Womit die Neuvölkischen wenig am Hut haben

Sachlich richtig Erhard Schütz über feinsinnge Tiererkundung, eher grob Geratenes und die Aktualität von Ernst Jünger
Ausgabe 41/2016
Eigentlich hört sich Schmetterling nicht leichtflüglig an, eher nach Schmetterball
Eigentlich hört sich Schmetterling nicht leichtflüglig an, eher nach Schmetterball

Foto: Oli Scarff/Getty Images

In Deutschland scheint das Interesse an dem zu steigen, was man – seiner britischen Herkunft entsprechend – birdwatching nennt. Überhaupt haben Vögel hochkulturell Konjunktur. Nicht nur in den noch eher ominösen Animal Studies. Die Erfolge von Josef H. Reichholfs bestechendem Ornis, ein Buch über Vögel und ihre Beobachter zugleich, oder von Helen Macdonalds H wie Habicht zeigen das. Nun war die Faszination für Vögel, in der Spannweite von fragiler Verletzlichkeit und majestätischer Erhabenheit, in der lange für Menschen unerfüllbaren Sehnsucht nach Erdentbundenheit, schon immer da.

Der Ire Hugh Ridley stellt jetzt 400 Jahre Vogelmalerei vor, das ist zugleich eine Einführung in das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft. Von abgemalten Vogelbälgern bis hin zur Präsentation im Habitat, von Anthropomorphisierung zur Vogelperspektive. Dazu Spannungen zwischen Individuen, Charakteren und Spezies, zwischen Exaktheit und Schönheit. Apropos Schönheit: Das Buch ist mit erstaunlich gut gelungenen historischen Abbildungen versehen.

Eigentlich hört sich Schmetterling ja gar nicht leichtflüglig an, eher nach Schmetterball oder Max Schmeling. Dabei sind sie doch mit das Feinste und Raffinierteste, was die Natur so zu bieten hat. Ob fachmännische Lepidopterologen mit allen Einzelheiten von Andrea Grills Büchlein – naturgemäß in der immer wieder höchst zu lobenden Reihe Naturkunden bei Matthes & Seitz – einverstanden sind, kann ich nicht sagen, aber nachdrücklich bescheinigen, dass es hier eine solche Vielfalt an biologischem, kulturellem und künstlerischem Wissen zu finden gibt, dass einem, wäre es nicht so klug wie leichtfüßig komponiert, die Augen flattern könnten. Wie Maria Sibylla Merian im 17. Jahrhundert ausgelacht wurde, weil sie Raupen malte und sagte, dass das eigentlich Schmetterlinge seien, was Vladimir Nabokov beizutragen hatte, nämlich die Mär aufklärte, Falter müssten sterben, verlören sie durch Berührung ihren Flügelstaub. Wie Forscherkarrieren verliefen, wie man zum Experten wird oder wie jemand dazu kommt, Schmetterlinge zu züchten ...

Nun zu den Antipoden der Schmetterlinge und bunten Vögeln, zu den Dickköpfigen, den Bodenhockern und Blutgläubigen. Das Kursbuch 186 widmet sich dem Blick nach rechts, aufs Rechte, auf die Völkischen, die Islamverteufler, Hetzer gegen Geflüchtete und EU-Phobiker. Es blickt nach vorn auf den Trumpismus und zurück auf die Sarrazin-Debatte und hat einen Brief von John Stuart Mill an Thomas Carlyle ausgegraben, der die Affekte gegen die Anti-Sklaverei-Bewegung auseinandernahm. Es zeigt bei aller intellektuellen Redlichkeit doch auch die einschlägige Ohnmacht: Weil die Eigenkomplexität der modernen, mal wieder im Umbruch befindlichen Gesellschaft zwar tapfer benannt, aber dadurch nicht gebannt ist, dass man die von ihr Abgehängten oder auch nur Geängstigten verbal verprügelt – zumal leider die Reaktionen mancher Linker nicht komplexer sind als die der Rechten.

Bleibt Ernst Jünger. Mit dem die Neuvölkischen aber wenig am Hut oder Helm haben. Wahrscheinlich ist er ihnen dann doch zu komplex. Zudem hat er ja auch mitten im Gefecht Muße gehabt, die Natur zu beobachten, auch Schmetterlinge. Nach der ultimativen kritischen Versionenvergleichsausgabe von In Stahlgewittern hat der unermüdliche Helmuth Kiesel nun die ganze Reihe weiterer Kriegsjüngeriana ebenso kritisch wie kompetent und kompakt herausgegeben. Manche(r) mag fragen, was soll das martialische Gedöns von damals? Indes kann man es durchaus als Lehrgang fürs Heutige und Kommende nutzen, wenn man es nämlich als Versuch einer Traumabewältigung mit den zeitgenössisch zur Verfügung stehenden Mitteln liest. Stört man sich nicht an den antiquierten Begriffen von Erlebnis und Verinnerlichung, sondern konzentriert sich aufs angstrengt Habituelle darin, Tapferkeit, Gleichmut, Ungerührtheit et cetera, vor allem aber auf die aus dem Fin de siècle stammenden ästhetischen einem das himmelhoch über den Niederungen des Hass- und Hetzgeblubbers von Figuren erscheinen, deren „Individualität“ zwar zur Hordenexistenz, aber mitnichten zum Typus reicht.

Info

Eine Geschichte der Vogelmalerei in Deutschland Hugh Ridley Wehrhahn 2016, 256 S., 28 €

Schmetterlinge: Ein Portrait Andrea Grill Judith Schalansky (Hg.), Matthes & Seitz 2016, 159 S., 18 €

Kursbuch 186: Rechts. Ausgrabungen Armin Nassehi, Peter Felixberger (Hg.), Murmann 2016, 92 S., 19 €

Krieg als inneres Erlebnis: Schriften zum Ersten Weltkrieg Ernst Jünger Helmut Kiesel (Hrsg.), Klett-Cotta 2016, 693 S., 34,95 €

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