Wo ein böser Wille, da ist auch ein Weg

Erika Steinbach Die ehemalige Präsidentin des Bundes der Vertriebenen tritt aus der CDU aus. Der Grund: zu wenig Vertreibung
Ausgabe 03/2017
Gestern noch Demokratin, morgen schon bei der AfD?
Gestern noch Demokratin, morgen schon bei der AfD?

Foto: Christian Thiel/imago

Die Welt ist aus den Fugen, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wie auch anders soll man es deuten, dass der künftige Präsident der USA sein erstes Interview für die Europäer der englischen Times und der Bild-Zeitung gibt. Süddeutsche Zeitung oder Frankfurter Allgemeine haben in Donald Trumps Welt wohl nicht das Format, um als Pendant zur Times aufzutreten. In München und Frankfurt kann man sich allenfalls mit der Überlegung trösten, dass eben – umgekehrt – die Times unter Rupert Murdoch ungeachtet ihrer Optik der Bild-Zeitung ähnlicher geworden ist als mancher anderen.

So ganz ist die Welt aber doch nicht aus den Fugen. Diese tröstliche Gewissheit erhält man, wenn man vom Austritt von Erika Steinbach aus der CDU und der Unionsfraktion im Bundestag hört. Die Frankfurter Abgeordnete war in den letzten Jahren so weit nach rechts gerückt, dass auch erbitterte Unionshasser sie in der Christenpartei nicht mehr passend untergebracht fanden. Dass die unangenehm profilierte Vertriebenenpolitikerin nun ausgerechnet die Flüchtlingspolitik Angela Merkels zum Anlass nahm, um der CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzlerin so oft es ging vors Schienbein zu treten, bestätigt noch einmal mit Aplomb, dass sie dem Ansehen der Vertriebenen zumeist eher geschadet als genutzt hat.

Frau Steinbach, die in Frankfurt ihren Wahlkreis wohl eher dank der CDU als für die CDU errang, will bis zum Ende der Legislaturperiode im Bundestag verbleiben. Angebote aus der AfD für die Zeit danach soll es schon geben. Die aus Westpreußen stammende Frau belässt es einstweilen bei aufmunternden Worten für die Leute von rechts.

Ist das alles konsequent und ehrlich? Das kann man von außen her nicht beurteilen. Schlechter Stil ist es allemal. Was der Frau zugestoßen ist, kommt ja auch schon einmal woanders vor. Der saarländische SPD-Bundestagsabgeordnete Otmar Schreiner etwa, der leider vor einigen Jahren gestorben ist, war zutiefst empört über die Hartz-IV-Gesetze der Regierung Schröder/Fischer. Er konnte darüber mit größerem Abscheu sprechen als ein Pfarrer über die Sünde. Auf die Frage indes, warum er es nicht seinem Landsmann Oskar Lafontaine gleichtue und die SPD verlasse, antwortete er: Er habe in Jahrzehnten so viel Solidarität von den Sozialdemokraten in seinem Wahlkreis Saarlouis erfahren, dass er jetzt nicht einfach die Brocken hinwerfen könne. Auch der Rückzug Lafontaines aus Regierung, Parlament und Partei wegen unüberwindlicher Gegnerschaft zur Politik Gerhard Schröders folgte einer klugen Lagebeurteilung: Sein Verbleiben an der Spitze der SPD nach seinem Rücktritt als Finanzminister hätte Partei und Regierung Spannungen ausgesetzt, die dem gerade erst begonnenen Experiment von Rot-Grün schwer geschadet hätten. Und das wäre auch der Fall gewesen, wenn ein politisches Kraftpaket wie Lafontaine im Parlament oder auch nur in der Partei geblieben wäre. Wer einmal groß und unübersehbar war, kann sich über Nacht klein und hässlich machen. Aber er bleibt ein Gravitationspunkt.

Erika Steinbach hätte damit keine Schwiergkeit gehabt, wenn sie still abgetreten wäre. Sie hätte sich ein Beispiel an Wolfgang Bosbach nehmen können, der genau wie sie Merkels Flüchtlingspolitik vehement ablehnt, das oft und laut gesagt hat und zuletzt das Ende seiner politischen Laufbahn ruhig und sachlich ankündigte, ohne Freunde in der CDU oder gar in seinem Wahlkreis vor den Kopf zu stoßen. Es gibt Zwangslagen in der Politik, da erfordern Überzeugungsernst und Selbstachtung Schritte wie die von Bosbach oder einst von Gustav Heinemann, der wegen der Wiederbewaffnung aus der Regierung Adenauers austrat. Erika Steinbach aber beweist aufs Neue, dass böser Wille und schlechter Stil immerdar zusammengehören.

Der Autor und Journalist Jürgen Busche schreibt in seiner Kolumne Unter der Woche regelmäßig über Politik und Gesellschaft

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