Ist Pepsi populärer als Jesus? Jedenfalls ist das Schild breiter
Foto: Elliott Erwitt/Magnunm Photos/Agentur Focus
Es gibt da einen Sneaker, der auf eine eher spezielle Weise in die Adidas-Annalen eingegangen sein wird. Als der Sportkonzern 2012 den „JS Roundhose Mids“ auf den US-Markt bringen wollte, folgte ein epischer Shitstorm. Um die Extravaganz des Turnschuhs zu unterstreichen, präsentierte man diesen nämlich mit Plastik-Fußketten: So hot und leicht, dass er zur Sicherheit festgebunden werden muss! Doch natürlich erinnerte das in den USA sehr viele an die Sklaverei.
Ganz zu Recht verdammen wir solche Kampagnen. Wir spüren erstens, wie unsensibel offenbar durchs Leben geht, wer sich so etwas ausdenkt. Zweitens und vielleicht vor allem aber fürchten wir, derlei wirke „in die Gesellschaft hinein“, bestärke oder normalisiere in diesem Fall als
m Fall also rassistische Ressentiments. Das ist auch durchaus plausibel. Eins aber bleibt dabei seltsam: Wo wir es also bösartigen Werbebotschaften zutrauen, sich sozusagen vom Produkt zu lösen und zu einer Botschaft eigener Qualität zu mutieren, sind wir oft sehr skeptisch gegenüber jenen positiven, also „inklusiven“ oder irgendwie öko-sozialen Bildern, die jüngst in der Werbung um sich greifen.Reüssiert eine Rasierartikelfirma einmal nicht mit „ganzen Kerlen“, sondern androgynen, geschlechtlich uneindeutigen Gesichtern, durchbricht ein Modelabel den europäischen Standard-Lookismus, wirbt jemand mit dem Versprechen ökologischer Materialien oder mit Bildern, die solche Assoziationen wecken, dann zucken wir im wohlmeinenden Fall die Achseln: Reklame halt. Und im weniger wohlmeinenden Fall ärgern uns solche Kampagnen: Da kommt dieses Unternehmen daher, stellt sich auf die Schultern von Leuten, die lange und hart für ihre Anliegen kämpfen mussten, und sagt nicht mal danke – alles nur, um Gewinn zu machen!Während wir also im Fall jenes Turnschuhs die Verkaufsabsicht hinter dem reaktionären Sinn der Aussage verschwinden lassen, registrieren wir bei progressiven Botschaften zuerst diese Absicht und dann lange nichts. Was ist der Grund für diesen Doppelstandard? Womöglich das latent schlechte Gewissen, das wir als halbwegs aufgeklärte, tendenziell kritische Exemplare der Irgendwie-Mittelschicht Westeuropas mit uns herumtragen. Wir ahnen, dass auf den heutigen Konsumgütermärkten neben den Gebrauchs- und den Tauschwert einer Ware ein Drittes getreten ist: ein Fiktionswert, dessen Signale wir nolens oder volens mitkaufen, um uns in Gesellschaft darzustellen.Unser innerer AdornoDas ist heute quasi unvermeidlich. Selbst das Verweigern offensichtlich sprechender Waren ist eine Rolle in diesem Schauspiel. Wer aber läuft gern als Ensemble von Erzählungen herum, die an Konsumgütern haften? Besonders beim Kauf politisch progressiver Fiktionswerte verdächtigen wir uns selbst schnell der Absicht, nur das Gewissen erleichtern zu wollen. Wir tragen quasi einen kleinen Adorno im Ohr, der sagt: Wenn schon die Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse auf den Oberflächen von Waren stattfindet, ist das Elend kapitalistischer Verblendung komplett.Nun sind gewisse Selbstzweifel oft heilsam. Und ökologisch ist es meist besser, weniger zu kaufen als ein gutes Image. Dennoch unterschätzt ein solcher Kulturpessimismus die gesellschaftliche Dynamik dieses Fiktionswertes: Zwar lässt sich dessen Entstehung aus der Entwicklung kapitalistischer Produktivkräfte erklären, doch kann seine Wirkung durchaus über deren Regime hinausweisen.Schon Karl Marx bemerkte die besondere „Aura“ bestimmter Konsumgüter. Doch systematisch entstanden ist der Fiktionswert – vulgo „Marke“ – erst am viel zitierten Fließband. Spätestens um 1960 war die Produktionsmaschinerie allgemein so fortgeschritten, dass sich konkurrierende Waren in ihrem Gebrauchswert – den stofflich-technischen Eigenschaften – immer ähnlicher wurden. Also mussten die Unterschiede zwischen ihnen zunehmend auf einer anderen Ebene hergestellt werden: durch Design und durch Erzählungen über diese käuflichen Dinge. Noch verstärkt wurde dieser Boom der „gefühlten“ Unterschiede durch den Fall des „Bamboo Curtain“ im Laufe der 1980er. Seither findet die eigentliche Herstellung vieler Konsumgüter in den anonymen und billigen Weltmarktfabriken des Südens statt. Die stoffliche Produktion wurde nicht nur geografisch marginal, sondern auch in der betriebswirtschaftlichen Kalkulation. So wuchsen die Kapazitäten für die Produktion symbolischer Differenzen zwischen tendenziell identischen Dingen in ungeahntem Maße. In ihrem Buch No Logo bringt Naomi Klein diese Entwicklung auf die Formel, dass heute erfolgreiche Firmen „keine Produkte, sondern Marken“ herstellten.So weit also kommt jener abgehangene, materialistische Kulturpessimismus. Dessen zeitdiagnostische Schwäche aber liegt darin, sich für den konkreten Inhalt dieser Waren-Erzählungen gar nicht zu interessieren. Nach dem potenziellen sozialen