Aristokratie: "RoyalClub Casino hat Bonusprämien für einen König! Diesem Casino gebührt die Krone für die besten Bonusprämien überhaupt. Ein Elite-Spieler wie Sie braucht eine königliche Behandlung! Große Bonusprämien und noch größere Gewinne warten hier! RoyalClub Casino ist Ihr Palast, deshalb spielen Sie und gewinnen Sie noch heute. Ihr Thron und Laptop erwarten Sie!"
Das Versagen von Ferrero Rocher
Eine solche Rhetorik – "Lassen Sie die Champagnerkorken knallen und starten Sie durch um zu gewinnen! Diese erstklassigen Bonusprämien gibt es nicht ewig, gehören Sie zur Elite, gewinnen Sie noch heute!" – mag auf den ersten Blick plan wirken, und das ist sie wohl auch, denn mit derart unzeitgemäßen Luxusversprechen wird in Zeiten der Krise eigentlich nichts mehr beworben. Just darin ist wohl der Sinn zu finden: Casino-Spam nimmt sie sich einer Klientel an, die andernfalls von allen guten Werbegeistern verlassen wäre. Irgendwo mussten diejenigen schließlich unterkommen, die leider keiner Familie angehören, deren genetische Historie allein schon zu Reichtum und Bedeutsamkeit gereicht. Die Schokoladen- und Kaffeewerbung scheint sie nämlich nicht mehr bedienen zu wollen.
Ferrero Rocher etwa hat seinen Slogan "Adel verpflichtet!" mittlerweile abgeschafft. Die kaufkräftige Schicht sei nicht mehr so sehr auf Repräsentation bedacht wie einst, erklärte eine Studie angesichts der konzeptuellen Wende der Marke. Klingt vernünftig. Allerdings rückten, wie es dort ebenfalls heißt, stattdessen "emotionale Werte wie emotionaler Reichtum, Wohlfühlen und Zeit, individuelle Lebenswelten und Erlebniswelten in den Vordergrund". Auf Deutsch: Ferrero-Rocher-Käufer heilen ihre Egos jetzt nicht mehr von außen, sondern lieber von innen. Da sind einem die Möchtergern-Aristokraten der Online-Casinos doch wirklich sympathischer.
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