Wortgeklingel

Kommentar Grünes Grundsatzprogramm

Geschlechtergerechtigkeit durch Geschlechterpolitik mit einem »Schlüsselprojekt Frauenpolitik«. Das ist in Kurzform der programmatische - wie pragmatische - Entwurf grüner Politik für die nächsten 20 Jahre, mit der sie männlicher Vorherrschaft und weiblicher Diskriminierung zukünftig zu Leibe rücken will.

Als kürzlich Bündnis 90/Die Grünen ihren Entwurf eines neuen Grundsatzprogramms öffentlich präsentierten, fand dieser Aspekt in der Medienöffentlichkeit keine Beachtung. Zu Unrecht, denn damit haben die Grünen weitgehend alles, was sie an feministischem Gedankengut, aber auch geschlechterdemokratischen Ansätzen, an herrschaftskritischen Analysen, Handlungsentwürfen und gesellschaftlichen Utopien zur Veränderung der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern repräsentierten, still und heimlich begraben.

Zwar benennen sie als »Maßstab einer demokratischen Gesellschaft ... die Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern«, doch in ihren Aussagen, wie sie dahin kommen, ebenso wie in ihren Analysen bleiben sie vage und nichtssagend. Gerade noch konstatieren sie »ein Gefälle in der Verteilung von Machtpositionen, Einkommen und Zeit zu Lasten von Frauen« und dass es Gewalt an Frauen gebe, doch kein Wort über strukturelle Bedingungen der Ungleichheit, männliche Herrschaftsinteressen und ökonomische Profitinteressen, die etwa zur Abwertung weiblicher Versorgungsarbeit führen; erst recht keine programmatischen Lösungsansätze. Selbst typische Frauenarbeiten - ehrenamtliche Tätigkeiten ebenso wie Pflegearbeit - haben in ihrem Entwurf kein Geschlecht. Überhaupt sind Subjekte wie Objekte der Überlegungen auffällig oft geschlechtsundifferenziert Menschen, Kinder und Familie.

Insgesamt nehmen die Überlegungen zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft in dem insgesamt 80-Seiten-Papier nur knapp drei Seiten ein, im »Aufbruch in eine emanzipative Sozialpolitik« zeichnen sie mehr plakativ als visionär ein »Leben in Gleichberechtigung«. An anderen Stellen kommen einzelne Sprengsel frauenpolitischer Vorstellungen vor, doch nirgendwo werden Handlungsperspektiven, geschweige denn ein Gesamtkonzept deutlich, wie denn die beschworene Geschlechtergerechtigkeit erreicht werden könnte. Begriffe wie »Zugangsgerechtigkeit«, »Chancengleichheit«, »gleiche Beteiligungsrechte für alle Bürgerinnen und Bürger« bleiben abstrakte Sprachhülsen wie sie auch CDU oder SPD gelegentlich formulieren.

Mit ihrem Programmentwurf führen die Grünen vor, was in der »Mitte der Gesellschaft« längst schon klar ist: Feminismus ist gegenwärtig out.

Dennoch könnten sie sich verrechnen. Es waren bisher gerade die Frauen, die die Grünen gewählt haben, Frauen, die das alte Wort »Feminismus« inzwischen vielleicht altbacken finden, aber sehr wohl auf Emanzipation Gleichberechtigung und geschlechterdemokratische Veränderungen setzen und Wortgeklingel von weiterführenden programmatischen Vorstellungen unterscheiden können.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden