Die Weiße Rose ist ein Symbol, spitz gesagt auch ein Markenzeichen für den Widerstand im Dritten Reich und Sophie Scholl sein Gesicht. Schuld, wenn man das so sagen kann, an diesem Mythos hatten eine Handvoll Fotografien, die Sophie Scholl jugendlich strahlend oder nachdenklich ernst zeigen, zum Beispiel auf einer Ausgabe des Nachkriegsklassikers Die weiße Rose von 1952. Ihr Gesicht verdrängte die anderen Mitglieder der Gruppe und brannte sich in die kollektive Erinnerung ein, heute auch mit einem Touch Märtyrerkitsch, man denkt ja sofort an die Schauspielerin Julia Jentsch.
Die Historikerin Frauke Geyken beschreibt den Mythos Sophie Scholl und die (umstrittene) Rolle, welche die Autorin von Die weiße Rose, die ältere Schwester Inge Aicher-Scholl, dabei ha
er-Scholl, dabei hatte. Dass neben Sophie viele andere Frauen gegen das Naziregime kämpften, ist auch wegen deren Omnipräsenz kaum bekannt. In ihrem Buch Wir standen nicht abseits – Frauen im Widerstand gegen Hitler hat Geyken weniger geläufige, zum Teil vergessene Namen ausgewählt. Sie erzählt spannende Frauenbiografien, die zeigen, dass der weibliche Widerstand im Dritten Reich existierte und facettenreich war. Es war ja so: Selbst Frauen, die „nur“ im Hintergrund von „Helden“ standen, riskierten ihr Leben. Schon Kaffee zu kochen, „wie es Marion Yorck von Wartenburg bei den Treffen des Kreisauer Kreises in der Berliner Hortensienstraße oft tat“, konnte Hochverrat bedeuten.Zur Instanz gewordenDie linke Widerstandskämpferin Cato Bontjes van Beek aus Fischerhude wurde nie eine Symbolfigur. Dabei arbeitete sie zusammen mit dem Lyriker Heinz Strelow für die Gruppe Rote Kapelle. Bontjes van Beek wurde mit 23 Jahren in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Oder Freya von Moltke, die über die Aktionen ihres Mannes Helmuth James Graf von Moltke vollends im Bilde war. Sie war auch, aber längst nicht nur der Typ Frau, den eine Spiegel-Redakteurin hämisch so beschrieb:„Geschöpfe jener tragenden Elite, die als weiblichen Edelmut die absolute Gefolgstreue dem Gatten kultivierte.“ Oder Annedore Leber. Ihr Mann Julius Leber hatte schon bis 1937 vier Jahre in Gefängnissen verbracht und Leber immer wieder für die Freilassung ihres Mannes gekämpft, währenddessen sie ein Modeatelier am Laufen hielt, de facto für den Lebensunterhalt der Familie sorgte. Seine Hinrichtung konnte sie am Ende nicht verhindern, ihre Persönlichkeit brach das nicht. Leber wurde – neben Marion Gräfin von Dönhoff – als Politikerin und Publizistin zu einer maßgeblichen Instanz, wenn es um das Thema Widerstand ging.Nach dem Krieg äußerten sich viele dieser Frauen zurückhaltend. Margarethe von Trotta, die einzig unmittelbar aktive Frau des Kreisauer Kreises, schwieg ihr Leben lang. Das war auch der Sozialisation, dem Selbstverständnis dieser Frauen geschuldet. Man war zuerst auch um das Andenken der Männer bemüht oder kämpfte ganz praktisch um Entschädigungszahlungen. Aber auch die Angst vor Anfeindungen war lange groß. Erst nachdem man den NS-Staat offiziell als Unrechtsstaat eingestuft hatte, setzte die Rehabilitation für manche „Verräter“ und deren Hinterbliebene ein. Die deutsche Bevölkerung war ja nach dem Krieg alles andere als vollständig von Hitler geheilt, was eine Umfrage im Jahr 1951 zur Haltung gegenüber dem 20.Juli 1944 zeigte. Die Zeit kommentierte: „Sieben Jahre – und die Verräter von damals gelten beinahe schon wieder als Verräter.