Würstchen der Wahrheit

Film In „Die Wache“ schickt Quentin Dupieux einen Unschuldigen in die kafkaeske Welt eines absurden Polizeiverhörs
Ausgabe 50/2019

Die Situation ist hochgradig absurd. Louis Fugain (Grégoire Ludig) sitzt seit Stunden auf dem Revier. Er ist hungrig und müde. Aber Kommissar Buron (Benoît Poelvoorde) kennt kein Erbarmen mit diesem Zeugen, den er für verdächtig hält. Also stellt er ihm fortwährend die gleichen Fragen, nur um immer wieder die gleichen Antworten zu bekommen. Ein zermürbendes Spielchen, in dem der Kommissar allerdings deutlich besser ist als Fugain.

„Die Würstchen der Wahrheit, die für uns gebraten werden, wollen wir nicht mehr essen“, hat der Theaterautor und Lyriker Wolfram Lotz einmal geschrieben. Ein wundervoller Satz, der perfekt auf das Kino von Quentin Dupieux passt. Die Filme dieses Kunst-Exzentrikers, der unter dem Pseudonym Mr. Oizo auch als Musiker auftritt, interessieren sich weder für Wahrheiten noch für Wahrscheinlichkeiten. Je absurder eine Idee ist, desto begeisterter scheint Dupieux sie zu verfolgen. In seinem Film Rubber war ein mörderischer Reifen die zentrale Figur. Damit ist eigentlich schon alles über sein Kino gesagt: Es geht ihm nicht darum, Sinn zu produzieren. Im Sinnlosen und Abstrusen liegt für ihn die Kraft des Kinos.

Im Vergleich zu Rubber klingt das Setting von Die Wache erst einmal konventionell. Die Konstellation von einem Kommissar und einem Verdächtigen, die sich in einem engen Raum gegenübersitzen und einander in ein komplexes Katz-und-Maus-Spiel verstricken, gehört zum Standardrepertoire von Krimis und Thrillern. Mit der länderübergreifenden Serie Criminal hat Netflix gerade erst ein Format produziert, das ausschließlich um derartige Verhörsituationen kreist. Die Klassiker dieses Subgenres stammen aus den 1970er und 80er Jahren. Sidney Lumets 1973 entstandener Thriller Sein Leben in meiner Gewalt hat dabei Maßstäbe gesetzt, an denen sich dann später Claude Miller mit seinem Film Das Verhör orientiert hat. Diese beiden zutiefst verstörenden Porträts von Polizeigewalt haben zweifellos ihre Spuren in Die Wache hinterlassen, auch wenn Dupieux’ Film nichts von der stählernen Härte hat, die Lumets Meditation über männliche Gewalt kennzeichnet.

Mehr als reine Spielerei

Dupieux schlägt einen anderen Weg ein. Bei ihm kippt das Psychologische zunächst ins Komödiantische und später ins Kafkaesk-Absurde. Trotzdem verbeugt er sich unverkennbar vor Lumet und Miller. Seine Figuren haben zwar Mobiltelefone, aber ihre Kleidung wirkt, als stamme sie noch aus den 70ern. Dupieux erschafft eine Welt, die dem Kino und seinen speziellen Bedingungen und Codes weitaus mehr verpflichtet ist als dem, was wir als Wirklichkeit kennen. Die stark formalisierte Verhörsituation dient ihm nicht dazu, die Untiefen der menschlichen Psyche auszuloten. Sie ist für ihn ein Rahmen, der ihm bemerkenswerte spielerische Freiheiten gewährt. Und doch geht Die Wache über eine reine Spielerei hinaus.

Fugain hat wohl einen entscheidenden Fehler begangen, als er den Fund einer Leiche vor seiner Tür der Polizei meldete. Nun steckt er fest in den Mühlen eines Systems, aus dem es für ihn kein Entrinnen mehr gibt. Kommissar Buron hat sich regelrecht in die Theorie verbissen, dass etwas mit Fugains Aussage nicht stimmt. Fugain kann auf Burons Fragen antworten, was er will. Der Kommissar beharrt auf seinen Zweifeln und seinen Theorien.

Was Fugain über die Nacht erzählt, in der er den Toten entdeckt hat, ist dabei so banal, dass sich selbst der Kommissar langweilt. Aber Quentin Dupieux gelingt es dennoch, diesen Alltäglichkeiten etwas Besonderes zu verleihen. Er erzählt sie nicht einfach als Rückblenden. Sie verwandeln sich in begehbare Alltagsinstallationen, in denen plötzlich Figuren auftreten können, die im fraglichen Moment gar nicht anwesend waren. Die Nacht vor drei Tagen und die Ereignisse während des Verhörs fließen ineinander. Gedanken und Erinnerungen, Ängste und Schuldgefühle vermischen sich in diesen Szenen, die direkt aus Fugains Kopf herauszufließen scheinen, auf eine irrwitzige Weise.

Das Lachen angesichts Dupieux’ grotesker Einfälle und der unglaublichen Wendungen, die der Film nimmt, bekommt mit der Zeit einen immer hysterischeren Unterton. Natürlich fällt es schwer, einen Polizisten wie Benoît Poelvoordes Kommissar Buron ernst zu nehmen. Er ist ohne Frage eine Karikatur. Dupieux und Poelvoorde überzeichnen den hartgesottenen Cop, der auf seine viel zu nachsichtigen Kollegen herabsieht und sich als einsamer Wolf gibt, nach allen Regeln der absurden Kunst. Letztlich betont gerade Burons Lächerlichkeit seine ungeheure Macht. Er wird zu einem kafkaesken Repräsentanten einer höheren Instanz, die weder Fugain noch das Publikum im Kinosaal jemals verstehen wird.

Info

Die Wache Quentin Dupieux Belgien, Frankreich; 73 Minuten

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