Diese Land wird nicht selten als "afrikanische Rarität" beschrieben. Namibia verfüge über eine funktionierende Demokratie, eine freie und regierungskritische Presse, eine hohe Rechtskultur, heißt es. Ein Verdienst der seit 1990 - dem Jahr der Unabhängigkeit - regierenden South West Africa People's Organization (SWAPO), die es bisher verstanden hat, den Rassenfrieden zu wahren. Doch lässt sich auch für Namibia ähnlich wie in Simbabwe ein Anschwellen anti-weißer Rhetorik bemerken - ein stets spürbares Grollen, das sich auf die seit 1990 nie angetasteten Besitzstände der Weißen - besonders eine extrem ungerechte Landverteilung - bezieht. Namibias viel beschworene "Dorfkultur", die Respekt für Ältere und herrschende Obrigkei
Wo Lebensjahre wie Regenwasser versickern
NAMIBIA Überleben am sozialen Tropf der Kirche - wie in Simbabwe birgt auch im Land der SWAPO eine ungerechte Landverteilung jede Menge Zündstoff
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chende Obrigkeiten gebietet, scheint in Gefahr.Über den Omaruru führt in dieser Gegend keine Brücke, der Geländewagen fährt langsam durch das ausgetrocknete Flussbett. Die deutsche Delegation ist angekommen, das lässt sich schon von weitem erkennen, weit und breit die einzigen Weißen. Okombahe, ein Dorf mit 2.000 Einwohnern, ist das Zentrum des Damara-Landes, "am Ende der Welt", wie mich zwei Mitglieder der SWAPO-Jugendorganisation in Windhuk zwei Tage zuvor gewarnt hatten. Sie lächeln mitleidig, als sie erfahren, dass ein deutscher Journalist nach Okombahe fahren will.Der Ort liegt 350 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Namibias, mitten in der weitläufigen Savanne, vom europäisch anmutenden Zentrum Windhuks um Lichtjahre entfernt. Der erste Eindruck ist schockierend - langsam verfallende Wellblechhütten, nur wenige Steinhäuser, die evangelische und die katholische Kirche samt Pfarrhäusern gehören dazu. Mit einer Tankstelle und zwei Läden gibt es lediglich einen Anflug von Infrastruktur. Mit Strom werden nur einige Häuser versorgt, Trinkwasser liefert täglich ein Tankwagen aus Windhuk.Die erwähnte Delegation kommt aus der Kirchengemeinde Gelsenkirchen-Bismarck: Seit mehr als 20 Jahren unterhalten die Protestanten aus dem tiefsten Ruhrgebiet eine Partnerschaft zur evangelisch-lutherischen Gemeinde von Okombahe, über 8.000 Kilometer Luftlinie hinweg. Entstanden noch während der Apartheid ist diese Bindung besonders einer Gelsenkirchner Kindergärtnerin zu verdanken, die Anfang der siebziger Jahre in Namibia arbeitete und den ersten - illegalen - Kindergarten für Schwarze im damaligen Südwestafrika aufbaute.Wer älter als 70 wird, erreicht für hiesige Verhältnisse ein biblisches AlterDer Empfang der Gäste durch Pastor, Diakonin und Presbyterium der Gemeinde von Okombahe wirkt eher reserviert und ist weniger Sprachproblemen geschuldet, weil die Menschen hier neben ihrer Muttersprache Damara/Nama allenfalls noch Afrikaans, aber kaum Englisch sprechen. Es gibt einen anderen Grund: Mit 10.000 DM jährlich unterstützt die deutsche Gemeinde eine Suppenküche ihrer namibischen Partner, die dreimal wöchentlich für die Einwohner von Okombahe geöffnet ist, die letzte Überweisung jedoch ist hier nicht angekommen, das Geld offenbar irgendwo in Windhuk steckengeblieben, so dass die Küche seit Monaten geschlossen bleibt. Unausgesprochen wird den Partnern aus Gelsenkirchen die Schuld für die Misere zugeschoben.Okombahe ist überaltert: Wer kann, verlässt dieses Reservat der Trostlosigkeit und sucht Arbeit in Windhuk oder Swakopmund. Wer