Wirbel um den Karmapa Lama

Tibet Ist der potenzielle Nachfolger des Dalai Lama ein Agent Chinas - oder dessen größter Gegner?

Im Morgengrauen eines eiskalten Januartages ziehen die indischen Behörden das Netz um einen jungen tibetischen Mönch zusammen. Der Fall Karmapa schießt in die internationalen Schlagzeilen: Polizeirazzia im altehr­würdigen nordindischen Gyuto-Kloster, Mönche in Handschellen, illegale Grundstückskäufe und säckeweise beschlagnahmte Devisen – darunter verdächtig viele Yuan. Schließlich noch zwei chinesische Simcards – finster! Ist der Karmapa Lama, eine der wichtigsten Figuren des tibetischen Buddhismus, am Ende ein Agent Pekings? Der Mann sagt nein. Doch die Kugel rollt...

Der Verdacht gegen Ogyen Trinley Dorje alias Karmapa Lama ist ja nicht neu. Er füllt die Akten indischer Geheimdienste seit dem Januar 2000. Damals tauchte der heilige Teenager urplötzlich vor den Pforten der tibetischen Exil­regierung in Dharamsala auf. Er war aus Lhasa geflohen, wo er als Siebenjähriger unter der Ägide Pekings inthroniert worden war, und hatte in einem waghalsigen Ritt die verschneiten Berge Himalayas überquert. Ein Heiliger, fanden die jubelnden Tibeter. Eine faule Geschichte, argwöhnte die indische Regierung.

Der Karmapa Lama ist das Oberhaupt der Kagyu-Sekte der Schwarzen Hüte, der ältesten und reichsten der drei buddhistischen Sekten, die Tibet jahrhundertelang beherrschten. Als Tibet 1950 von China militärisch annektiert wurde, floh der Vorgänger des Karmapa Lama nach Sikkims und errichtete im Rumtek-Kloster ein neues Machtzentrum der Schwarzen Hüte. Der Dalai Lama machte dann das indischen Dharamsala zum Sitz der tibetischen Exilregierung – Grund genug für China, Indien 1962 den Krieg zu erklären.

Kontrolle über Tibet ist für China immer noch eine Kernfrage. Seit Jahren versucht es, in die Thronfolge einzu­greifen. Traditionell ist die durch das recht interpretationsbedürftige Prinzip der „Reinkarnation“ geregelt, das seit je ein ideales Spielfeld für kalte Coups geboten hat. So nutzte Peking 1992 die Machtkämpfe nach dem Tod des 16. Karmapa Lama in Rumtek aus, um Ogyen Trinley Dorje in Lhasa zu inthronieren. Er wurde der erste „lebende Buddha“ mit dem Segen Pekings. Der zweite Coup war dann weniger elegant: 1995 kidnappte der chinesische Geheimdienst kurzerhand das von Tibet zum neuen Panchen Lama erkorene „goldene Kind“ und ersetzte es durch eine Marionette.

Nun könnte schon bald die heikelste Operation auf dem Programm stehen: die Nachfolge des Dalai Lama. Angeblich hat die kommunistische Regierung in Peking schon mal heimlich politisch korrekte „Richtlinien für die Reinkarnation“ erstellt. Ironischerweise ist der betagte Mönch, der seit Jahren als Pekings Schreckgespenst um den Globus reist, ein weiser Ketzer, wenn es um Reinkarnation geht. Mal plädiert er dafür, das alte System einfach abzuschaffen und bezeichnet sich als Letzter seiner Art, mal prophezeiht er, dass seine Seele einst „in einem freien Land“ und höchstwahrscheinlich mit einem weiblichen Körper weiterleben werde. Wahrscheinlicher allerdings ist, dass der Dalai Lama den gebildeten, charismatischen und diplomatisch versierten jungen Karmapa Lama zu seinem Nachfolger designiert hat. Damit könnte der über Nacht zum Führer von Millionen Buddhisten innerhalb und außerhalb Tibets werden. Ein gefährlicher Mann, sollte er Pekings Agent sein. Und ein gefährlicher Mann, sollte er Pekings größter Gegner werden.

Wirbel um den Karmapa Lama: Ist er ein Agent Chinas – oder deren größter Gegner?Ursula Dunckern über den Nachfolger des Dalai Lama

Ursula Dunckern schrieb im Freitag zuletzt über das Urteil zur Tempelstadt Ayodhya

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