Wir sind nicht die Partei der Besserverdienenden

Im Gespräch Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) über liberale Gerechtigkeit, Steuersenkungen und die Wahl im Freistaat

Freitag: Derzeit ringen die Parteien um den Ehrentitel "Partei der Mittelschicht". Warum sollte ihn ausgerechnet die FDP erhalten?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Wir Liberalen setzen uns schon seit Jahren dafür ein, dass denen keine Steine in den Weg gelegt werden, die bereit sind, Leistungen zu bringen. Genau das aber passiert, wie man an den schwarz-roten Abgaben- und Steuererhöhungen der letzten Jahre sehen kann. Dass die Mittelschicht von den wirtschaftlichen Erfolgen kaum mehr etwas hat, ist eine der Folgen davon. Die Entlastung der Bürger gehört zum marktwirtschaftlichen Profil der FDP. Wir waren also schon die Partei der Mittelschicht, als sich andere Parteien dies noch nicht auf ihre Fahnen geschrieben haben.

Die FDP galt doch eher als Partei der Besserverdienenden. Jetzt sprechen die Liberalen von sozialer Gerechtigkeit. Können Sie verstehen, wenn man da etwas überrascht ist?
Die gespielte Überraschung, die ich bei unseren politischen Konkurrenten wahrnehme, verwundert mich überhaupt nicht. Das gehört zum Geschäft und soll nur davon ablenken, dass sich diese Parteien selbst zu wenig um die Mittelschicht gesorgt haben.

Irgendwo muss der Eindruck hergekommen sein, die FDP sei politischer Arm gut verdienender Apotheker, Anwälte und Manager.
Wir sind nicht die Partei der Besserverdienenden und waren es auch nie. Es ist doch ein urliberales Ziel, sich für soziale Gerechtigkeit und die Chancen des Einzelnen einzusetzen. Während sich Vermögende und Geringverdiener über Steuererleichterungen freuen konnten, kamen für die große Mehrheit immer neue Lasten dazu. Dagegen etwas unternehmen zu wollen, kann doch nicht ernsthaft als Engagement für ein paar Besserverdienende abgetan werden.

Mehr netto für alle fordern auch andere Parteien. Vielen würde das aber gar nicht zugute kommen, weil sie entweder keine Arbeit haben oder so wenig verdienen, dass steuerliche Entlastungen bei ihnen gar nicht ankommen.
Es ist richtig, dass Menschen, die mit 800, 900 Euro auskommen müssen - ob als Rentner oder Alleinerziehende - von einer Steuerentlastung nichts haben, weil sie keine oder nur sehr geringe Abgaben schultern müssen. Sie fallen bei der FDP aber nicht unten durch. Hierfür steht unsere zweite Säule: ein existenzsicherndes Mindesteinkommen. Statt gesetzlichen Mindestlöhnen ist die liberale Antwort auf soziale Schieflagen ein leistungsgerechtes Bürgergeld.

Die FDP war einst Regierungspartei, seinerzeit wurden Weichen gestellt, die heute mit sozialen Abstiegssorgen in Verbindung gebracht werden: Deregulierung und Privatisierung. Ist die FDP mit verantwortlich für die Probleme der Mittelschicht?
Nein, auf keinen Fall. Die Privatisierung etwa, von der Sie sprechen, steht auch bei anderen Parteien auf der Agenda - und zwar zu Recht: Landesbanken vernichten gerade Steuergelder in Milliardenhöhe. Da ist es nur konsequent, wenn die FDP für private statt öffentliche Geldinstitute eintritt. Der Staat ist auch gar nicht in der Lage, alle Maßnahmen der öffentlichen Infrastruktur ganz allein mit Steuergeldern zu finanzieren. Deshalb werden wir auch in Zukunft nicht darum herumkommen, über Veräußerungen zu diskutieren. Wir Liberalen wollen aber Privatisierungen nicht um jeden Preis. Die Trinkwasserversorgung zum Beispiel will auch die FDP nicht verkaufen. Es muss eine gesunde Mischung geben, weil sonst die Überforderung des Staates noch größer wäre.

Wenn der Staat schon jetzt so überfordert ist - woher soll dann das Geld für die Steuersenkungsideen der FDP kommen? Zwei Konzepte stehen bei Ihnen zur Debatte, das eine würde etwa 25 Milliarden Euro kosten, das andere 55 Milliarden Euro.
Ein Teil von Steuersenkungen ist immer durch Selbstfinanzierungseffekte gedeckt, das ist unstrittig. Aber natürlich muss man auch darüber nachdenken, wo im Gegenzug Geld hereinkommt - etwa durch das Streichen von Vergünstigungen. Das werden wir auf dem Parteitag am Wochenende in München ausführlich diskutieren.

In Bayern, wo sie Landesvorsitzende sind, stehen Wahlen an. Warum soll der Sprung ins Maximilianeum diesmal gelingen?
Der Freistaat braucht eine Partei mit Wirtschaftskompetenz, etwas, wo die CSU jetzt offenkundig versagt hat, wie man am Beispiel der Landesbank in Bayern gesehen hat. Vor allem aber ist die FDP als Anwältin der Grund- und Freiheitsrechte heute dringender denn je gefragt. Dem Gesetzgebungsaktionismus der CSU, der Einschränkung der Versammlungsfreiheit und ähnlichem, muss ein Riegel vorgeschoben werden. Deshalb sage ich: Wir können es diesmal erstmals seit 1994 wieder in den Bayerischen Landtag schaffen.

Das Gespräch führte Tom Strohschneider

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