alt ist, muss versuchen, mit einer staatlichen Rente von 160 Namibia-Dollar (etwa 45 DM) auszukommen. "In Okombahe verhungert niemand", beteuert Sofia Xamses, die Diakonin der Gemeinde. "Die Suppenküche hilft ihnen, etwas länger zu leben". Doch Fleisch ist kaum zu bekommen, und die einseitige Ernährung mit Maisbrei führte zu einer Schwächung des Immunsystems, räumt Sofia ein. Die Gesundheitsversorgung liegt bei einer einzigen Krankenschwester - der nächste Arzt braucht mit dem Jeep vier Stunden bis nach Okombahe.Der Friedhof des Ortes, über den mich Pastor Salomon Khafer führt, bezeugt das bisher Erfahrene: Viele Menschen sterben in den Fünfzigern (die durchschnittliche Lebenserwartung liegt in Namibia bei 56 Jahren), auch erschreckend viele junge Leute in den Zwanzigern oder Dreißigern sind hier begraben. Wer älter als 70 wird, erreicht für die hiesigen Verhältnisse ein biblisches Alter.Größtes Problem für die Region ist die zermürbende Trockenheit. Vor neun Monaten habe es hier das letzte Mal geregnet, erinnert sich Salomon Khafer, der Omaruru verdiene es nur wenige Tage im Jahr, als Fluss bezeichnet zu werden. Das Grundwasser sei unter dem ausgetrockneten Flussbett zwar nahe an der Oberfläche, doch um es landwirtschaftlich zu nutzen, brauche man Pumpen. Davon gibt es nur eine - installiert im "Modellprojekt" einer Farm außerhalb des Dorfes. "Während derApartheid hatten die südafrikanische Administration die Region um Okombahe als "Homeland" für die Damara vorgesehen. Einzig sichtbare Hinterlassenschaft des Verwalters ist dessen Villa am Ortseingang. 1990 - im Unabhängigkeitsjahr - wurde dort auch der letzte Nagel mitgenommen und die letzte Stromleitung herausgerissen. Ein leerer Swimmingpool ist geblieben. Man stelle sich vor: Während die Bevölkerung von Okombahe um jeden Tropfen Wasser kämpfen musste, konnte die Familie des Comissioners das hauseigene Freibad genießen.Das jetzige Bild "einer Gemeinde am Tropf" relativiert sich bei genauerem Hinsehen: Wohl seien 95 Prozent der Bevölkerung arbeitslos, meint der Bürgermeister, doch gäbe es zugleich eine Reihe sogenannter Income generating projects, "Einkommen schaffender Projekte" innerhalb und außerhalb der Kirche. So produziert eine Weberei Wandteppiche, die in Windhuk verkauft werden, Näherinnen stellen Tischdecken und Bettbezüge her. Die Finanzierung ist durch ausländische Hilfe oder einheimische private Stiftungen sichergestellt.Unter den ausländischen Spendern firmniert auch die mit der Konrad-Adenauer-Stiftung verbundene AgriFutura. Warum sich konservative Stiftungen hier besonders engagieren, begreift, wer sich die politischen Verhältnisse in Namibias Damara-Land analysiert: Hier dominiert nicht die SWAPO, die vorzugsweise von den Ovambos im Norden des Landes gewählt wird, sondern die United Democratic Front (UDF), die eher konservative Schwarzen anspricht und schon während der Apartheid durch ihren Hang zur Kooperation mit den weißen Machthabern auffiel.Wie im Roman dann das Happy End: am Tag der Abreise der deutschen Delegation. Ein Kleinbus, der die Besucher zurück nach Windhuk bringen soll, kommt nicht leer an. Er ist mit Lebensmitteln gefüllt, mit denen die Suppenküche der Gemeinde drei Monate wirtschaften kann. Das versickerte Geld aus Deutschland ist aufgetaucht. Eine Diakoniepfarrerin erklärt mir später in Windhuk, gewisse Eigenheiten des hiesigen Bankwesens seien für die Verzögerung verantwortlich: Kontoauszüge hätten hier keine Anlagen und so habe der freiberufliche Verwalter des Geldes in Windhuk zwar