Witzig, eingängig, präsent?

NACHHALTIGE POLITIK Winfried Hermann, Bündnis 90/Die Grünen, über eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie und die Einflussmöglichkeiten eines Zukunftsrats

Im Januar soll, sieben Jahre nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio, die Konzipierung einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie im Bundestag beschlossen werden. Eine zentrale Rolle innerhalb dieser Strategie haben ein neu zu gründender Nationaler Zukunftsrat mit beratender Funktion und ein Green Cabinet. Der Zukunftsrat hat die Aufgabe, Ideen, Projekte und Ziele der Strategie zu entwerfen. Ihm sollen 15 Repräsentanten gesellschaftlicher Gruppen angehören (Kommunen, Gewerkschaften, Wirtschaft, Landwirtschaft, Wissenschaft, Umwelt- und Verbraucherverbände, Kirchen, Medien und Entwicklungsorganisationen), die vom Bundeskanzler persönlich bestimmt werden. Das Green Cabinet ist als ressortübergreifender Staatssekretärsausschuss gedacht, der die Politiken der Ressorts Umwelt, Bildung und Forschung, Entwicklungshilfe, Wirtschaft, Verkehr und Bauen sowie Außenministerium und Kanzleramt auf das Ziel Nachhaltigkeit hin koordinieren soll.

FREITAG: Woher stammt die Idee eines Zukunftsrats für Nachhaltigkeit und weshalb setzen Sie so große Hoffnungen in ihn?

WINFRIED HERMANN: Die Enquete-Kommission zum Schutz von Mensch und Umwelt hatte bereits in der vergangenen Legislaturperiode den Gedanken eines Nachhaltigkeitsrats ins Spiel gebracht. Aber die frühere Bundesregierung realisierte sie nicht. Bei den Koalitionsverhandlungen wurde dann der Beschluss gefaßt, eine Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln. Marion Caspers-Merk von der SPD und ich haben dann die Idee der Enquete aufgriffen und ausgestaltet. Andere Länder haben gute Erfahrungen mit einem solchen Zukunftsrat gemacht. Der konkrete Auftrag, nationale Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln, besteht seit der Umweltkonferenz in Rio 1992. Das Ausland, zum Beispiel Großbritannien, Schweden, die Niederlande und die Schweiz, ist bereits viel weiter als wir.

Ansonsten wäre diese Enquete-Kommission, wie viele andere, folgenlos?

Das ist ein wirkliches Problem: Drei Enquete-Kommissionen zu den Themen Umwelt und Klimaschutz haben jetzt nacheinander zum Teil sehr gute Vorschläge entwickelt, aber nichts wurde politisch wirksam gemacht. Es gab lediglich ein schriftliches Konzept für Einzelschritte, das unter Frau Merkel entwickelt wurde. Aber über dieses papierene Stadium ist es nie hinausgekommen. Die drei Enquete-Kommissionen wurden von uns, damals als Oppositionsfraktionen, sehr stark mitgestaltet - und nun haben wir die Möglichkeit, Ideen daraus zu realisieren.

Weshalb wurde im Oktober 1998 nicht sofort ein Ökologieministerium mit umfangreicher Zuständigkeit geschaffen? Das hätte doch mehr Gestaltungskraft.

Die Grünen haben sich für ein kompetenzmäßig aufgewertetes Umweltministerium eingesetzt, aber Schröder hat sich darauf nicht eingelassen. Wohl jedoch auf eine Strategie der nationalen Nachhaltigkeit, in die verschiedene Ministerien einbezogen sind.

Aber woher soll der Biss kommen? Der Zukunftsrat soll, anders als Jens Reichs Idee eines "Rats der Weisen", kein Veto-Recht haben und keine bindenden Beschlüsse fassen können, sondern nur beratende Funktion erhalten. Genauso wie die Enquete. Der Zukunftsrat wird über das Green Cabinet nur enger an die Exekutive angebunden. Aber das muss ihn nicht kräftiger machen, es könnte ihn auch schwächen. Könnte es dem Nachhaltigkeitsrat beispielsweise gelingen, Schröder und Klimmt dazu zu bewegen, den Bundesverkehrswegeplan umzuschreiben?

Der Zukunftsrat berät, er kann nicht bindend für die Regierung beschließen. Man kann ja nicht so einfach das Grundgesetz aushebeln. Bundestag und Bundesregierung müssen die Strategie dann letztendlich beschließen und umsetzen. Aber natürlich bitten wir nicht 15 kluge Leute zusammenzukommen, damit sie sich Gedanken machen - um dann ihr Ergebnis zu ignorieren. Sondern es ist der ernsthafte Wille da, die Vorschläge umzusetzen. Das Kanzleramt hat signalisiert, dass es einen aktiven Part bei der Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie und der Ernennung des Zukunftsrates spielen will. Konkret ist Kanzleramtsminister Steinmeier zuständig. Ursprünglich hatten wir daran gedacht, den Zukunftsrat als überparteiliches Gremium mit einer Anbindung an den Bundespräsidenten zu schaffen. Aber wenn der Kanzler sich für diese Idee engagieren will, ist die jetzige Konstruktion geeigneter. Und alles deutet darauf hin, dass Schröder auch in diesem Punkt von Tony Blair lernen will. Außerdem soll der Rat den Gedanken der Nachhaltigkeit in die Gesellschaft tragen. Politik soll partizipativer gestaltet werden. Zum Beispiel könnten Automobilunternehmen und Umweltverbände gemeinsam ein zukunftsfähiges Mobilitätskonzept entwickeln und jeweils für ihren Bereich Selbstverpflichtungen unterschreiben. Ebenso könnte die Chemische Industrie im Rahmen einer solchen nationalen Nachhaltigkeitsstrategie eine neue Rolle für sich finden. Wir erwarten, dass alle gesellschaftlichen Gruppen auch selb ständig Beiträge leisten.