Impetus dieser wohl öffentlich präsentesten Erzählform fragt er gar nicht erst.Wie ist es nun darum bestellt? Der Trick beim Herstellen „gefühlter“ Unterscheidungen besteht darin, wenig über die Dinge selbst zu sprechen und viel über diejenigen, die sie kaufen (sollen). Auf diesen Dreh gekommen ist beispielhaft der legendäre New Yorker Werber Bill Bernbach, dessen witzige, dosiert anstößige Kampagnen um 1960 als „creative revolution“ Schule machten: Seine „Ads“ behaupteten weniger Unterschiede zwischen Dingen als vielmehr zwischen Menschen.Interessiert man sich nun tatsächlich für die gesellschaftliche Wirkung dieser „Kreativen Revolution“, landet man schnell bei einer provokanten These, die der Kulturwissenschaftler und Guardian-Autor Thomas Frank in seinem Buch The Conquest of Cool formuliert: Die ja vor allem lebensweltlich und habituell grundierte Rebellion von 1968 sei schon Jahre zuvor in Markenkampagnen vorweggenommen worden, die mit der immensen Bildmacht des damals neuen Leitmediums Fernsehen zu werblichen Zwecken eine „fiktionale befreite Generation“ entworfen hätten, die sich dann gewissermaßen realisierte.„68“ war ein WerbegagWar „68“ ein aus dem Ruder gelaufener Werbegag? Die steile These gewinnt an Plausibilität, wenn man sich etwa den wahren Kulturkampf vor Augen hält, der damals um den Koffeinbrausemarkt entbrannte: hier die neue, frisch-freche, alle Konventionen brechende „Pepsi-Generation“, dort der alte, öde, spießig-verklemmte Coke-Mainstream! Nicht viel anders stellte sich ja – Vietnam hin oder her – nach 1968 die Grundlinie der Kulturrebellion dar.Nun befasst sich Thomas Frank vordringlich mit den USA – und berichtet ausführlich, wie in späteren Jahren die „Spaltungskraft“ jener Frühphase zeitgenössischen Brandings wieder eingehegt wurde. Doch bleibt ein Verdacht, der unserem inneren Adorno nicht schmeckt: Es gibt wohl Momente, in denen sich Waren-Fiktion nicht auf kommerzielle Lüge reduzieren lässt. Sie kann sich verselbstständigen – was nach 1968 bis hin zu dezidiert konsumkritischen Haltungen reichte.In diesem Licht gewinnt der Umstand an Bedeutung, dass sich progressive Marken-Erzählungen in jüngeren Jahren unübersehbar häufen. Zumal diese oft politisch expliziter daherkommen als in den 1960ern. Offenbar sind inzwischen nämlich jene nur habituellen Distinktionen zwischen Menschen – respektive den Waren, mit denen sie sich „identifizieren“ – weitgehend auserzählt. Die Pepsi-Generation der Jetztzeit wird daher weniger als bloß irgendwie wild und frei entworfen, sondern als eine verantwortliche Generation, die sich Gedanken macht. Und zwar über genau das, was Bernbach und Co. ab 1960 sowie die globalisierten Brands der 1980er und 1990er hinter avancierter Waren-Lyrik hatten verschwinden lassen: das Technische, das Stoffliche, die Produktion.Besonders greifbar ist das bei Waren, die unmittelbar mit ökologischen Materialien oder Prozessen werben. Diese setzen sich der nicht zu unterschätzenden Gefahr aus, sich beim „Greenwashing“ ertappen zu lassen – und auch wer von ethnischer oder geschlechtlicher Diversität erzählt, muss damit rechnen, auf Produktionsketten angesprochen zu werden.Gewiss dienen sich all diese „fairen“ und „grünen“ Marken-Images einem vermuteten Zeitgeist an. Aber jede dieser Erzählungen trägt zu dessen Verdichtung bei. Und indem diese Erzählungen nicht länger nur den Habitus der jeweils anvisierten Kundschaft thematisieren, sondern diesen zur stofflichen Dimension der Ware und zu ihrer Produktion in eine Beziehung setzen, führen sie ein Kriterium objektiver Überprüfbarkeit von Images ein, das sich irgendwann als brisant erweisen könnte.Wann wäre ein solcher Punkt erreicht? Noch mündet ja das verfügbare Wissen darum, dass die Produktion eines Turnschuhs oder auch nur Kaffee-Wegwerfbechers ein rundum absurder, weltumspannender Vorgang ist, nicht in die wirksame Erkenntnis, dass der gegenwärtige Kapitalismus kaum der historischen Vernunft letzter Schluss sein kann. Es kann sich jedoch ein emotionales Momentum ergeben, wenn sich eine kritische Masse beim individuellen Kauf eines guten Gewissens nicht nur von etwa greenwashenden Marken, sondern von dem betrogen fühlt, das diese Marken hevorbringt. Dabei kann es zu Überraschungen kommen: Man erinnere sich an die berühmte „Shell-Jugendstudie“ von 1966, in der die damals in Deutschland Jungen als Generation der „Unbefangenen“ beschrieben wurden.Werbung kann also die Welt verändern: einmal im Großen und indirekt, indem sie zum Aufbau von Stimmungen beiträgt, die sich politisch entladen können, wenn sie dauerhaft frustriert werden. Und im Kleinen sogar ganz unmittelbar: Um jenen Fesselschuh vergessen zu machen, bot Adidas seinerzeit US-College-Teams Hilfe dabei an, rassistische Namen und Logos professionell zu ersetzen. Das durchaus genutzte Programm war sicher Marketing – aber wer wollte bezweifeln, dass es politisch wirkte?
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