gewusst, dass ein Betrag angekommen war, aber nicht, woher und wofür - und vor allem, wer die Verfügungsberechtigung besaß.Ex-SWAPO-Aktivisten hätten eben außer Kämpfen nichts gelernt, hört man immer wiederIn Windhuk steht für mich schließlich noch ein Gespräch mit der Parlamentsabgeordneten Marlene Mungunda aus Mariental im Süden auf dem Programm. Die SWAPO-Politikern - seit 1996 im Parlament - engagiert sich im Sozialbereich, während "die Männer der Regierungspartei ausschließlich über Wirtschaftsthemen reden". Die Lage in Okombahe unterscheide sich nicht von der anderer Regionen, so Mungunda, mit Landwirtschaft komme man deshalb nicht voran, weil nur wenige Großfarmer bereit seien, wenigstens Teile ihres Besitzes an die Regierung zu verkaufen. Enteignen wolle man auch künftig auf keinen Fall, denn das würde bedeuten, die "Politik der Versöhnung" aufzugeben. Ein brisanter Vorsatz, denn die Unterbeschäftigung der schwarzen Mehrheit ist dramatisch. Einen Beruf durften schwarze Namibier unter der Apartheid nicht erlernen, oft blieb nur traditionelle Landwirtschaft. Wie in Simbabwe üben auch in Namibia die Veteranen des Unabhängigkeitskampfes Druck aus - sie wollen, dass die eigene Regierung endlich ihren Anspruch auf Arbeit und Einkommen durchsetzt. Doch die Regierung scheint so nicht ansprechbar, die Ex-SWAPO-Aktivisten hätten eben außer kämpfen nichts gelernt, hört man immer wieder, und in Polizei und Armee könne man nicht alle unterbringen.Das sorgt ebenso für Unmut wie die rigide Sprachenpolitik der SWAPO. 1990 wurde Englisch - Muttersprache für noch nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung - zur offizielle Landessprache erhoben, die Konsequenzen für den Arbeitsmarkt sind entsprechend. Jüngste Erhebungen weisen darauf hin, ein Schwarzer hat nur dann Chancen auf einen Job, wenn er am besten alle drei "europäischen" Sprachen in Namibia beherrscht: Afrikaans, Deutsch und Englisch. Die Mehrheit der erwachsenen Schwarzen aber spricht neben dem Idiom ihrer Ethnie allenfalls noch die dem Niederländischen eng verwandte Burensprache fließend. Afrikaans und Oshivambo wären Alternativen zu Englisch gewesen. Doch Afrikaans schien als Sprache der Apartheid diskreditiert - und Oshivambo, die Ovambo-Sprache hätte die ethnische Balance gestört und andere Volksgruppen aufgebracht.Marlene Mungunda hat im Parlament die Bildung eines Human Ressource Committee initiiert, das sich mit Erziehungsfragen sowie der Alten- und Rentenpolitik beschäftigt. So streitet sie auch für den Aufbau der ersten Altenheime Namibias, die derzeit nur über Spendengelder finanziert werden könnten. Zwar hatte die SWAPO bereits 1991 angekündigt, die Renten jährlich um zehn Prozent zu erhöhen, doch es geschah nichts. Allein durch Korruption im Gesundheitsministerium gingen Millionen Namibia-Dollar verloren.Für Mungunda ist das vor allem deshalb zu verurteilen, weil seinerzeit der gerade unabhängig gewordene Staat einen ungeheuren sozialpolitischen Kraftakt unternehmen musste, um überhaupt allen Namibiern ab 60 eine Grundrente zahlen zu können. Leider, so Mugunda, seien noch etliche Gesetze aus südafrikanischer Besatzungszeit in Kraft, was der Korruption Vorschub leiste: Ein Beamter, der sich die Taschen fülle, könne zwar seines Postens enthoben, jedoch ansonsten nicht belangt werden. Dies sei die rechtliche Gewähr für die Ausplünderung Namibias durch die Südafrikaner gewesen. Warum sind derartige Gesetze nicht längst kassiert? - Mungunda weiß es nicht.
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