Eine Strategie enthält bereits die Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" des Wuppertal-Instituts, aber Lobbyisten, zum Beispiel der Agroindustrie, haben sie massiv bekämpft. Weshalb erwarten Sie sich vom Zukunftsrat mehr Durchsetzungsfähigkeit?

Es gibt verschiedene Studien, aber sie decken nicht alle Bereiche ab und sind auch, was die einzelnen Schritte angeht, nicht konkret genug. Wir wollen eine ausgewogene Strategie finden, die klare Maßnahmen, Fristen und Ziele vorgibt.

Wer soll Mitglied des Rates werden?

Ich werde jetzt keine Namen nennen. Gedacht ist an Persönlichkeiten, die sich hohe wissenschaftliche und gesellschaftliche Anerkennung erworben haben und sich durch zukunftsfähige Initiativen hervorgetan haben. Also beispielsweise nicht der übliche Vertreter eines Wirtschaftsverbandes, sondern ein Manager oder Unternehmer, der in seinem Unternehmen einen Maßstab für nachhaltige Produktionsweisen gesetzt hat. Oder ein Theologe, ein Wissenschaftler, der wichtige Gedanken zu diesem Thema beigetragen hat. Auch die Jugend soll vertreten sein und die Kunst oder ein Vertreter einer Werbeagentur. Der beste Rat nutzt nichts, wenn er seine Gedanken nicht über den eigenen Zirkel hinaustragen kann. Wir wollen die Breite der Gesellschaft erreichen, das gelingt nur, wenn eine verständliche Sprache gesprochen wird, wenn Beispiele und Projekte entwickelt werden, die überzeugen. Der Rat hat diese doppelte Funktion: die Regierung zu beraten und die Gesellschaft für das Thema zu gewinnen. Eine Nachhaltigkeitsstrategie ist kein Fünf-Jahres-Plan, sondern eher ein Rahmen mit bestimmten Eckpunkten und ein Raum für Ideen und Handeln.

Aber es gibt Indikatoren?

Die Indikatoren werden im Rahmen dieser Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt werden. Das Problem ist, aus der Fülle der vorhandenen, teilweise sehr detailistischen Indikatoren eher zusammenfassende und gut verständliche Indikatoren zu entwickeln, die auch die Mehrdimensionalität des Begriffes repräsentieren. Wie könnte beispielsweise ein Indikator für das Dreieck von Arbeit, Energie und Materialfluss aussehen? Oder: Derzeit ist die Arbeitslosenquote ein Indikator der Wirtschafts- und Sozialpolitik, aber sie ist kein Nachhaltigkeitsindikator, sondern man müss te die Bereiche Arbeit und Umwelt verbinden. Über die Entwicklung neuer Indikatoren entstehen auch neue Wegmarken auf dem Weg zur Realisierung des Leitbildes Nachhaltige Entwicklung. Bei der Wohnungsversorgung etwa wird die Größe des Wohnraums nicht das Kriterium für Fortschritt bleiben, sondern man muss den Faktor Flächen- und Ressourcenverbrauch einbeziehen, ebenso die soziale Qualität des Wohnviertels. In der Sozial- und Wirtschaftspolitik gibt es bereits solche komplexen Indikatoren, zum Beispiel das Bruttosozialprodukt in Verbindung mit der gesellschaftlichen Verteilung, der sogenannte Gini-Index ist zum Beispiel ein Maßstab für Verteilungsgerechtigkeit.

Derartige Indikatoren, MIPS (Materialintensität pro Serviceeinheit) oder FIPS für die Sinnhaftigkeit von Flächenverbrauch, wurden doch bereits vom Wuppertal-Institut entwickelt.

Ja, aber nur einige. Und wer kennt sie denn? Sie haben sich bisher noch nicht durchgesetzt, obwohl sie interessante Vorschläge sind. Auf der EU-Ebene gibt es derzeit mehrere Arbeitskommissionen, die Nachhaltigkeitsindikatoren erarbeiten, die dann für die EU selbst und die Mitgliedsländer gelten sollen. Es würde nicht nur unsere nationale Arbeit sehr erleichtern, wenn diese Arbeitsgruppen rasch zu konkreten Ergebnissen kämen, sondern auch die Kooperation mit und innerhalb der EU. Wir brauchen eine gemeinsame Messlatte für Fortschritte.

Wer soll die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Nachhaltigkeitsrats machen, das Kanzleramt oder ein eigenes Büro?

Der Zukunftsrat soll eine eigene Geschäftsstelle auch zur Öffentlichkeitsarbeit erhalten. Es muss die Möglichkeit geben, notfalls auch eine Kampagne gegen aktuelles Regierungshandeln zu starten. - Übrigens glaube ich, dass man mit guten Pressekampagnen oft mehr bewirken, mehr Menschen zu einer Verhaltensänderung führen kann als mit Gesetzesinitiativen. Mein Traum ist eine Nachhaltigkeits-Kampagne, die so witzig, eingängig und überall präsent ist wie die Anti-AIDS-Kampagne. So dass in zwei Jahren jeder in Deutschland weiß, was Nachhaltigkeit ist, wie man sie erreicht.

Das Gespräch führte Stefanie Christmann

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