FREITAG: Herr Vogel, was halten Sie von Finkelsteins Thesen und seinem Schlagwort "Holocaust-Industrie"? HANS-JOCHEN VOGEL: Nichts. Das ist ein schlimmes Stichwort, das nicht mit beweisbaren Tatsachen belegt ist und nur antisemitischen Vorurteilen Vorschub leistet.
In Ihrem Verein "Gegen Vergessen - Für Demokratie" engagieren Sie sich schon lange für die Rechte ehemaliger Zwangsarbeiter. Trifft es Sie persönlich, dass noch immer kein Geld an die Opfer geflossen ist?
Es ist ein in über die Maßen beschämender Vorgang, den ich nur als bedrückend bezeichnen kann. Natürlich trifft mich das. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Es ist allerhöchste Zeit, dass die Menschen, in deren Leben von Deutschland aus so brutal eingegriffen worden ist, nun wenigstens in ihrem siebten und achten Lebensjahrzehnt eine Geste der Solidarität und eine Anerkennung für das erlittene Unrecht empfangen.
Der Zufluss an Geldern in den Stiftungsfond droht zu versiegen. Glauben sie, dass die Summe von fünf Milliarden je zusammenkommen wird?
Was die Vertreter der Deutschen Wirtschaft mit der Bundesregierung und den Opferverbänden vereinbart haben, gilt nach wie vor. Die Wirtschaft steht im Wort, die fünf Milliarden Mark aufzubringen. Bisher sind nur etwa 3,6 Milliarden Mark tatsächlich eingezahlt. Dennoch gebe ich die Hoffnung nicht auf.
Haben diejenigen, die für die deutsche Wirtschaft am Verhandlungstisch saßen, also nicht im Auftrag der Wirtschaft gehandelt?
Es sieht danach aus und auch das ist enttäuschend.
SPD-Fraktionschef Peter Struck und der Grüne Volker Beck haben bereits angedeutet, Unwillige notfalls per Verordnung zur Zahlung zu bewegen. Muss der Druck erhöht werden?
Ich kenne solche Äußerungen nicht. Ich würde es allerdings für falsch halten, staatlicherseits eine Art Zwangsabgabe einzuführen, weil es um einen Akt des guten Willens, um eine humanitäre Geste für erfahrenes Leid geht. Von Entschädigung kann ja ohnehin keine Rede sein. Staatlicher Druck würde die Zahlung noch weiter hinausschieben, weil er zu langen rechtlichen Auseinandersetzungen Anlass gäbe. Letztlich wäre damit niemandem geholfen.
Und öffentliche Nennung der zahlungsunwilligen Firmen?
Man muss die Unternehmen, die sich nicht beteiligen wollen, öffentlich ansprechen. Dann müssten sie die Gründe für ihre Verweigerung offen legen. Das zeigte bereits in der Vergangenheit Wirkung. Im Internet findet man ja sowohl Listen der Unternehmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt, als auch Listen der Unternehmen, die bereits ihren Beitrag geleistet haben.
Es kursierte bereits der Vorschlag, die Gründungsunternehmen sollen ihren Beitrag um den noch fehlenden Restbetrag aufstocken. Was halten sie davon?
Gehört habe ich davon auch. Letzten Endes könnte es darauf hinauslaufen. Zunächst würde es aber die Zahlungsmoral der anderen Unternehmen, die noch nichts gezahlt haben, weiter senken, wenn sie den Eindruck bekämen, auf sie komme es gar nicht an.
Manfred Gibowski, der Sprecher der Stiftungsinitiative, fordert die Richterin in dem noch anhängigen Prozess in New York auf, die letzten Klagen abzuweisen, ähnlich äußerte sich Verhandlungsführer Graf Lambsdorff.
Ich meine auch, die amerikanische Seite sollte möglichst bald die letzten Klagen abweisen. In zwei Bereichen - nämlich für Industrie und Versicherungen - ist ja bereits entschieden worden. Die Klagen sind abgewiesen. Offen ist nur noch der dritte Bereich, der die Banken betrifft. Man sollte jedoch von Seiten der deutschen Wirtschaft vorsichtig mit Kritik sein. Shirley Kram, die zuständige Richterin, hat ja gute Gründe, skeptisch zu sein, solange die zugesagte Summe noch nicht vollständig in den Fonds eingezahlt ist.
Das Beispiel Österreich zeigt, es geht schneller, binnen eines Jahres wurde dort alles geregelt. Warum dauert das in Deutschland so lange?
Es ist schon erstaunlich, wie schnell man in Österreich eine Lösung gefunden hat. Um so erstaunlicher als das unter ÖVP-FPÖ-Regierung geschehen ist, und es ist für uns zusätzlich beschämend. Andererseits ist auch in Österreich bislang nur die vertragliche Seite geregelt - wie rasch es zu Zahlungen kommt, bleibt abzuwarten.
Das Gespräch führte Jan Rosenkranz
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.