Wo ein Wille ist, ist auch ein Bremsklotz

Türkisch in der Schule Wie ein erfolgreiches Konzept zweisprachiger Erziehung fast völlig von der Bildfläche verschwindet

Man spricht deutsch", titelte die Welt Anfang des Jahres. Ob geschmacklos oder ironisch, der Tenor der aktuellen Debatte zur schulischen Sprachförderung von Migrantenkindern war damit getroffen. Freiwillige Vereinbarungen zum Verbot der türkischen Sprache an einigen Berliner Schulen gelten offenbar neuerdings als integrationspolitische Wunderwaffen. Konzepte, die gezielt auf die Entwicklung von Zweisprachigkeit setzen, erscheinen dagegen als unzeitgemäß.

Das war keineswegs immer so. Noch in den späten neunziger Jahren galt das bis heute praktizierte "Kreuzberger Modell" vielen Eltern und Lehrern als Hoffnungsträger. Es setzt darauf, dass Kinder mit türkischer Muttersprache gezielt zweisprachig alphabetisiert werden. ZWERZ, der Name des Konzepts, steht für Zweisprachige Erziehung. Mit ihm erfährt die Sprache der größten Einwanderergruppe Berlins eine bewusste Aufwertung: Sie wird "Begegnungssprache" im Unterricht - auch für die deutschen Kinder. Der damit einhergehende Statusgewinn der türkischen Sprache, aber auch die fächerübergreifende Einbeziehung der Alltagskultur der Schülerinnen und Schüler sollen das Selbstbewusstsein und die Identitätsbildung fördern. ZWERZ dient ähnlichen Konzepten bundesweit als Vorbild und spielt eine zentrale Rolle in der Theorie und Praxis interkultureller Erziehung. Selbst Schulen in Holland arbeiten mit Materialien, die im Rahmen des Projekts entwickelt wurden. So verwundert es nicht, dass sich der in integrationspolitischen Fragen immer wieder unter Druck stehende Berliner Senat bei passender Gelegenheit gern mit dem "Kreuzberger Modell" schmückt.

Dennoch verschwand der Ansatz in den letzten Jahren fast völlig von der öffentlichen Bildfläche und führt heute ein Schattendasein. Die Arbeitsstelle für Zweisprachige Erziehung wurde im Sommer 2005 aufgelöst; die verbliebenen fünf der einst 17 Schulen erhalten immer weniger Unterstützung. Stellen und Mittel zur wissenschaftlichen Begleitung wurden vom rot-roten Senat genauso zusammengestrichen wie Freistellungsstunden für die beteiligten Lehrer.

Die letzten Berichte zum Thema bezogen sich denn auch auf die Abwicklung des zweisprachigen Unterrichts: So geschehen zum Beispiel im Jahr 2002 an der Karl-Weise-Grundschule in Neukölln. Der Rektor der Schule setzte sich damals für das Ende der zweisprachigen Erziehung ein. Die Deutschkenntnisse der Zuwandererkinder hätten sich nicht verbessert, das Interesse der Eltern sei massiv geschwunden, und er müsse auch an die Bildungschancen der wenigen deutschen Schülerinnen und Schüler denken, die ihm noch verblieben seien. Tatsächlich äußerten besonders deutsche Eltern die Sorge, die muttersprachliche Entwicklung ihrer Kinder könnte durch die Präsenz des Türkischen gefährdet sein. Und überhaupt, was solle man später schon mit Türkisch anfangen? Schulsenator Böger stärkte dem Rektor den Rücken.

