Robert Rodriguez ist ein Formalist, wie er, ja: im Buche steht. Nur dass die Formen, derer er sich bedient, aus dem niedersten Segment der Populärkultur stammen. Zwischen den Orientierungspunkten Pulp und Grindhouse gibt es in Hollywood keinen verlässlicheren Regisseur, selbst wenn dabei aus Versehen mal ein lustloses Sequel wie kürzlich Machete Kills herauskommt. Rodriguez hat den Hollywood-Witz aus den 90er Jahren, dass die Studios nur noch B-Movies mit A-Budgets produzieren, wie ein begriffsstutziger Teenager wörtlich genommen. Seine aufwendigen B-Movies sehen allerdings noch immer wie B-Movies aus und sind zudem schlimmer vollgestopft mit abgehalfterten Stars als zwei Staffeln des Dschungelcamps. In Machete gaben Robert de Niro und Lindsay Lohan ihren Einstand, in d
ihren Einstand, in der Fortsetzung waren es unter anderem Charlie Sheen und Mel Gibson. Mel wer?RotoskopieAuf diese Weise hat Rodriguez sich in Hollywood eine Marktnische geschaffen, die er exklusiv bedient. Dadurch hat er es nicht mal mehr nötig, nach dem bewährten Soderbergh-Prinzip „Einen für mich, zwei fürs Studio“ zu arbeiten. Selbst das unzerstörbare Spy Kids-Franchise ist inzwischen seinen Regeln unterworfen. Man muss die Konsequenz von Rodriguez, die so weit geht, dass er sich einen Scheißdreck darum zu kümmern scheint, was die Fans von seinen Filmen halten, zumindest anerkennen. Einer hätte ihm trotzdem ins Gewissen reden können, bevor er in eine Fortsetzung des Comic-noir-Kultfilms Sin City einwilligte.Der erste Sin City-Film liegt zehn Jahre zurück. Damals war das Rotoskopie-Verfahren, bei dem Schauspieler mit Hilfe digitaler Technik in Figuren aus einer Graphic Novel verwandelt werden, der letzte Schrei. Sin City sah zugegebenermaßen ziemlich spektakulär aus, auch wenn die Grundidee kaum Substanz hatte: eine reale Comicverfilmung, die eine Comic-Ästhetik emuliert. Dass die Vorlage von Frank Miller stammte – einem Autor mit dubiosen politischen Ansichten und beschränkten erzählerischen Mitteln, eine Art Sub-James-Ellroy –, macht die Sache nicht unbedingt verheißungsvoller.Aber visuell erwies sich der Film als Coup. Statt den stilisierten Realismus handelsüblicher Comic-Adaptionen (vor Nolans Dark Knight-Trilogie) zu pflegen, zeigte sich Rodriguez’ Noir-Universum von den Scherenschnittfilmen Lotte Reinigers beeinflusst. Die Abenteuer des Prinzen Achmed in Schmuddelland. Sin City war strikt binär konzipiert: Es gab viel schwarze Schatten, ein wenig weißes Licht und null Graustufen. Einzig Nick Stahls deformierter Psychopath glänzte golden und Alexis Bledels Lippen leuchteten rot wie die Signalfarben einer besonders tödlichen Spezies aus der Tierwelt. Schwarz-weiß war auch die Figurenzeichnung.Einiges Personal aus dem ersten Film hat es jetzt in die Fortsetzung geschafft, die den programmatischen Noir-Titel Sin City 2: A Dame to Kill For trägt. Mickey Rourke etwa, dessen Gesicht zunehmend an Rocky Balboa nach dessen Boxkampf gegen Ivan Drago erinnert. Da hilft auch keine Rotoskopie mehr. Jessica Alba und Bruce Willis nehmen den Faden ihrer Geschichte aus dem Vorgänger wieder auf, sind aber nur noch Schatten ihrer selbst: Er, ein Cop, wurde im ersten Film ermordet und wacht nun als guter Geist über Albas Nachtclubtänzerin. Die ist nie über den Tod ihres Beschützers hinweggekommen, so dass sie sich in Kadie’s Saloon – der Kaschemme, in der alle Schicksale der Sin City zusammenlaufen – mit einem Whiskey in der Hand an der Stange räkelt. Albas Nancy sinnt auf Rache für den toten Geliebten, den der korrupte Senator Roark (Powers Boothe, verlässlich schmierig) auf dem Gewissen hat.Die anderen Figuren sind neu, aber sie bleiben Archetypen aus der Welt des Hochglanz-Pulp. Ihre Sätze klingen wie Stanzen aus dem Urban Dictionary für harte Macker: aus dem Off eingesprochen mit kehligen, fatalistischen Stimmen, stets an der Grenze zur Parodie. Ihr Selbstmitleid, wenn sie einem bösen Mädchen verfallen sind, verströmt den pathetischen Schmelz pubertierender Jungs-Prosa. „Sie besitzt mich. Körper und Seele“, jammert der abgewirtschaftete Detektiv (Josh Brolin), als er den Verlockungen der titelgebenden „Dame“ erliegt. Die Femme Fatale wird von einer toll verschlagenen Eva Green gespielt, die wie in der katastrophalen Frank-Miller-Verfilmung 300: Rise of an Empire allein das Eintrittsgeld wert ist. Man spürt in ihrer Rolle Millers Faible für niederträchtige Frauenfiguren. Seine Misogynie wird nur übertroffen von der Vorliebe für Nussknacker-Monologe. Das Leben ist eines der härtesten in den Straßen von Sin City.Sonst nicht viel Neues, der einst so ansehnliche Novelty-Effekt von Rodriguez’ schwarz-weißer Lautmalerei zeigt Abnutzungserscheinungen. Dafür legen er und Miller in puncto Gewalt noch zu. Doch die harten Sprüche taugen nur noch bedingt für das Hardboiled-Poesiealbum. „Der Tod ist wie das Leben in Sin City. Er gewinnt immer.“ Die Aphorismen sitzen so schief wie die verlebten Visagen im expressionistischen Halblicht der sündigen Stadt.