Wo sind meine Winterpullis

Grenze In der Slowakei fand mein halbes Leben statt. Jetzt darf ich nicht mehr hin
Ausgabe 14/2020
Slowakische Polizisten an der Grenze zwischen Bratislava und Jarovce. Im Zuge der Coronakrise hat die slowakische Regierung Mitte März 2020 Grenzkontrollen wiedereingeführt
Slowakische Polizisten an der Grenze zwischen Bratislava und Jarovce. Im Zuge der Coronakrise hat die slowakische Regierung Mitte März 2020 Grenzkontrollen wiedereingeführt

Foto: Joe Klamar/AFP/Getty Images

Seit ich mit meiner Familie in strenger Isolation lebe, gehe ich nur noch mit Gesichtsmaske einkaufen. Ich trage keine FFP3, die beste aller Atemschutzmasken ist bis auf Weiteres für Gesundheitspersonal reserviert, sondern ein Stück von einem eingegangenen Sommerkleid, aus dem mir Frau und Tochter einen hübschen Mundschutz nähten. Ich schäme mich unsäglich, denn zeitweise bin ich in meinem burgenländischen Supermarkt der einzige Maskenträger, und wenn doch noch jemand Maske trägt, ist das jedes Mal ein unsympathischer Typ. Der Aufbruch zum Einkauf fühlt sich seither an wie ein Abschied an die Front: Maske auf, Einweghandschuhe an, Einkauf unter Blicken, die zu verbergen suchen, dass sie mich für krank halten, Einweghandschuhe runter, Hände desinfizieren, Maske zu Hause in die Waschmaschine, Hände waschen. Ich kaufe jetzt nur noch einmal die Woche ein.

Meine Frau zwingt mich

Es ist meine slowakische Frau, die mich Österreicher zum Tragen einer Maske zwingt. Ihre Regierung schreibt Vermummung an allen öffentlichen Orten vor, meine Regierung empfiehlt das Gesunden nicht, und obwohl wir begeisterte Grenzüberschreiter sind, die in mehreren Ecken Europas andocken können, befördert die Seuche auch bei uns das Phänomen des Zusammenrückens im jeweiligen Nationalstaat. Ich persönlich habe zum Thema Maske keine Meinung. Ich bin kein Virologe. Zwischen meiner Frau und meiner Regierung stehend, wähle ich, weil es weniger Ärger einbringt, die Frau.

Die Slowakei, in der ich zwölf Jahre gelebt hatte, schloss als erstes Land der Region die Grenzen. Ich habe seit drei Wochen Einreiseverbot, bin abgeschnitten von Schwiegermutter, Cafetier und Freunden, alle meine Winterpullover sitzen in der Reinigung drüben fest. Die Slowakei verhängte ihre radikalen Maßnahmen in höchster Not: Den Hospitälern fehlt schon im Normalbetrieb das Klopapier, und die staatliche Verwaltung der Materialreserven fand bei Ausbruch der Krise keine Reserven vor, was damit behoben wurde, dass der Materialreserven-Chef Schutzmaterial zum zehnfachen Preis von einer Briefkastenfirma kaufte und seinem Sohn anderntags zwei Wohnungen im Zentrum der Hauptstadt.

Dass in den Supermärkten drüben ausnahmslos alle maskiert sind, geht mit einem neuen slowakischen Gesichtsmasken-Patriotismus einher, einem jäh aufpoppenden Überlegenheitsgefühl gegenüber uns Zurückgebliebenen im Westen. Ich will hoffen, dass die Slowakei damit so gute Ergebnisse wie asiatische Länder erzielt. Ein langgedienter Journalist reibt sich jedenfalls die Augen: „Wer hätte das vor ein paar Wochen gesagt, dass die Slowaken Europas erste Asiaten werden?“

Ansonsten nimmt sich die Abgeschiedenheit in unserem Winzerdorf am größten See Österreichs geradezu idyllisch aus. Meine Schreibarbeit passiert stets im Homeoffice, und meine Frau ist ohnehin noch bei den Babys zu Hause. Anders, als man erwarten würde, streiten wir weniger als sonst. Vielleicht weil das Virus nah ist, es gibt im Dorf zwei Infizierte, vielleicht auch, weil die Monotonie des verlangsamten Alltags weniger Anlässe bereitstellt. Als Reporter, der vom Reisen lebt, muss ich hoffen, dass der Lockdown der wiederhergestellten europäischen Nationalstaaten bald nach Ostern gelockert wird. Als Familienvater wünsche ich mir insgeheim eine kleine Verlängerung.

Meine Flüge nach Reykjavík und Beirut sind gestrichen, stattdessen sind nun Leithagebirge und Neusiedler See angesagt. Wir sammeln Bärlauch im Wald, das gibt ein teuflisches Pesto, oder wir wandern auf einem wenig begangenen Weg in den riesigen Schilfgürtel des Steppensees hinein. Große Bündel geschnittenen Schilfrohrs, rostige Planierraupen, viel Wirtschaft war hier auch vor Corona nicht. Meine Tochter fasst das Schilf an und findet es „weich wie ein Kätzchen“. Zwei, drei Kilometer weiter finden wir den abenteuerlich schiefen Rumpf eines aufgegebenen Hochstands, von dort überblicke ich das halbe Burgenland. Weiter kommen wir nicht, wenige hundert Meter vor dem offenen See endet der Weg. Alles hat jetzt seine Grenzen.

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