“In den 1950er Jahren schien nur die Weiße Rose unverfänglich reduzierbar auf den reinen Widerstand. Die Deutschen sahen sich als Opfer, Verführte, Irregeleitete. Und rechts wie links oder hüben wie drüben versuchte man den Widerstand politisch zu vereinnahmen. Ohne größere Skrupel griffen damals FAZ und Stern die Gerüchte um die Harnack / Schulze-Boysen-Gruppe auf. Die Rote Kapelle, wie sie die Gestapo schon nannte, sei keine Widerstandsorganisation gewesen, sogar immer noch ein von der Sowjetunion bezahlter Spionagering. Maßgeblich verantwortlich für diese Verunglimpfung war der Generalrichter a. D. Manfred Roeder (der zehn Jahre zuvor das Todesurteil über die Männer und Frauen der Gruppe gefällt hatte). Eine posthume Würdigung erfuhr Cato Bontjes van Beek in der DDR, wenngleich sie nie den Großen Vaterländischen Verdienstorden erhielt.Und noch 2010, als Freya von Moltke 98-jährig starb und zwei Biografien erschienen, meinte ein Rezensent abfällig: „Hundert Jahre Leben machen noch keine Jahrhundertgestalt, und eine wirkliche Lebensleistung, sei nicht zu erkennen.“ Das hatte Tradition, Frauen im Widerstand wurden schon von den Nazis nicht ernst genommen – allenfalls samt der Kinder in Sippenhaft. „Als die Zellentür hinter mir ins Schloss fiel, fühlte ich mich nach Wochen ohnmächtiger Angst und Hilflosigkeit fast erleichtert“, erinnerte sich Clarita von Trott zu Solz. Sie erfuhr erst zwei Jahre später, was ihren „Verräterkindern“ widerfahren war. Eine andere beliebte Methode, noch in den Nachkriegsjahren, war das Attest „sexuelle Hörigkeit“, weswegen man Cato Bontjes van Beeck „nur“ wegen Beihilfe zum Hochverrat verurteilte.„Eine Hausfrau konnte, selbst wenn sie gewollt hätte, Hitler nicht töten,“ schreibt Geyken. Was also meint Widerstand, wenn die Grenzen zwischen Nonkonformität, Verweigerung und aktivem Widerstand fließend sind? Etwas umfassender könne man von „widerständigem Handeln“ sprechen, meint Geyken, in das man allmählich hineingewachsen sei, wie die Männer übrigens meist auch. In diesem Sinn erfährt der Leser von würdigen Frauen mit einem erstaunlich erfüllten Leben nach dem Krieg, einige von ihnen wurden sehr alt, Clarita von Trott zu Solz, geboren 1917, starb erst im März letzten Jahres. Als Ehefrau waren diese Frauen zwar nicht im heutigen Verständnis emanzipiert. Eine uneingeschränkte Solidarität gegenüber dem Partner war selbstverständlich, eine Haltung, die aber die eigene Selbstbestimmtheit nicht tangieren musste. Nach dem Krieg gingen diese Frauen eigenständige Wege. Wie Clarita von Trott zu Solz, die als Psychotherapeutin arbeitete, oder die Berliner SPD-Politikerin Annedore Leber. Besonders jene brachen auf in ein neues Leben, die seinerzeit gleichsam auf Augenhöhe den Kaffee für die „Helden“ gekocht hatten. Die Liebe, erfährt man, war ein Privileg. Die Möglichkeit zur Abschiednahme ein Kraftquell. In einem letzten Brief an ihren Mann schrieb Annedore Leber: „Mein lieber, guter alter Julien, ich habe Dir nur zu danken, immer und immer.“
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