Wir sollen HeldInnen sein. Oder so arbeiten

Corona-Diaries Selbstisolation. HeldInnenstatus, der heldenhafte Selbstausbeutung meint. Die Ruhe vor dem Sturm. Tagebuch einer Medizinstudentin im praktischen Jahr auf der Geriatrie
Es geht los
Es geht los

Foto: imago images / Westend61

31. März 2020

Heute ist laut WG-Kalender der 10. Tag.

Zehn Tage sind vergangen, seit wir am Sonntag vor zwei Wochen beschlossen haben, uns in der Wohnung komplett abzuriegeln. Die Hauptbegründung war, dass ich im Krankenhaus arbeite und Kontakt zu Risikogruppen habe. Ein großer Schritt für sechs Menschen, die ich zudem kaum kenne: Ich bin erst vor drei Wochen hierher- und in die Wohnung eingezogen und werde Ende Juni wieder fortgehen und mein praktisches Jahr in einem anderen Krankenhaus beenden.

Für mich hieß unser selbstbestimmter Lockdown auch, begonnene Freundschaften in der neuen Stadt fürs Erste aufs Eis zu legen. Meine FreundInnen und meine Familie werde ich in den nächsten Wochen (oder Monaten) nicht sehen. Am Anfang habe ich kaum etwas von der Isolation gemerkt. Die Arbeitstage waren wie üblich, das Wochenende verschlafen. Doch so langsam werde ich müde. Es fühlt sich an, als wäre ich in eine Sackgasse getappt und mein Rückweg fürs Erste versperrt.

Bevor ich ins Krankenhaus fahre, komme ich an einer Bäckerei vorbei. Beim Einkauf entdecke ich ein Schild: ÄrztInnen und Pflegekräfte erhalten ein Heißgetränk gratis. Ich verstehe, dass damit Wertschätzung gezeigt werden soll.

Für HeldInnen gibt's ein Heißgetränk gratis

Ein wenig unangemessen finde ich den gesellschaftlichen Mythos der HeldInnen im Gesundheitssystem trotzdem. Auch mit Abschluss meines Studiums werde ich keine Heldin sein. Niemand von uns ist das. Wir machen unseren Job. Als HeldInnen würden wir in unserer gesellschaftlichen Position zu sehr erhöht – das Wegbleiben von angemessener Kritik könnte die Folge sein. Außerdem erwartet man von uns heldenhaftes Engagement, nicht nur in der Coronakrise: Überstunden, Überforderung, 24 Stundendienste und trotzdem fehlerfreies Arbeiten. Ein HeldInnenstatus im Austausch für viel zu lange Arbeitszeiten und zu wenig Personal. Nach einem unfairen Deal klingt das für mich.

Im Krankenhaus haben sich nur geringe Veränderungen ergeben. Stationen werden zusammengelegt, Workshops zu Corona für das Personal gehalten. Die Besprechungen sollen mit einem Abstand von anderthalb Metern gehalten werden. Bisher halten sich nur wenige an den Abstand. Im Moment kann ich mir den Ausnahmezustand nicht vorstellen. Es fühlt sich an wie die Ruhe vor dem Sturm.

Teil 2 dieses Corona-Tagebuchs aus der Geriatrie finden Sie hier.

Unsere Autorin hat sich Leila Deaibes als Pseudonym gewählt. Sie ist 26 Jahre alt und studiert Medizin. Momentan arbeitet sie im praktischen Jahr auf einer geriatrischen Krankenhausstation

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