Wir sind in den Neunzigern. Die Jahre der Vermischung und des gegenseitigen Durchdringen-Wollens sind vorüber. Jeder bleibt auf seiner Seite...Wie viele Jahre sind vergangen, seit man es zum ersten Mal gemacht hat? Auf Autositzen. Irgendwo. Nicht aber in Marmorbädern, und nicht in Dachgeschosswohnungen ... Nicht mit dem Hintern auf einem bordeauxroten Waschbeckenrand, und schnell zur Seite geschobenem champagnerfarbenen Slip. Und nicht unter einem Dach mit zwanzig oder dreißig Paaren. Die etwas suchen, was keinem damals gefehlt hat. Fred nicht. Manche Dinge ändern sich, andere nie. Irgendwann signalisiert Conny, dass sie soweit ist, und Fred ist es auch.«
Besser als Liebespaare hätte Ulrich Woelks letztem Roman der Titel Liebesspiele angestanden, dann hätt
estanden, dann hätte man bald an Sexspiele gedacht und ziemlich richtig gelegen. Mit wem machen es Nora und Fred auf der Swinger-Party? Hat Nora es mit Robert gemacht, dem Schriftsteller in seinem italienischen Sommerhaus? Ja, - also paart sich vice versa umgehend Fred mit Roberts Christa. Und wollen Greta, Thomas und Nhyre es zu dritt versuchen? Es ist ein Gehechel von merkwürdiger Kraftlosigkeit, dieses große Liebesspiel, das Ulrich Woelk inszeniert. Und dem abgeht, was sie alle definitiv abgeschrieben zu haben scheinen: Leidenschaft. Liebe. (Liebe? Ein Wort für etwas - für Traum, Rausch, Versprechen - für etwas jedenfalls, das immer Täuschung beinhaltet und mit Enttäuschung endet.)Wo die Liebe hinfällt heisst die erfolgreiche Fernsehserie, für die Storyliner Fred Saltz samt Team jenes »wirkliche Leben« von Runde zu Runde bringt, das vier Millionen Zuschauer regelmäßig am Bildschirm verfolgen. Im wirklichen wirklichen Leben ist Fred Noras Mann, und sie beide sind des Autors wichtigstes Paar im Roman, neben Robert und Christa, Thomas und Kathrin, Greta, Nike und ein paar anderen. Und allesamt sind sie, ob auf Parties und in Kneipen, auf der Filmsitzung und in der Universität, im einen oder anderen Sommerhaus, mit nichts so beschäftigt wie mit der Frage, wo für sie »die Liebe hinfällt«.Dies ist leicht zu lesen - und durchaus zu goutieren; ähnlich dem Zuschauer von Freds Serie lässt man sich deutschen Alltag servieren, appetitlich und verheißungsvoll an- und auf Sex aus-gerichtet, und mit genau soviel Rechtschreibreform, 10 Jahren deutsch-deutscher Vereinigung, Sonnenfinsternis und Flugzeugunglück dekoriert, wie es braucht, um zwischen Überraschung und Wiedererkennung gefesselt zu bleiben.Kann man sich, Kind seiner Zeit, also erkennen, spiegeln in diesem zeitnahen Buch? Seltsamerweise: nein. Etwas fehlt dieser scheinbar so täuschend echt nachgestellten Wirklichkeit und ihren Figuren, und man muss es ganz altmodisch nennen: es fehlen ihnen ihre Geschichte und ihre Stimme; das also, was sie unverwechselbar machen könnte. Was Nora und Christa, Fred und Thomas voneinander unterscheidet, ist Äußerlichkeit. Woelk erweist sich als nimmermüder Zeichner der schönen (oder weniger schönen) Oberflächen; hingebungsvoll beschreibt er Körperlichkeit - der eine Körper in den Augen eines anderen -, Körper, Gestik, Mimik als sexueller Code im großen Gespräch.Aber wo es dann um Begegnung geht, mündet er allzu oft ins völlig Banale. In Woelks Dialogen treffen nicht verschiedene Stimmen aufeinander; vielmehr gibt es etwas wie einen großen Pool an Lebensphilosophie, an allgemeiner bis melancholischer Betrachtung des Lebens, aus dem sich alle Stimmen speisen: »Und was anderes ist Evolution als eine monumentale Soap aus Revierkämpfen, Neid, Missgunst und Paarungsritualen? Nur dass es kein göttliches Weltenexpose gibt, das in irgendeiner kosmischen Schublade versteckt wäre, kein Treatment des Seins, in dem man nachschlagen könnte, wie es weitergeht. Das Leben hat sich selbst verfasst, alles ist Veränderung, Anpassung, Selektion, alles ist im Fluss, strebt vorwärts. Die große Wanderung der Gene. Die Endgültigkeit der Ehe bedeutet Parken mitten auf der Autobahn der Evolution.» Woelk scheint es mehr als um konkrete Stimmen um eine allgemeine Stimmung zu gehen; als suche er einen Platz im Himmel über Berlin, von wo aus er die allgemeine Essenz einer Zeit auf den Punkt bringen könnte, jene anderthalb Jahre vom Sommer 98 bis kurz vor Silvester 99/00. Es gelingt ihm - jenseits des detaillierten Beschreibens der wohletablierten Lebensumgebungen und Rituale einer Generation - natürlich nicht, und könnte es (so) überhaupt gelingen?Wer den Zeitgeist erfassen wollte, ist ihm zum Opfer gefallen: zeitgeistig schreibt Woelk nicht, weil er Aktualitäten behandelt, sondern weil er Geschichte(n) vernachlässigt. Zeitgeistig ist sein Buch in dem Maße, wie es gefällig ist, wie es auch literarisch nach schnellen statt nach echten Lösungen sucht und Pseudo-Intellektualismus statt Intelligenz verbreitet. Was auf den ersten Blick danach aussieht, als erzähle es über Menschen und deren Vielschichtigkeit, bildet in Wahrheit eine geschichtslose Eindimensionalität ab, in der keine plausible Figur entsteht. So liest man Liebespaare tatsächlich so, wie man Wo die Liebe hinfällt schauen würde; zufrieden mit den jeweils neu hin und her geschobenen Steinchen im Spiel des Lebens, abgefunden mit einer umfassenden Beliebigkeit.Denn wer verstehen will, was ist es, was Nora und Fred (oder Christa und Robert) trennt; was es ist, was sie neu paart, ist hier falsch. Was »stimmt« und was »nicht stimmt«, bleibt unverständlich, nicht einsehbar; es bleibt Woelk nicht viel anderes übrig, als gegen Schluss im Konzept der großen Zufälligkeit des Lebens seine Geschichte zu bündeln zu versuchen; dass dafür ein großes Flugzeugunglück und ein kleines privates Glück herhalten müssen, scheint dem Sinn für Pathos und Happy-End des Storyliners Saltz, pardon, Woelk, zu entstammen.»Irgendetwas bedrückt Fred daran. Egal, ob Nora ihn mit Büchern bewirft oder die Erde bebt: nie geht etwas zu Bruch.« Immer dies, halbe Katastrophen, halbe Glücke: Ein Ganzes gelänge vielleicht doch erst, wenn man nach größeren Zusammenhängen forscht und nicht nur nach der jeweils nächsten Etappe in der Fortsetzungsserie.Ulrich Woelk: Liebespaare. Roman. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2001, 448 S., 44,90 DM
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.