Wenn er malt, wenn er zeichnet, wenn er an seinen Collagen arbeitet, dann hört Sam Nhlengethwa eigentlich immer Musik, dann hört er Jazz. Ein Plattenspieler und zwei Boxen stehen in dem Arbeitsraum im Frankfurter Weltkulturen-Museum, eingerahmt zwischen zwei Lederstühlen. Sein ältester Bruder war Jazzmusiker in Südafrika, vor einigen Jahren ist er bereits gestorben. „Wenn ich die Musik höre, dann erinnere ich mich an ihn“, sagt Nhlengethwa. Kunst machen ohne Musik, das ist für ihn wie ein Abendessen ohne Getränke. Es geht, aber es geht nicht wirklich gut.
Sam Nhlengethwa, Jahrgang 1955, gilt als einer der wichtigsten Künstler Südafrikas. Mit dem Ende der Apartheid hat seine Karriere an Fahrt aufgenommen. In Europa, in den Vereini
en Vereinigten Staaten, in Asien, überall wurden seine Arbeiten gezeigt. 2013 war er bei der Biennale in Venedig vertreten. Im Sommer ist er nach Frankfurt am Main gekommen, um an neuen Werken für eine Gruppenausstellung im Weltkulturen-Museum zu arbeiten. Zwei Monate verbrachte er in den Atelierräumen des Hauses. A Labour of Love wird die Schau heißen, in der ersten Dezemberwoche eröffnet sie.Nhlengethwa ist ein Mann von Statur, ein Mann mit Präsenz. Er spricht ruhig, er hat etwas Einnehmendes. Im knallgrünen T-Shirt führt er durch die Räume der Gründerzeitvilla, vom ersten Stock, wo er sich sein Atelier eingerichtet hat, über die knarzende Holztreppe ins Erdgeschoss, wo die Ausstellungsmacher sitzen. Er zeigt Werke, die für die Schau ausgewählt wurden, er breitet sie auf einem langen Tisch aus. „Die meisten davon sind 1985 oder 1986 entstanden, es sind Situationen aus den Townships, es sind Momentaufnahmen“, sagt Nhlengethwa.„And what about love?“ Diese Frage formulierte der Jurist und Anti-Apartheid-Aktivist Albie Sachs in seinem Text Preparing Ourselves for Freedom. Er schrieb ihn Mitte der 80er, als die Repressionen gegen den African National Congress (ANC) und andere Oppositionelle noch einmal zunahmen, als über 2.000 Personen im Rahmen des sogenannten Internal Security Act inhaftiert wurden, als der Ausnahmezustand ausgerufen wurde. Wo bleibt die Liebe? Gibt es in einer solchen Situation überhaupt noch Privatheit? Der Ausstellungstitel nimmt bewusst Bezug auf diese Schrift.Vorbild Basquiat„Es gab keine Hoffnung, dass das Land jemals wieder Licht sehen würde“, so beschreibt Sam Nhlengethwa die damalige Zeit. „Viele Künstler waren auf der Suche nach Arbeit, viele wurden ermordet.“ Trotzdem ging das Leben weiter. Man ging in die Bars, man ging in die Kirche, es wurde geheiratet, gefeiert, getanzt. „We were boogying“, sagt Nhlengethwa. Es waren hart erkämpfte, besondere Augenblicke. „Wenn wir uns in einer Bar getroffen haben, dann wussten wir immer: Das hier ist nicht die Realität.“ In seinen Collagen sieht man deshalb beides parallel, Momente der Freiheit und Momente der Repression. „Hätte ich nicht die zwei Seiten gezeigt, dann wäre es nicht wahr gewesen“, sagt der Künstler.Seit 1986 besitzt man im Ausstellungshaus, das damals noch Museum für Völkerkunde hieß, Kunst von Sam Nhlengethwa. Etwa 600 Werke von jungen, schwarzen Künstlern aus Südafrika wurden damals eingekauft, zu einer Zeit, als sich die allermeisten ethnologischen Museen noch ganz auf die Bestandspflege konzentrierten, als vor allem konserviert und ausgestellt wurde, was in der Kolonialzeit – oft unrechtmäßig – eingesammelt worden war. Viele der damals noch komplett unbekannten Künstler aus Südafrika feierten später international Erfolge, etwa Peter Clarke, Lionel Davis oder David Koloane.Das Museum für Völkerkunde in Frankfurt war ein Vorreiter, bereits seit der Mitte der 1970er Jahre sammelte man hier zeitgenössische Kunst aus Afrika. Wie aber kam man zu Apartheid-Zeiten, als Südafrika isoliert von der Welt war, als die Gewalt in dem Land den Alltag regierte, an diese Kunstwerke? Franz Josef Thiel, der Direktor des Museums, schickte einen evangelischen Pastor. Hans Blum hatte lange als Missionar in Swasiland gearbeitet, in dem seit 1968 unabhängigen Binnenstaat, der an Südafrika und Mosambik grenzt. Und Blum, der sich in kirchlichen Gruppen gegen die Apartheid engagierte, sammelte selbst Kunst aus dem südlichen Afrika. Er organisierte regelmäßig Ausstellungen in Kirchenräumen.Mit 100.000 D-Mark reiste der Geistliche 1986 im