Stellen Sie sich vor, Sie betreiben als Deutscher eine in Deutschland registrierte Webseite. Auf ihr setzen Sie sich satirisch mit dem amerikanischen Wahlkampf auseinander, ohne dass sie dabei gegen deutsches Recht verstoßen. Da Sie vorgeben, auf Ihrer Plattform Wählerstimmen an den Meistbietenden zu vermitteln (in Anspielung auf die zentrale Rolle, die Spenden im amerikanischen Wahlkampf spielen), verstoßen sie jedoch gegen amerikanisches Recht. Soweit so gut. Doch nun passiert etwas noch nie Dagewesenes: Ohne dass Sie oder Ihre deutsche Registrierungsstelle davon in Kenntnis gesetzt werden, ist ihre Webseite nicht mehr über ihren angemeldeten Namen erreichbar. Sie ist nicht Opfer eines Hackerangriffs geworden, sondern auf Anordnung eines amerikanischen Gerichts aus de
der zentralen Namensdatenbank (Root Zone-Datei) gestrichen worden.Dieser Fall, der sich letztes Jahr tatsächlich mit der website www.vote-auction.com so zugetragen hat, sorgte für einiges Aufsehen. Erstmalig wurde mit dieser Zensur das nationale Recht eines Staates auf das ganze Internet ausgedehnt. Drängender als zuvor stellt sich die Frage, welches Recht in der neuen Online-Welt gelten soll. So fanden sich rund 250 Juristen vergangenes Wochenende im Friedrichshainer Tagungszentrum Pallisade ein, um über Neues Recht für neue Medien? zu diskutieren.Das Fragezeichen weist daraufhin, dass sich die Diskussion zwischen den Polen bewegt, ob die neue Technologie Internet eine Änderung der bestehenden Gesetze notwendig macht oder ob das bestehende Instrumentarium nach dem Motto, was offline strafbar ist, ist auch online illegal, weiterbenutzt werden kann.Obwohl Juristen dazu neigen, ihre Weltsicht auf Grundlage des Bestehenden zu generieren, macht das Beispiel von vote-auction deutlich, dass es letzendlich nicht um die Frage geht, ob wir ein neues Recht, sondern welches neue Recht wir in Sachen Internet bekommen: Eines, bei dem wir mitgewirkt haben oder eines, das andere gemacht haben. Das globale Netz stellt zum ersten Mal die nationalen Gesetzgeber vor die nahezu unlösbare Aufgabe, fast alle Bereiche vom Marken- und Urheberrecht über die Persönlichkeitsrechte bis hin zu den Presse- und Medienrechten international zu harmonisieren. Schon jetzt ist eine deutliche Zunahme der Verfahren mit Auslandsberührung zu verzeichnen. "Spielte ausländisches Recht früher bei uns nur im Promillebereich aller Gerichtsverfahren eine Rolle, sind es jetzt bereits zwischen 10 und 20 Prozent," untermauert Patrick Mayer, Rechtsanwalt aus Stuttgart, die rechtliche Relevanz des Internets.Die Online-Welt scheint zwar grenzenlos, doch juristisch gesehen ist sie viel enger als die Offline-Gesellschaft. War es früher kein Problem, dass es eine Stadt Heidelberg, eine Firma, mehrere Privatpersonen und Bücher gleichen Namens gab, werden die Gerichte heute mit Klagen belangt, bei denen sie entscheiden müssen, wer denn nun das Recht hat, den Namen Heidelberg als Internetdomain zu betreiben.Im Mittelpunkt stehen dabei Fragen des Markenschutzes, des Urheberrechtes und des Datenschutzes. Auch wenn im Internet bis jetzt kaum Geld verdient werden kann, sind die Verteilungskämpfe voll entbrannt. Auf der einen Seite stehen die grossen Unternehmen, die ihre Marken schützen und ihre Märkte expandieren wollen. Auf der anderen Seite stehen die nationalen Gesetzgeber, die um ihre bisherige Souveränität fürchten. Nicht zu vergessen sind auch die Strafvervolgungsbehörden und Geheimdienste, die möglichst priviligiert an dem Datenfluss partizipieren wollen. Die User haben in diesem Cybermonopoly bisher noch keine Lobby. Lediglich fünf der 17 Direktoren des ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) wurden aus der Netzgemeinde gewählt.Der Europavertreter der Fünf ist der Sprecher des Chaos Computer Clubs Andy Müller-Maguhn. In seinem Referat beschreibt er die seit 1998 bestehende ICANN als einen ersten Versuch, eine Art Internetregierung zu schaffen. "Das Problem dabei ist, dass sie als Firma amerikanischen Rechts der Kontrolle des US-Wirtschaftsministerium unterliegt. Obwohl sie offiziell nur für die Abwicklung technischer Fragen zuständig ist, ergibt sich ihre Machtposition aus der Verwaltung der zentralen Root Zone-Datei. Diese Datei enthält sämtliche Adressen und Namen des Internets und bestimmt damit alle Verkehrsströme des Netzes." Technisch ist es kein Problem, nicht nur eine bestimmte Seite (siehe vote-auction) sondern zum Beispiel alle Seiten mit einer bestimmten Länderkennung vom Netz auszuschliessen. Kriegsführung im Internet ist schon längst kein Begriff mehr nur aus Science-Fiction-Romanen.Da die meisten Gesetze erst in Vorbereitung sind, ist noch offen, ob sich das Netz zu einer Online-Demokratie entwickelt oder ob es von Lobbyinteressen geprägt sein wird. Zumindest bis dahin gleicht es für technisch Versierte noch einem grossen Spielplatz. Nachdem der name vote-auction.com aus dem Netz gestrichen wurde, meldeten die Macher flugs den Namen voterauction.com an. Dort findet man nun die gespiegelte offizielle Seite der Wahlkampagne von George Bush. Ironie zumindest funktioniert in der neuen online-Welt mindestens genauso gut wie offline.