Wir Stellverteter

Im Gespräch Steffi Lemke, Bundesgeschäftsführerin der Grünen, über den Kampf um die richtige Afghanistan-Strategie

FREITAG: Renate Künast freut sich auf den Parteitag. Freuen Sie sich auch?
STEFFI LEMKE: Ich freue mich auf jeden Parteitag; sie sind schließlich Highlights im politischen Leben - jeder hat seine ganz eigene Dynamik und Stimmung.

Während in Göttingen der Sonderparteitag stattfindet, wird in Berlin gegen den Afghanistankrieg demonstriert. Ärgert es Sie, dass Sie nicht mitdemonstrieren können?
Demonstrationen sind gut und richtig. Wir führen als Grüne an diesem Samstag eine Debatte über die richtige Strategie für Afghanistan - ein großes Stück weit stellvertretend für die Gesellschaft.

Sie waren 2001 gegen den Afghanistan-Einsatz und bei der Abstimmung im März gegen das Tornado-Mandat. Wie stehen Sie jetzt zu den Einsätzen?
Ich habe mich 2001 gegen die NATO-geführte Operation Enduring Freedom (OEF) ausgesprochen. Beim Votum zum ISAF-Einsatz habe ich mich enthalten. Ich bin der Meinung, dass das Nebeneinander vom "Krieg gegen denTerror" und zivilem Aufbau nicht erfolgreich sein kann.Ich halte das schnelle Ende von OEF und die volle Konzentration auf zivile Aufbauprojekte mit der Beschränkung auf den dafür notwendigen militärischen Schutz für unumgänglich.Das heißt auch für mich: keine Tornados.

Halten Sie es für einen Vorteil, dass im Bundestag über ISAF- und Tornadoeinsatz zugleich abgestimmt wird?
Nein, das ist ein taktisches Manöver der Bundesregierung. Es soll vor allem die SPD befriedigen. Dabei wird von den Kernfragen abgelenkt: Wie können wir die knappe Zeit, die uns in Afghanistan noch bleibt, nutzen? Was muss die Staatengemeinschaft tun? Was kann die Bundesregierung zu einem Strategiewechsel beitragen? Bislang diskutieren aber weder Bundesregierung noch die anderen Parteien, wie in Afghanistan der zivile Aufbau erfolgreich sein kann. Ich bin der Meinung, dass man den falschen Kurs der Regierung nicht länger unterstützten soll.

Ihr Parteifreund Uli Cremer nennt das ISAF-Kommando einen Kriegseinsatz. Hat er Recht?
Nein. Aufgabe der UN-mandatierten ISAF ist die Unterstützung der gewählten Regierung Afghanistans zur Herstellung und Aufrechterhaltung eines sicheren Umfeldes im Lande. Allerdings fordere ich einen klaren Trennstrich zu Militäroperationen, die genau diese Aufgabe gefährden können.

Ist die Situation in Südafghanistan vergleichbar mit der im Irak?
Solche Vergleiche sind irreführend. Die Situation in Südafghanistan ist sehr schwierig, und es werden unverantwortlich viele zivile Opfer in Kauf genommen, vor allem durch Einsätze unter US-Kommando. Südafghanistan steht auf der Kippe. Der Wiederaufbau ist schwierig, weil sich auch zersplitterte Gruppen und Stammesfürsten bekämpfen. Die Staatengemeinschaft muss klären, ob der so genannte Kampf gegen den Terror oder der zivile Wiederaufbau Priorität genießen. Das Nebeneinander beider Strategien wird nicht zum Erfolg führen.

Im März stimmten die Fraktionsspitzen Kuhn und Künast für den Tornadoeinsatz. Die außen- und verteidigungspolitischen Sprecher, Trittin und Nachtwei, waren dagegen. Ist so etwas wieder zu erwarten?
Gerade in Fragen von Krieg und Frieden muss das jeder Abgeordnete letztlich für sich selbst entscheiden. Priorität hat für uns die Forderung an die Bundesregierung nach einem umgehenden Strategiewechsel, weil das zivile Engagement zu scheitern droht. Daneben gibt es bekanntermaßen Differenzen.

Die Mehrheit der Bürger und die Partei Die Linke lehnt den Afghanistan-Einsatz ab. Fürchten Sie um das friedenspolitische Profil der Grünen?
In der Bevölkerung herrschen verständlicherweise Zweifel und Skepsis angesichts der zunehmend schwierigenSituation in Afghanistan. Aber um das friedenspolitische Profil fürchte ich nicht. Wir sind ja die einzige Partei, die offen auf einem Sonderparteitag diskutiert und nicht hinter verschlossenen Türen entscheidet. Der Streit in der Sache ist mir tausendmal lieber als der friedenspolitische Populismus von Oskar Lafontaine.

Ist auch die Mehrheit Ihrer Fraktion gegen die OEF-Mission?
Der Parteitag wird den OEF-Einsatz klar ablehnen. Die Fraktion sieht das genauso.

In Bielefeld beim Kosovo-Parteitag setzten sich 1999 die Realos mit ihrem militärischen Kurs gegen die Linken durch. Fürchten Sie, dass sich dies nun in Göttingen wiederholen könnte?
Es geht nicht um einen Kampf der Realos gegen den Linken oder um einen militärischen Kurs, sondern um die richtige Strategie für Afghanistan. Dafür engagiert sich auch die Basis, die sich nicht dem einen oder anderen Flügel zuordnen lässt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es einen Flügelstreit geben wird, der die Sachdiskussion überlagert.

Das Gespräch führte Dirk Friedrich Schneider


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