Wird Präsident Putin Oberst Budanow begnadigen?

Russland Der Fall eines ehemaligen Militärkommandeurs weitet sich zu einem Streit um Recht und Unrecht im Kaukasus-Krieg aus

General Wladimir Schamanow, einst Kommandeur der 58. Kaukasischen Armee und heute Gouverneur des Gebietes Uljanowsk, hat am 20. September ein Gnadengesuch unterschrieben, das Oberst Juri Budanow, einen seiner ehemaligen Unterstellten, rehabilitieren soll. Das Gesuch ist an den Oberbefehlshaber der Streitkräfte Russlands, Wladimir Putin, gerichtet. Als Gouverneur ist Schamanow berechtigt, beim Präsidenten um die Begnadigung jedes Gefangenen zu bitten, der seine Strafe in einer Haftanstalt auf seinem Territorium verbüßt.

Im Juli 2003 war Oberst Budanow zu zehn Jahren Freiheitsentzug und zur Aberkennung aller militärischen Auszeichnungen verurteilt worden. Ein Militärgericht des nordkaukasischen Bezirks sah es als erwiesen an, dass der Kommandeur eines Panzerregiments in der Nacht auf den 27. März 2000 das tschetschenische Mädchen Elsa Kungajewa ermordet hat. Der Prozess - er dauerte zwei Jahre - spaltete nicht nur jene Einheiten der russischen Armee, die in Tschetschenien kämpfen, sondern auch die russische Gesellschaft. Viele Offiziere bewerteten das Strafverfahren als Versuch des Kremls, die Verantwortung für die im Kaukasus-Krieg seit 1999 verübten Verbrechen an der Zivilbevölkerung auf die Armee abzuwälzen. Elsa Kungajewa war einem solchen Gewaltakt zum Opfer gefallen - Budanow hatte sie eigenhändig erwürgt. Seine Behauptungen, es habe sich bei Kungajewa um eine Scharfschützin gehandelt, war von ihm erst zu hören, als das Verfahren schon lief. Der Militärstaatsanwalt war von Anfang an der Auffassung, vor dem Mord sei das Mädchen vergewaltigt worden. Diese Tatversion empörte den damaligen russischen Generalstabschef Anatoli Kwaschnin, aber auch Präsident Putin verlangte eine peinlich genaue Untersuchung.

Die Begleitumstände ließen darauf schließen, dass der Prozess gegen Budanow nicht lange dauern würde. Bald jedoch wurde erkennbar, wie sich das Verfahren zusehends politisierte. In der Armee wurde unumwunden darüber debattiert, ob es überhaupt möglich sei, einen effektiven Krieg gegen die Terroristen im Nordkaukasus ohne Repressalien gegen die Menschen zu führen, die Shamil Bassajew und andere unterstützen. Bei Oberst Budanow handele es sich immerhin um einen mit dem Tapferkeitsorden ausgezeichneten Führungsoffizier der kämpfenden Truppe, argumentierte die Verteidigung.

In ganz Russland entstanden patriotische Zirkel, die Budanows Freilassung durchsetzen wollten. Bald stand außer Frage, sollte der Oberst zum Kriegsverbrecher erklärt werden, würde das scharfe Proteste auslösen. "Der kämpfenden Armee wird der Dolch in den Rücken gestoßen", gebärdeten sich radikale Kritiker. Während bis dahin die deprimierende Lage im Kaukasus dem bei einem Hubschrauberunglück ums Leben gekommenen General Lebed zugeschrieben wurde, der 1996 das Friedensabkommen von Chassawjurt mit dem damaligen tschetschenischen Militärchef Maschadow ausgehandelt hatte, wurde jetzt der Name von Wladimir Putin ins Spiel gebracht. Er war es schließlich, der dem Terrorismus einen kompromisslosen Kampf angekündigt hatte.

So stand die russische Rechtsprechung vor einer alles andere als einfachen Entscheidung. Einerseits lag es auf der Hand, dass es eine Menge Indizien gab, die Budanows Schuld bestätigten. Andererseits wusste das Gericht um den politischen Hintergrund des Prozesses. Doch hinderte das die Militärrichter letzten Endes nicht, ihren Schuldspruch zu fällen. Ein bemerkenswerter Vorgang, weil es nicht nur um einen Kommandeur aus der kämpfenden Truppe ging, sondern auch der Vorrang des Gesetzes gegenüber politischen Erwägungen und einer korporativen Moral betont wurde.

Der Kreml reagierte sofort in Gestalt von Präsidentenberater Sergej Jastrembski, der erklärte: "Eine richtige Entscheidung. Das Gericht hat Mut und Willen gezeigt. Das ist kein Schlag gegen das Militär. Im Gegenteil: Das gereicht der Armee zur Ehre. Sie wird von Leuten gesäubert, die ihre Uniformen beschmutzt haben ..."

Die Tatsache, dass der umgehend degradierte Budanow seine Strafe auf dem Territorium des Gebietes Uljanowsk verbüßt, war alles andere als ein Zufall. General Schamanow, der sich schon während des Prozesses aktiv für seinen ehemaligen Offizier eingesetzt hatte, tat alles, was in seinen Kräften stand, damit Budanow eine Deportation weit in den Osten erspart blieb. Heute nun will Schamanow offenkundig vom Geisel-Drama in Beslan profitieren, wenn er das Gnadengesuch an Wladimir Putin persönlich richtet.

Den Präsidenten setzt das einigermaßen unter Druck. Dem Gesuch des Gouverneurs zu entsprechen, würde bedeuten, dass der Kreml dem Willen einer bestimmten Fraktion des Militärs nachgibt, die volle Handlungsfreiheit bei der Anti-Terror-Kampagne im Kaukasus fordert und im konkreten Fall darauf besteht, dass Budanow nicht nur begnadigt wird, sondern auch als Oberst wieder seinen Dienst tun kann. Andererseits ist Putin verpflichtet, die Reaktion jener Bürger Tschetscheniens zu berücksichtigen, die den Präsidenten Russlands als Garanten von Recht und Gerechtigkeit im Lande betrachten. Da Putin derartigen Gesuchen ohnehin selten stattgibt, ist anzunehmen, dass er auch die Intervention von Schamanow, dessen Amtszeit als Gouverneur abläuft, lediglich als Intervention bewertet - und ablehnt.


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