Museumsauftrag nach Südafrika, 33 Tage nahm er sich Zeit, in Johannesburg, Durban, Kapstadt, Windhuk und Swasiland machte er sich auf die Suche nach Werken für das Frankfurter Haus. „Die Lage war sehr angespannt“, erinnert sich Blum, der seit einigen Jahren schon im Ruhestand ist, an die Reise. Dass die Künstler damals sehr überrascht waren, als Blum auftauchte, erzählt Nhlengethwa. Über Kirchenkontakte war Blum auf das Rorke’s Drift Art Centre in der Provinz Natal, eine nichtuniversitäre Ausbildungsstätte, aufmerksam geworden. Viele, von denen er Arbeiten kaufte, haben hier ihr Handwerk gelernt, auch Nhlengethwa. Blum habe die Künstler immer nach dem Preis gefragt. „Er hat nie gefeilscht, das hat uns beeindruckt“, sagt Nhlengethwa. Und: „Es war ein berührender Moment, diese Bilder nun wiederzusehen.“ Ein Großteil der Werke, die er damals angefertigt hat, befindet sich heute in Privatsammlungen.Die Künstler waren damals isoliert, vom weißen südafrikanischen Kunstbetrieb, von den Akademien und den Galerien, aber auch vom Rest der Welt. Inspirationen holte sich Nhlengethwa aus den wenigen Zeitschriften und Katalogen. Jean-Michel Basquiat hat ihn beeindruckt, die Direktheit, das Freie seiner Kunst. Bei Matisse waren es die Farben, die ihn fasziniert haben. Die jungen Künstler hätten sich als Gruppe gefühlt, sagt Nhlengethwa. Und sie sahen sich als Teil der Bewegung gegen das rassistische Regime. „Wir haben gemeinsame Auftritte organisiert, häufig in Jugendzentren. Einer hat seine Gedichte gelesen, ein anderer hat Musik gemacht, und ich habe meine Bilder ausgestellt. Es ging darum, zu zeigen, dass wir trotz der Apartheid in der Lage waren, Kunst zu schaffen“, sagt Nhlengethwa. „Die Apartheid kann unsere Körper töten, unseren Geist aber nicht“, dieser Gedanke habe sie geprägt.Eine Kulisse für MandelaNhlengethwa heuerte beim südafrikanischen Fernsehen an, er gestaltete dort Kulissen. Allein von der Kunst konnte er nicht leben. Er sagt, mit diesem Schritt sei es aber auch darum gegangen, zu beweisen, dass er es schaffen könne, in der von Weißen dominierten Welt Fuß zu fassen: „Ich wollte unbedingt erfolgreich sein.“ 1990 wurde das Verbot des ANC aufgehoben und Nelson Mandela aus dem Gefängnis entlassen. Nach und nach fielen die Gesetze, die die schwarze Mehrheitsbevölkerung ausgrenzten. 1994 kam es zu den ersten freien Wahlen in Südafrika. Nhlengethwa hat damals beschlossen, dass er den Job beim Fernsehen aufgeben wird, dass er sich ganz auf die Kunst konzentrieren möchte. Sein letzter Auftrag beim staatlichen Sender wurde ein ganz besonderer: Nhlengethwa gestaltete die Kulissen für das Fernsehduell zwischen Mandela und Frederik Willem de Klerk, dem amtierenden Präsidenten Südafrikas von der National Party. „Die Parteiführer kamen, um die Bühne abzunehmen. Mandela sagte zu mir, dass ich einen sehr guten Job gemacht habe. Es war einer der bewegendsten Momente meines Lebens.“Placeholder image-1Auch in den neuen Werken, die der Künstler für A Labour of Love nun produziert hat, spielt die Apartheid-Zeit eine Rolle. In einer Collage, die eine Stadtlandschaft aus Hochhäusern und Glasfassaden zeigt, entdeckt man ein Schild mit der Aufschrift „Net Nie-Blankes“ – nur für Nicht-Weiße. Die Gesichter der Menschen erscheinen wie Masken. „In den Augen der Weißen waren wir nicht sichtbar“, sagt Nhlengethwa.26 Jahre lang wurde keines der Werke, die der Pastor Hans Blum 1986 in Südafrika gekauft hat, in dem Frankfurter Museum gezeigt. A Labour of Love soll nun trotzdem keine melancholische Rückschau werden. Eingeladen wurden auch vier junge Kunststudenten aus Südafrika: Michelle Monareng, Matshelane Xhakaza, Chad Cordeiro und Nathaniel Sheppard von der Johannesburger Wits School of Arts. Mit einer Gemeinschaftsarbeit reagieren sie auf die Werke aus der Museumssammlung, die von der Vergangenheit ihres Landes erzählen.Sam Nhlengethwa hat die Arbeit der jungen Künstler noch nicht gesehen. Er sagt, er freue sich auf den Dialog. „Dass wir heute die Freiheit haben, einen Blick zurück auf die Geschichte zu werfen, ist ein großer Gewinn. So können wir auch die Frage stellen, ob Südafrika noch immer auf dem richtigen Weg ist.“ Er ist überzeugt: „Der Wandel ist noch immer nicht abgeschlossen.“Placeholder infobox-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.