Seit Mittwoch, dem 8. Dezember, ist es nun amtlich: Die Ära Merkel ist vorbei, Olaf Scholz regiert das Land. Und mit dem Slogan „Mehr Fortschritt wagen“ hat das neue Ampelbündnis gleich hoch gegriffen, in Anlehnung an Willy Brandts legendäres „Mehr Demokratie wagen“ von 1969. Auf den ersten Blick zeigt sich der emanzipatorische Aufbruch allerdings nicht. Denn das Gesicht dieser Ampel sind drei Männer – Kanzler Scholz, Vizekanzler Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner. Und nimmt man das Scholz’sche Versprechen – „Frauen sollen die Hälfte der Macht im Kabinett haben“ – genau, dann hat er auch hier nicht geliefert. Von 17 Kabinettsposten inklusive Kanzler sind nur acht mit Frauen besetzt.
Doch Sch
ersprechen – „Frauen sollen die Hälfte der Macht im Kabinett haben“ – genau, dann hat er auch hier nicht geliefert. Von 17 Kabinettsposten inklusive Kanzler sind nur acht mit Frauen besetzt.Doch Schluss mit der Beckmesserei. Bemerkenswert ist dagegen, dass die drei traditionell harten Ressorts, Verteidigung, Innen- und Außenministerium, alle mit Frauen besetzt sind, letztere sogar beide zum ersten Mal. In einer nach wie vor patriarchalisch geprägten Gesellschaft ist dies durchaus wagemutig, zumal sowohl Annalena Baerbock als die Frau im Außenamt wie auch die hessische SPD-Chefin Nancy Faeser als Innenministerin ihre Posten ohne Exekutiverfahrung übernehmen. Hier dürfte sich schon der Stil erheblich ändern. Kaum vorstellbar, dass Faeser wie einst der „rote Sheriff“ Otto Schily den Polizeiknüppel schwingen und die harte Frau markieren wird. Auch Baerbocks Auftreten dürfte sich sehr von dem ihrer Vorgänger unterscheiden, ob allerdings zum Vorteil des Landes in diesen geopolitisch gefährlichen Zeiten bleibt abzuwarten.Ein Risiko-KabinettÜberhaupt besticht das Kabinett in erster Linie durch seine Unerfahrenheit. Ist also das neue Personal durchaus nicht ohne Risiko, geht Scholz dafür inhaltlich ganz auf Nummer sicher. Hatte er noch vor den Koalitionsverhandlungen mit großen Worten eine „sozial-ökologisch-liberale Koalition“ versprochen, bekommen wir jetzt vor allem eine sozialliberale, mit kleinem grünen Annex.„Der gemeinsame Konsens dieser Regierung besteht nicht darin, überall Verzicht zu predigen – das tun wir gar nicht –, sondern auf technologischen Fortschritt und dynamisches Unternehmertum zu setzen“, lautete Scholz’ zentraler Satz auf dem SPD-Parteitag zur Verabschiedung des Koalitionsvertrags. Mit dieser Definition von Fortschritt macht er ganz klar: Mit einer gesellschaftlichen Transformation, die über eine rein technologische hinausgeht, ist mit ihm nicht zu rechnen. Mit alternativen Technologien in einem der leistungsfähigsten Industrieländer der Welt eine klimaneutrale Ökonomie zu schaffen und so der Welt ein Beispiel zu geben, das ist das Motto des Kanzlers. Zugleich gibt er damit keinerlei Antwort auf die Frage, wie dies ohne Verzicht und Einschränkungen erreichbar sein soll, nämlich über die ja gerade angestrebte Wirkung eines erheblich teureren CO₂-Preises, etwa im Bereich von Flug- oder Kreuzfahrtreisen.Als getreuer Schüler von Angela Merkel agiert Scholz stets nach dem Leitmotiv „keine Zumutungen“. Und entpuppte sich damit, zur Freude der FDP, in den Verhandlungen als ein Sozialliberaler reinsten Wassers, ganz in der Tradition des Nur-Pragmatikers und Anti-Visionärs Helmut Schmidt – allerdings ohne dessen brillante, schneidend-scharfe Rhetorik, aber dafür ebenso knallhart in der Sache.Das Ziel ist 2025Was sich bereits nach den Sondierungen abzeichnete, hat sich daher am Ende bewahrheitet: Die Grünen konnten ihre Anliegen, die am weitesten in die Zukunft reichen, am wenigsten durchsetzen. Die SPD hat mit Mindestlohn und sicherer Rente die eigenen Essentials im Vertrag untergebracht, die FDP dafür ihre sämtlichen Verhinderungspositionen – keine neuen Steuern, keine Schulden, keine Bürgerversicherung, kein Tempolimit. Lindner wird die Kassen dicht halten und der neue Verkehrsminister Volker Wissing dafür sorgen, dass aus der von den Grünen angestrebten Verkehrs- lediglich eine Antriebswende wird: ein gewaltiges Konjunkturprogramm durch die Umstellung der gesamten Automobilflotte von Verbrenner- auf E-Motoren. Immer mit Scholz’ Zustimmung als technokratischen Wachstumsbefürworter: Denn sein wichtigstes Ziel ist glasklar, die Wiederwahl 2025. Und dabei können Belastungen der eigenen Klientel nur schaden.Für die Grünen wird es daher in den nächsten vier Jahren sehr schwer werden. Sie vor allem müssen mit ihren Kernressorts – Klima, Umwelt, Landwirtschaft – die eigentliche Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft stemmen. Da kommt sehr viel Arbeit auf den neuen Superminister Habeck zu. Zumal die Ausbootung Anton Hofreiters zugunsten des außenpolitisch versierten, aber als Landwirtschaftsminister fachfernen Cem Özdemir die Vorfreude der Parteilinken auf das Ampel-Bündnis nicht gerade gesteigert hat.Umso mehr käme es eigentlich auf eine starke Führung des selbsterklärten „Klimakanzlers“ an. Doch das war nur Wahlkampf, jetzt kommt die Machtprobe. Und wenn Scholz nun im Kabinett seinen berühmten Satz bemühen sollte, „Wer bei mir Führung bestellt, der kriegt sie auch“, dürfte das ganz schnell wie eine Drohung klingen – allerdings nicht für die Opposition, sondern für die Grünen.Placeholder authorbio-1