"Wir sind hier, wir sind laut"

Theaterbesetzung Nach einer Strafanzeige des Hausherrn Chris Dercon wird die Volksbühne geräumt. Es wird nicht der letzte Akt dieses Dramas sein

Eben noch hat sich der Tross der Journalisten auf die linke Seitenflanke der Volksbühne konzentriert. Jenseits der Polizeiabsperrung um das Theater haben sich dort rund 200 Menschen angesammelt, das Publikum des womöglich finalen Akts der Besetzung des Hauses. Zwischen den Menschen hat sich ein offener Kreis gebildet, darin wurde Paragraph 27 der Menschenrechtserklärung verlesen – die Freiheit des Kulturlebens –, dann waren alle aufgefordert, in den Kreis zu treten und was auch immer zu sagen und zu machen.

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Die Sache nimmt gerade an Fahrt auf, da stiehlt einer innerhalb der Absperrung den Menschen neben der Volksbühne die Show. Auftritt des Polizeisprechers Winfrid Wenzel: „Es gibt eine neue Situation“. Die Hoffnung der Polizei habe sich nicht erfüllt, dass alle Personen das Gebäude verlassen. Chris Dercon, der Hausherr, habe jetzt Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch gestellt, man werde deshalb mit der Aufnahme der Personaldaten im Haus beginnen und das Gebäude dann möglichst diskret räumen. Was die Berliner Polizei dann kurz darauf aus der Volksbühne heraus twitterte, strafte seine Ansage allerdings Lügen, die Beamten hätten kein Interesse, Teil einer Performance zu werden: „Die Identität aller unberechtigter Anwesenden wird jetzt festgestellt. Dafür haben wir in der #Volksbühne einen Arbeitsplatz eingerichtet“, dazu das Foto einer Einsatzbeamtin an einem Klapptisch mit Laptop. Schöner könnte die Polizei sich kaum in die Inszenierung der Besetzer einschreiben.

Freiwillige und unfreiwillige Performer

Wer an diesem Donnerstag in der und um die Volksbühne freiwillig oder unfreiwillig performt, ist zu diesem Zeitpunkt ohnehin unübersichtlich geworden. In der Volksbühne war zunächst von 100, dann nur noch von einem Dutzend Besetzern die Rede. Gegen 11 Uhr war nach draußen berichtet worden, Chris Dercon sei eingetroffen. Kommentar eines Besetzers wenig später zur Presse draußen: „Das einzige Zeichen von Dercon war: 'Sprich mit der Hand'“.

Die weiteren handelnden Personen innerhalb der Absperrung rund um die Bühne: 200 Berliner Polizisten, Volksbühnensprecher Johannes Ehmann (der verständlicherweise vorerst lieber nichts sagen möchte), Klaus Lederers Sprecher Daniel Bartsch, dessen Chef sich unterdessen im Abgeordnetenhaus befindet sowie rund 40 Journalisten. Draußen: eine wachsende Anzahl von Sympathisanten, Schaulustigen und Aktivisten, darunter die Sprecherin des Kollektivs „Staub zu Glitzer“ Sarah Waterfeld, aber auch Künstlerinnen wie Calla Henkel, die mit ihrem Partner Max Pitegoff von Chris Dercon beauftragt worden ist, den Grünen Salon zu bespielen. Henkel macht Aufnahmen mit ihrer Kamera und findet erst einmal interessant, was sich hier an Material ergibt.

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Und Material gibt es in der Tat. Dabei hatte es gegen 12 Uhr noch so ausgehen, als sei die Situation aufgelöst. Ein sichtlich erleichterter Polizeisprecher hatte erklärt, man habe sich mit den verblieben Besetzern darauf geeinigt, sie würden das Haus verlassen. Klaus Lederers Sprecher Daniel Bartsch sprach von einem „glücklichen Ende“, ein Umzugs-LKW fuhr vor, dem ein Mann in einem eleganten Kleid und mit einem Turban aus Knallfolie auf dem Kopf sowie ein weiterer mit einem roten Schutzhelm und eine Frau im Trenchcoat entstiegen. Die Journalisten harrten unterdessen am Seiteneingang des kommenden Abzugs. Es klang, als stünde hinter der Tür ein Spielmannsumzug bereit.

