Woraus Zeitungen geschnitzt sind

Medientagebuch "Holz" wird häufig als Metapher für Zeitungen verwendet. Worin aber besteht eigentlich die Verbindung zwischen Printmedien und dem Wald?

Wenn der Begriff „Holzmedien“ fällt, ist immer klar, wovon die Rede ist: von trägen und korrumpierten Papierzeitungen, die vom Digitalen keine Ahnung haben und deshalb im Umgang mit dem Netz täglich neu versagen. Eine reichlich rätselhafte Metapher, selbst wenn man von hölzern spricht, um mangelnde Beweglichkeit oder Attraktivität zu benennen. Die „Holzmedien“-Kritiker meinen die Form nur, insofern sie für den (schlechten) Inhalt bürgt. Was aus Holz gemacht ist, muss per se von gestern sein? Handelt es sich gar um einen moralischen Vorwurf, der mal wieder den Wald gegen einen vermeintlichen Missbrauch in Stellung bringt?

Das würde jedenfalls kaum verwundern, denn als identifikatorisches Moment taugte der – vor allem deutsche – Wald ja stets besonders gut. Die entscheidende Schlacht Germaniens soll selbstredend in einem deutschen Wald stattgefunden haben; der Schutz des heimischen Waldes wiederum hatte später auf besonders rassistische Weise im Nationalsozialismus Priorität. Und so viel wäldliches Ambiente wie in deutschen Wohnungen und Häusern findet man wohl in keiner anderen industrialisierten Nation dieser Erde. Oder, mit den Worten Elias Canettis: „Das Massensymbol der Deutschen war das Heer. Aber das Heer war mehr als das Heer: es war der marschierende Wald. In keinem modernen Land der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben wie in Deutschland. Das Rigide und Parallele der aufrechtstehenden Bäume, ihre Dichte und ihre Zahl erfüllt das Herz des Deutschen mit tiefer und geheimnisvoller Freude.“ Im Notfall genügt die Zirbelstube.

Und auch die restliche Metaphorik fließt ein in die Debatte um die Qualität der Massenmedien: Gefordert wird ein nachhaltiger Journalismus – der Begriff der Nachhaltigkeit aber entstammt der Forstwirtschaft und sicher nicht dem Zeitungswesen, dem es von Anfang an um den Verkauf der neuesten Neuigkeiten ging und nur sehr bedingt darum, die Welt zu verändern. Und dennoch wird, wer heutzutage nicht journalistisch nachhaltig handelt, am Ende – viele meinen dann: nur gerecht! – Opfer des Zeitungssterbens. Eine Rhetorik, die frappierend an jene vom Waldsterben erinnert. Das letzte Mal starb der Wald angeblich während der 1980er Jahre, wofür damals etwas heute kaum mehr der Rede Wertes namens „saurer Regen“ verantwortlich gemacht wurde. Auch das Zeitungssterben erklärt sich freilich mit einer solchen vermeint­lichen Denaturalisierung: Eine „Heuschrecken“-Plage soll angeblich die Schuld daran tragen.

Eine Zeitung, das stimmt, ist kein Freund des deutschen Waldes. Papier besteht hauptsächlich aus Zellstoff, und der besteht meist zu etwa 90 Prozent aus ehemaligem Holz, also: totem Wald. Und wie die Kritiker der „Holzmedien“ richtig erkannt haben, bestimmt diese Form manchmal auch den Inhalt. Im Idealfall – der, klar, selten genug ist – beteiligt sich eine Zeitung nämlich nicht nur real, sondern auch mithilfe der Sprache an der Abholzung. Da mögen deren Gegner noch so rigide und parallel und höchstens formal aufrecht herumlungern und als Besitzstandswahrer einer Natur auftreten, die erst um 1800 als solche erfunden wurde und seither oft genug im Dienste einer Symbolik stand, die mit Humanität nur wenig, mit Intellektuellenfeindlichkeit dafür umso mehr zu tun hatte. Kaum zufällig stand und steht zeitgleich mit der Natur ja immer auch die bürgerliche Presse – ob auf Papier oder im World Wide Web – in voller Blüte. Das war im 19. Jahrhundert schon so und man kann es auch heute wieder beobachten. Es muss sich also um eine Reflex handeln.

Kathrin Schuster hat Germanistik studiert

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