Wohnst du noch oder rauchst du schon?

Alltagskommentar In Deutschland kann man jetzt wegen Rauchens aus der Wohnung geworfen werden - so wie gerade ein 74-jähriger Düsseldorfer. Also geht man zum Rauchen wieder in die Kneipe
Ausgabe 28/2013
Wohnst du noch oder rauchst du schon?

Foto: Sean Gallup/ AFP/ Getty Images

Das Schöne am Sommer, an den vielen Biergärten, Freiluftkinos, Bordsteinbarbecues ist die Abwesenheit des Problemkomplexes Passivrauchen. Zwar gibt es sogar im Pafferparadies Berlin zunehmend Eltern, die ihre Kleinen auch unter der freien Sonne vor Lungenschäden zu schützen vorgeben, indem sie degoutiert mit ihren Speisekarten wedeln. Davon abgesehen qualmt es sich seit der Lockerung des 2008 eingeführten Raucherverbots „in Gaststätten“ nirgendwo entspannter in Gaststätten als hier. Nur ein Jahr lang schien es auch dem Hartgesottensten, als habe er die längste Zeit an der Theke geascht. Auf einmal galten nur noch Spelunken als straflos berauchbar: Endstation Roth-Händle – selbst das Ordnungsamt sah sich machtlos.

Von solchen Ausnahmen abgesehen, konnte man selbst die berüchtigsten Absturzetablissements beim Einziehen gestalterisch fragwürdiger Glaswände beobachten. Von massiven Auftritten der Ordnungshüter hörte man Wirte greinen und renitente Gäste zur Löschung ihrer Rauchware ermahnen. Und als man sich schon halb an die neue Zeit gewöhnt hatte, galt auf einmal das Primat der „getränkegeprägten Kleingastronomie“ – es durfte wieder geraucht werden. Ganz Berlin war über Nacht eine „getränkegeprägte Kleingastronomie“ geworden, ein vor dem wirtschaftlichen Ruin zu bewahrendes kulturelles Institut. Wer heute in Berlin ausgeht, wedelt selbst als Raucher gelegentlich mit der Getränkekarte.

Hinter Glasscheiben

Wer hingegen in den vergangenen Jahren eine Reise nach Kalifornien unternommen hat und öffentlich inhalieren wollte, weiß, wie sich Stigmatisierung anfühlt. In Japan ist es nicht besser, nur hat man dort Erbarmen mit den Süchtlern und beauftragte Architekten mit einer Neuinterpretation der historischen Leprastationen. Der Raucher wird dort als Beispiel sozialer Desintegration nicht zufällig hinter Glasscheiben, quasi als Teil einer Zombie-Freakshow ausgestellt. In Deutschland traut man sich das nur an großen Bahnhöfen. Ansonsten ist der öffentliche Raum noch weitgehend intakt.

Der jetzt rechtskräftige Rauswurf eines 74-jährigen Kettenrauchers aus seiner Düsseldorfer Wohnung (er sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, die Gesundheit seiner Nachbarn zu gefährden) erhärtet einen anderen Verdacht: Während Nationen mit radikalen Gesundheitskampagnen das Rauchen aus dem Bereich der Sichtbarkeit verbannen, geht Deutschland den umgekehrten Weg: Das Private ist auf einmal öffentlich und damit justiziabel, das Öffentliche privat. Soll doch jeder machen, was er will, solange es nicht zu Hause ist!

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden