"Lieder gegen den Krieg" sind oft gut gemeint, aber selten gut und meist ohnehin eine Predigt für die Ohren längst Bekehrter. Viel subtiler als Agit-Popper à la Rock against Bush oder Haudrauf-Propagandisten wie Michael Moore demontiert Erik Hillestad die Kriegstreiberei des US-Präsidenten. George W. Bushs Schlagwort von der "Achse des Bösen" dient dem norwegischen Produzenten vom renommierten Label Kirkelig Kulturverksted als Ausgangspunkt für eine Abenteuerreise, bei der er auf eindrucksvolle Weise feststellt, was zu ahnen war: Auch im Reich des Bösen singen Mütter ihren Kindern Wiegenlieder. "The Russians love their children too", sang Sting in den achtziger Jahren. Bei Hillestad ist hinter der Banalität des Guten ein differenzierteres Bild z
nzierteres Bild zu erkennen - befördert auch dadurch, dass im üppigen Booklet zur CD ausführlich von den Produktionsbedingungen berichtet wird. Denn keineswegs hält Hillestad die größtenteils diktatorisch regierten Länder für Heimstätten des Heimeligen.Ende 2002 reiste er mit Hilfsflügen ins kriegsgeschüttelte Afghanistan und in den Vorkriegs-Irak, nahm verbotenerweise singende Frauen in islamische Staaten wie Iran und Syrien auf und ließ Tonbänder aus Nordkorea schmuggeln, in das er nicht einreisen durfte. Kuba war vergleichsweise harmlos. Hillestad reiste mit leichtem Gepäck: Ein DAT-Recorder und zwei Mikrophone mussten ausreichen, um die Stimmen der Mütter in ihren Häusern aufzunehmen. Stimmen wie die von Mahsa und Marjan Vahdat in Teheran, die sich als Dissidentinnen im eigenen Land verstehen und das Wort von der "Achse des Bösen" dennoch vehement zurückweisen. Stimmen wie die der Palästinenserin Rim Banna, die kurz vor den Aufnahmen in Nazareth Zwillinge geboren hatte. Die Früchte seiner Feldforschung in Sachen Schlaflied brachte Hillestad nach Oslo, wo der Gitarrist Knut Reiersrud seine Arrangements um die Aufnahmen in den jeweiligen Landessprachen bastelte.Derweil versuchte Hillestad, virtuelle Duettpartnerinnen aus den "guten" Ländern der Welt zu gewinnen. Bezeichnenderweise erwies sich das, wie Hillestad schreibt, als deutlich schwieriger als in den "bösen" Ländern: Dort waren alle angesprochenen Profis und Amateurinnen trotz der damit zum Teil verbundenen Gefahr sofort zu dem Projekt bereit, hier dagegen fürchteten Künstlerinnen und Plattenfirmen schwarze Listen der US-Radiostationen. Nina Hagen sagte sofort zu; ob das aus musikalischer Sicht zu begrüßen ist, bleibt angesichts ihres idiosynkratischen Stils Geschmackssache. Auch Lila Downs, als mexikanische Indianerkultur-Aktivistin und Weltmusik-Insidern wohl bekannt, ließ sich nicht lange bitten.Ein Gewinn für die Platte ist neben vielen der bislang unbekannten Stimmen aus den "bösen" Ländern die Britin Sarah Jane Morris mit ihrem tiefen Schlafgesang; ein erfreuliches Wiederhören gibt es mit Eddi Reader, früher bei Fairground Attraction, und der dänischen Janis Joplin Annisette, früher bei Savage Rose. Die Lofotin Kari Bremnes ist ohnehin seit ihrer Platte Norwegian Moods der bekannteste Geheimtipp nordischer Musik. Die dezente Begleitung der Wiegenlieder mäandert zwischen Ost und West, nicht immer schlüssig, nie puristisch im Sinne von Weltmusik-Ethnologen, aber stets angenehm. Dass die englischsprachigen Stimmen und die Instrumente später zu den Aufnahmen aus den "Achse"-Ländern kopiert wurden, hört man zwar, störend ist es nicht.Singer-Songwriterin Ricky Lee Jones und Elana Fremerman von der Retro-Country- und Jazz-Band Hot Club of Cowtown sind die Vertreterinnen der US-Musikszene, die es trotz Angst vor Zensur wagten, bei dem Projekt mitzumachen. Ricky Lee Jones fand deutliche Worte: "George W. Bush, Dick Cheney und John Ashcroft sind die Achse des Bösen", sagte sie der Washington Post in einem Interview über das CD-Projekt. "Sie sind selbst eine Triade des Bösen, deshalb denken sie in solchen Begriffen. In die Geschichte einzugehen als der Präsident, der die Menschen des Mittleren Ostens als böse bezeichnete, ist ein schreckliches Erbe. In politischen Zeiten zu versuchen, Religion und die Idee von Gut und Böse zu evozieren, wenn man in Wirklichkeit um Öl kämpft; zu versuchen, das amerikanische Volk dazu zu bringen, von diesen Menschen als böse zu denken, weil man ihr Öl will - das ist es, was Bush tut."Auch der Mädchenchor der Washington National Cathedral ist bei dem Projekt vertreten. Hillestad wollte einen Chor singen lassen aus dem, wie er es nennt, offiziellen Mittelpunkt religiösen Lebens in den USA. Ein Sprecher der Washington Cathedral bemühte sich später, derartige symbolische Interpretationen zu zerstreuen: "Wir haben das überhaupt nicht politisch gesehen. Das Projekt ist eher universal, weil das Leid, das die ganze Welt in Kriegen erfährt, am schlimmsten Frauen und Kinder trifft. Das drückt die CD für uns aus."Genau diese Erkenntnis aber ist für Hillestad dezidiert politisch. Er hat, einfach gesagt, die Hoffnung, dass US-Soldaten, die Schlaflieder irakischer Mütter hören, keine irakischen Väter foltern. Wiegenlieder symbolisieren für den Norweger den Beginn aller Kommunikation, sie sind Teil einer universalen Kultur. "Sowohl musikalisch als auch inhaltlich gibt es in den Wiegenliedern ästhetische Gemeinsamkeiten", sagt Hillestad. "Die Themen sind oft die gleichen, ebenso wie die musikalische Struktur. Unterschiede in Tonart, Sprache, Metaphorik und Religion können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es eine Verbindung zwischen den Kulturen der Erde gibt." Eine Binsenweisheit, die einer Einteilung der Welt in Gut und Böse widerspricht - und damit jener Rede Bushs vom 29. Januar 2002, die aus heutiger Sicht den Irak-Krieg vorbereitete und die Grundlage für Menschenrechtsverletzungen wie in Guantánamo Bay und Abu Ghraib schuf. Zehn Prozent der Erlöse aus dem Verkauf der CD gehen übrigens an die Organisation Worldview Rights, die nach eigenen Angaben Menschenrechte, Demokratie und Konfliktlösung durch Kommunikation fördern will.Various Artists: Lullabies from the Axis of Evil, Strange Ways/Indigo
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