Mit Trommlen und Flöten

Außer Flöten und Trommeln war dann sehr lange Zeit nichts zu hören, bis die Türen sich schließlich öffneten und eine kleine Gruppe von Personen die Insignien der Besetzung aus dem Haus zu tragen begann: Trommeln, Neonröhren, ein Staubsauger, den ein Post-It als Leihgabe inklusive E-Mailadresse für die Rückgabe auswies, eine XXL-Packung Kaffee, eine Discokugel. Unterdessen gab jenseits des Zauns bereits Sarah Waterfeld zu Protokoll, die Besetzung sei keinesfalls vorbei. Frage also an den Turbanträger: Sind da noch mehr Leute in der Volksbühne, bleiben die dort? Vage Antwort: Wir sind alle Performer. Noch bevor der LKW abfuhr dann also die Ansage: Strafanzeige, Aufnahme der Personalien, Räumung.

Einer der Besetzer zieht derweil im offenen Kreis Bilanz: „Was hier passiert ist, erfüllt für uns alle Kriterien eines guten Kunstwerks.“ Während er noch davon spricht, dass der Vorschlag, den Grünen Salon oder einen anderen Ort zu bespielen, gerade im Abgeordnetenhaus wieder aufgenommen und diskutiert werde, tritt eine ältere, schick gekleidete Frau mit Sonnenbrille an die Absperrung und ruft begeistert: „Dreckon verlässt das Haus. Das ist die beste Premiere, die wir uns hätten wünschen können!“ Kurz danach fordert jemand mit Megaphon, zusammen das Haus zu stürmen, doch ein älterer Herr meldet sich zu Wort. Er sei 80 Jahre alt und könne aus Erfahrung sagen, dass es besser sei, jetzt sofort ein Manifest aufzusetzen, statt unüberlegte Dinge zu tun.

Die nächste Revolution

Die Stimmung schwankt minütlich zwischen: Die friedliche Räumung ist eingeleitet – wir bleiben drin, denn wir proben doch nur – Dercon ist entlassen – Revolution. Die Unsicherheit der Lage verkörpert als Chor der hin- und herstürmende Journalistenpulk. Vom offiziellen Statement zur nächsten Besetzer-Äußerung und schließlich doch wieder zur spontanen Intervention, immer auf der Jagd nach neuer Information für den Twitterfeed. Schließlich verlagert sich das Geschehen endgültig auf die rechte Seitenflanke der Volksbühne. Hinter der Absperrung wird „Wir sind hier wir sind laut, weil man uns die Bühne klaut“ gesungen. Durch die Gitterstäbe der Einfahrt hindurch filmen Reporter drei Polizeiwägen, zwischen denen schließlich alle paar Minuten die wenigen verbleibenden Besetzer aus dem Haus geführt werden. Scheinbar überrascht von dem Pressepulk und den vielen Menschen, recken sie spontan die Arme in die Höhe, mimen Siegergesten, werden beklatscht. Trommeln begleiten das Geschehen, an dem immer mehr das Interesse verlieren. Es scheint besiegelt, die Räumung findet friedlich statt.

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Das Wiesenstück vor der Volksbühne wird zum neuen Versammlungsort. Für die „Premierenparty“ werden Getränke in Einkaufswägen angekarrt, es gibt Musik und Seifenblasen. Jemand hat ein mit schwarzem Edding beschriebenes Exemplar des neuen Volksbühnen-Programmbooklets in der Hand: „Manifest der gentrifizierten Ästhetik“ steht da drauf. Ein Mann im schwarzen Mantel, der dicke Brocken eines Laibs Brot abreißt und isst, das er eben noch beim Hinausgeführtwerden in die Höhe gehalten hat, spricht von sich als „Berufsrevolutionär“. Was er jetzt macht? Weiter, die nächste Revolution warte schon.

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