Würste und Wille

Zum Wiederaufbau Das Berliner Zeughauskino zeigt Filme, die das alte Stadtschloss zeigen
Ausgabe 36/2013

Was lässt sich aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen? Am 7. September ist Tag des offenen Denkmals, das Kino vom Deutschen Historischen Museum in Berlin führt dann Filme vor, in denen man das alte Stadtschloss sehen kann, bevor es rückgebaut werden musste, weil das Berliner Bautradition ist. Und was sehen wir da?

In der amerikanischen Stummfilm-Comedy So this is Berlin aus den zwanziger Jahren begleiten wir einen dicken Mann durch die Stadt. Er spaziert durch den Tiergarten, stopft sich Würste in den Mund, quetscht sich aus einem Motorradtaxi. Am Potsdamer Platz, „the center of everything“, kreisen Fahrzeuge mit Pferdeantrieb neben Automobilen. Die Kamera wandelt zum Schloss, der Dicke wandelt zum Nationaldenkmal und wirkt trotz seiner Körperfülle winzig vor dem steinernen „resting Mars“. Daneben ein riesiger Löwe, der brüllt heute im Tierpark.

Im Stummfilm Mit der Kamera durch Alt-Berlin von 1928 werden keine Scherze gemacht. Würde man den Film mit Ruttmanns Sinfonie der Großstadt (1927) messen, müsste man ihn oberlehrerhaft nennen. Wir blicken auf Straßen und Plätze und bekommen ab und zu eine historische Stadtansicht zum Vergleich. Das Schloss erscheint nur kurz hinter dem Reiterstandbild des Großen Kurfürsten auf der Kurfürstenbrücke, heute Rathausbrücke. Im Augenblick reitet der Kurfürst durch den Ehrenhof von Schloss Charlottenburg.

Schlüterhof

Das Berliner Schloß von 1953 ist eine Verneigung vor dem Schloss und seiner damaligen Umgebung. Mit Tonspur. „Karl Friedrich Schinkel bereicherte den architektonischen Rahmen durch hervorragende Bauten.“ Namedropping. Reinhold Begas, Carl von Gontard, Lucas Cranach, Eosander von Göthe und natürlich Andreas Schlüter. „Der Schlüterhof ist die wohl eigenwilligste und erregendste Schöpfung des deutschen Barock.“ Das Zeughaus verfügt übrigens über einen eigenen. Im Film fällt kein Wort über die Entlassung Schlüters wegen des gescheiterten Münzturmbaus. Schlüter wird geehrt, und es wird in seinem Namen angeklagt. „Im Krieg schwer getroffen, doch in seinem architektonischen Organismus noch lebensfähig, vernichtete der traditionsfeindliche Wille das großartigste Zeugnis der Genialität Schlüters.“

Der letzte Film des Abends dokumentiert die Vernichtung. Eine Filmrolle mit Rohmaterial der Defa von 1950 zeigt Aufnahmen von Krause, Rudolph und Gerstmann, so steht es auf den Filmklappen. Wir können uns ein Bild machen vom architektonischen Organismus. Lange verharrt die Kamera auf der Ruine. Oder ist es gar keine Ruine? Nicht sprengen, will man reinrufen. Aber es wird gesprengt, allerdings unspektakulär: Die Filmsprengung von 1950 ist eine Enttäuschung. Wenn man schon ein Zeichen gegen den preußischen Militarismusimperialismuskapitalismus setzen will, hätte man mehr daraus machen können. So was hat doch Eventcharakter! Ein Aufmarsch mit allem Drum und Dran. Freie Deutsche Jugend, bau ab!

Es gibt eine zweite Chance, wir werden es besser machen. Wenn zum 100. Geburtstag der Sprengung bei der Jubiläums-Schloss-Spreng-Facebook-Party die Reste des Humboldtforums wieder gesprengt werden, kriegt Berlin das größte Feuerwerk seit Beginn der Wetteraufzeichnung.

Das Schlossfilmprogramm im Berliner Zeughauskino läuft am 7. September um 21 Uhr Marion Pfaus alias Rigoletti plant als Rückbaubeauftragte die Zukunft des Berliner Humboldtforums

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