Dabei wies eine umfassende wissenschaftliche Evaluation, Anfang der 1990er Jahre vom rot-grünen Senat in Auftrag gegeben, eindeutige Erfolge des "Kreuzberger Modells" in seiner ursprünglichen Konzeption nach - und zwar sowohl gegenüber herkömmlichen Deutschfördermodellen, als auch im Vergleich zu reinen Übergangsprogrammen (muttersprachlichem Unterricht als vorübergehender Hilfe beim Deutschlernen). Dieses Ergebnis deckt sich mit Erkenntnissen aus einer Vielzahl anderer Untersuchungen, die belegten, dass vier bis sechs Jahre währender, kontinuierlich zweisprachig ausgerichteter Unterricht zu einem besseren Sprachverständnis führt als alle herkömmlichen Ausgleichsprogramme. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass auch die deutschsprachigen Kinder vom engen Kontakt mit der türkischen Sprache und der fächerübergreifend angelegten interkulturellen Pädagogik profitieren. Doch die zitierte Studie wird bis heute unter Verschluss gehalten. Vor diesem Hintergrund erscheint es politisch besonders delikat, dass die Senatsschulverwaltung 1997 eine Ausdehnung des Modells mit der Begründung ablehnte, es gebe bisher keine messbaren Erfolge.

Konzeptionell nachweislich wertvoll, scheiterte eine breite Umsetzung von ZWERZ in die schulische Praxis nicht zuletzt an der unsteten Förderung durch den Senat. "Mal gab es Unterstützung, dann wurde wieder gebremst", beschreibt Monika Nehr, langjährige Leiterin der ZWERZ-Stelle, ihre Erfahrungen mit dem Schulsenat. Ein zweiter Grund für den Niedergang des Modells ist in dessen inkonsequenter Umsetzung im Schulalltag selbst zu suchen. Denn der Berliner Senat akzeptierte die ursprüngliche Konzeption nicht. Statt auf die Ausbildung von stabiler Zweisprachigkeit bei den Schülerinnen und Schülern mit türkischer Muttersprache zu setzen, sollte der Türkisch-Unterricht lediglich als Brücke zum Erlernen der deutschen Sprache dienen. Eine Studie aus dem Jahr 1997 belegte später, dass die Mehrheit der beteiligten Schulen das Modell tatsächlich in dieser reduzierten Variante eines bloßen Übergangsprogramms umsetzte. Türkisch bekam "den Status einer Hilfssprache".

"Bereits die schwarz-roten Schulpolitiker", resümiert Sanem Kleff, Leiterin des Projekts "Schule ohne Rassismus/Schule mit Courage", "haben den schleichenden Niedergang von ZWERZ billigend in Kauf genommen." Mit der SPD/PDS-Regierung änderte sich daran wenig. Im Mai 2005 stellte die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport zwar ihr Programm "Integration durch Bildung" vor, in dem ausführlich von den speziellen Lebenslagen und Interessen der Mädchen und Jungen nichtdeutscher Herkunftssprache die Rede ist und das interkulturelle Profil der Berliner Schulen gefeiert wird. "Hohle Ankündigungen, leere Versprechungen und kleine Schritte", bemerkt Özcan Mutlu, integrationspolitischer Sprecher der Grünen, knapp. Immerhin werden Schulen hervorgehoben, die eigenständig "tragfähige Konzepte für den Umgang mit Vielfalt entwickelt" haben. Doch wie verträgt sich dies mit der vier Wochen später erfolgten Abwicklung der ZWERZ-Koordinierungsstelle?

Um diesem Trend entgegenzuwirken, muss offensiver mit den nachgewiesenen Erfolgen bilingualer Modelle geworben werden - nicht zuletzt auch für die arabische Sprache und Kultur. Eine kürzlich vorgestellte Studie des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung zur Englisch- und Deutschkompetenz belegt beispielsweise die Erfolge bilingualen Unterrichts eindrücklich und weist nach, dass Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, auch leichter Englisch lernen. Daraus Konsequenzen zu ziehen, erfordert politischen Willen. Zwar dämpft die Geschichte von ZWERZ den Optimismus in dieser Hinsicht ebenso wie die gegenwärtige Debatte zur "Deutschpflicht" und eine Politik, die in Kindern von Migranten nur eine "Problemgruppe" sehen will. Aber das Leben schmeißt mit Steinen, wenn es muss. Bricht der Zoff in der Stadt richtig los, gehen die Augen auf. Hoffentlich...

Die Projektgruppe ist aus dem Seminar "Metropolenentwicklung Berlins" von Peter Grottian hervorgegangen. Zu ihr gehören Georg Arnold, Max Lill, Sebastian Schettler und Seja Sturies.


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