Wissen unterliegt keinem Denkmalschutz

Unis Den streikenden Studenten wollen die universelle Bildung retten. Die Reaktion der Frankfurter Goethe- Universität darauf darf keine Schule machen

In Athen, Wien, München, Tübingen, Paris, in ganz Europa haben sich die Studenten erhoben, um gegen eine Studienreform, den so genannten ­Bologna- Prozess, zu protestieren, dessen bürokratischer Unsinn allenfalls von den für diese Neuregelung Verantwortlichen abgestritten wird. An der Frankfurter Goethe-Universität hatten Studenten das Casino im IG-Farben-Bau, in dem heute die Universität residiert, besetzt. Hier hat sich nun der Universitätspräsident Werner Müller-Esterl durchgesetzt. Er rief die Polizei. Der ­Chemiker ließ die Universität von den Studierenden räumen.

Anders als im grünen Tübingen (da sind die Studierenden nach präsidialer Räumungsdrohung einfach davongelaufen), anders als in Wien oder selbst in München, wo die Unileitung den Gesprächsfaden zu den protestierenden Studenten nicht abreißen ließ. Im angeblich liberalen Frankfurt hingegen entschied sich der Unipräsident nicht für die zivile Konfliktlösung, sondern für die rohe Gewalt. Der Grund? Studierende hatten einen Wandschmuck angebracht, der dem Geschmack des Präsidenten nicht entsprach. Denkmalschutz!

Ausgerechnet in Frankfurt am Main! Dort, wo sonst die Behörden gern den Abriss ganzer denkmalgeschützter Hochhäuser durchwinken, wenn diese nicht mehr den Renditeerwartungen einflussreicher Unternehmer entsprechen. Im Fall des IG-Farben-Baus dient nun der Denkmalschutz als Argument, um Studenten zu maßregeln, die sich doch nur gegen etwas wehren, das doch eigentlich auch dem Uni-­Präsidenten wichtig sein sollte: Gegen den drohenden Untergang der Universität samt ihrem hohen Qualitäts­anspruch in der Lehre. Denn Ursache der europaweiten studentischen Kämpfe ist der so ­genannte Bologna-Prozess. Das eigent­liche Ziel war, eine europäische Vergleichbarkeit der Studienabschlüsse zu schaffen. Doch die Eurokraten haben eine Regelung geschaffen, die genau dies verhindert. Der Bologna-Prozess ist eines der selten Beispiele, wie gutgemeinte Reformen das genaue Gegenteil bewirken.

Obschon die Universitäten formal ­unabhängiger geworden sind, sehen sie sich jetzt einer permanenten Evalu­ierung ihrer Studiengänge durch die Kultusbehörden ausgesetzt, mit der die traditionelle Kontrolle, die doch eigentlich gelockert werden sollte, bei weitem übertroffen wird.

Der Zugriff der Wirtschaft wie des Staates auf die universitäre Wissenschaft ist inzwischen äußerst robust. Ob die Kultusminister, die Ende der Woche zu ihrer Jahreskonferenz zusammen­gekommen sind, dem entgegensteuern können oder überhaupt wollen, ist mehr als zweifelhaft, auch wenn sich selbst in diesen Kreisen die Einsicht durchgesetzt zu haben scheint, dass hier einiges schiefgelaufen ist. Sie fordern von den Hochschulen nun eine Reform der umstrittenen Studiengänge. Die Hochschulen sollen das Studium als 40-Stunden-Woche für jeden Studenten organisieren. Das zeigt, die Politik will im Prinzip am Bologna-Prozess festhalten.

Es ist nicht leicht, im praktischen Lehrbetrieb jemanden zu finden, der das für gut hält. Mit Ausnahme vielleicht von Werner Müller-Esterl. Die Universität Frankfurt schmückt sich mit der ­Goethe-Sentenz: „Unwissende werfen Fragen auf, welche von Wissenden schon vor tausend Jahren beantwortet worden sind.“ Ihrem Präsidenten genügte offenbar die nur ein knappes Jahrhundert alte Weisheit eines Hohenzollernprinzen. Der wusste schon 1915, wie nicht nur der Aufstand in Elsass-Lothringen zu liquidieren sei: „Immer feste druff! Wilhelm, Kronprinz“. Wenigstens die Kultusministerkonferenz sollten damit nicht durchkommen.


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