Wunschfilme

A–Z Zombie GAUCK! metzelt Regisseure nieder und Alma & Luise rasen durch die Postwachstumswelt: Es gibt so viele Dramen – doch auf diese warten wir noch. Das Wochenlexikon
Ausgabe 08/2015
Wunschfilme

Foto: Indranil Mukherjee/AFP/Getty Images

A

Alma & Luise Als Thelma & Louise 1991 in die Kinos kam, war das nicht nur für mich eine Offenbarung. Ein Actionroadmovie mit zwei tragischen Titelheldinnen – zwei so starken Frauenfiguren, gespielt von Susan Sarandon und Geena Davis, dass Dennis Hopper und Peter Fonda in Easy Rider (1969) wie Luschen wirkten. Dem Regisseur Ridley Scott brachte Thelma & Louise seine erste Oscar-Nominierung ein. Warum also kein deutsches Remake? Bandits, 1997 von Katja von Garnier gedreht, kam dem schon recht nah. Aber so sehr ich mich über junge, unverbrauchte Gesichter freue: In deutschen Filmen sind Frauen im mittleren Alter unterrepräsentiert. Es gibt so viele großartige Schauspielerinnen, denen nur seichte TV-Filmchen angeboten werden (etwa Saskia Vester). Wer will schon als ewige Mutti verheizt werden? Viele hiesige Miminnen bleiben lieber gleich am Theater (etwa Nina Petri). Bei „Alma & Luise“ könnten gern Doris Dörrie oder Hermine Huntgeburth Regie führen. Beide sind bekannt für Filme mit Tiefgang. Wer weiß, vielleicht fänden sie ja Geschmack am Actiongenre. Jutta Zeise

B

Blutsbrüder Ludwig, Jonny und ihre Clique – ein Haufen Straßenjungs in abgerissenen Klamotten – lungern in Berlin herum. An zugigen Straßenecken, in faden Ämterfluren und zwielichtigen Lokalen. Manche von ihnen gehen auf den Strich, lassen sich von bürgerlichen Männern betatschen. Andere begehen Diebstähle. Ist genug Kente beisammen, leisten sich die Jungs ein bis zwei Mädchen für ein Gruppenvergnügen, das man heute gangbang nennt. Ernst Haffner, ein Sozialarbeiter aus der Weimarer Republik, schrieb die Geschichte der Blutsbrüder 1932 auf, als dokumentarischen Roman. Die Nazis zogen ihn aus dem Verkehr. 2013 hat der Metrolit Verlag das Buch neu aufgelegt (240 S., 19,99 €). Wie so viele Dokumente aus der Weimarer Republik wirkt es verblüffend modern. Rosa von Praunheim drehte 2011 „Die Jungs vom Bahnhof Zoo“. Die „Blutsbrüder“ sind deren Vorgänger. Liefen sie im Kino, würde ich mir das sofort ansehen. Katja Kullmann

K

Katerstimmung Detektiv auf allen vieren: Weil er mal wieder zu viel gesoffen hat, wagt sich Akif Pirinçci im Krebsgang aus der Deckung. Mit pelziger Zunge und Alkoholfahne ist er im Migrantenmilieu zugange, um grün-rot-versifften Kopftuchmädchen nachzuspüren. Jeder hat halt so seine sexuellen Vorlieben. Ehrenmord, ähm, -wort, dass sich der Beau von Bonn selbst spielt. Mit Katerstimmung kennt er sich seit seinen Katzenromanerfolgen und kulturkritischen Ergüssen, deren geistige Verrenkungen einigen Muskelkater heraufbeschwören, schließlich aus. Und schlechter als ein Schweiger (➝ Til – die ganze Wahrheit) ist Pirinçci ja auch nicht, beim Sich-selbst-Darstellen. Wenn er im Morgenmagazin mal sein Lieblingswort „rot-grün-versifft“ vergisst, setzt er einfach noch mal neu an und wiederholt sich. Solche Gelassenheit im Hass ist großes Kino. Allein dafür schon gebührt ihm die Goldene Wasserhenne mit Siphon. Tobias Prüwer

P

Paris Ich hatte mich in die Stimmung verliebt, aus La Boum – Die Fete (1980) oder Les choses de la vie (1970). Flirrend, melancholisch. Es zog mich nach Paris. Und ich machte mir mein eigenes Bild. Aber wenn ich in den vergangenen Jahren ins Kino ging, fand ich wenig wieder. Die Filme hießen Paris, je t’aime (2006), So ist Paris (2008) oder Forget Paris (1995). Aber da waren nur der Eiffelturm, die Seine, eine Brasserie. Begegnungen, Trennungen, die ewigen Geschichten, sie wirkten nicht mehr echt. Und die Stadt nur noch als Kulisse. Woody Allen gab meinem Paris-Bild den Rest. In Midnight in Paris (2011) träumt sich ein Amerikaner auf eine Party in den 20ern, mit Hemingway und Dalí. Geht’s noch kitschiger? Wie müsste ein guter Paris-Film heute sein? Mir fiel „La Haine“ (Hass) von 1995 wieder ein. Mathieu Kassovitz zeigt den Alltag junger Immigranten aus der Pariser Banlieue, alles in Schwarzweiß. Rau und poetisch. Nach dem Massaker bei Charlie Hebdo hat er ein neues Projekt angekündigt: La Haine 2. Merci! Maxi Leinkauf

Q

Qualification – the Neverending Story Das Sommermärchen und Die Mannschaft waren nicht genug. Schland braucht mehr davon! Mehr kitschige Pseudodokumentationen, die angeblich einen Blick hinter die Kulissen der Nationalmannschaft ermöglichen und mit roher Gewalt Gänsehautstimmung erzeugen wollen. Die EM in Frankreich sollte daher auf jeden Fall so tränendrüsig wie möglich dokumentiert werden. Und wo wir schon dabei sind: warum nicht auch der Weg dahin? In Zukunft sollte auch die Qualifikation glanzvoll inszeniert werden, und zwar jedes 2:1 gegen Gibraltar oder San Marino, von den Freudentränen bis zur Enttäuschung beim Verpassen der Endrunde. Eine neverending story – deren erster Teil Road to France heißen könnte. Das Wunder von Bern gibt es ja schon als Spielfilm. Zwischen 1954 und 2006 schlummern noch andere Plots. Die Schande von Gijón oder Die Nacht von Belgrad: So was füllt Säle! Die Rollen könnte man mit schauspielernden (Ex-)Fußballern besetzen. Franz Beckenbauer kehrt nach seinem Welterfolg in Libero (1973) als Helmut Schön auf die Leinwand zurück. Lothar Matthäus spielt Lothar Matthäus, und Éric Cantona bekäme sicher auch noch eine Rolle. Benjamin Knödler

T

Til – die ganze Wahrheit Schauspielerdarsteller wie Til Schweiger spielen immer nur sich selbst, wenn auch durch viele Rollen hindurch. Es ist schon erstaunlich, wie er vom Opel-Gangschalter über den Eisbären bis zum Honigtopf alles Mögliche verkörperte – und doch über eine vernuschelte Performance mit „Oh menno!“-Mimik nicht hinauskam. Man möchte wirklich mal sehen, was passiert, wenn sich Schweiger selbst spielt. Gibt das einen Dopplereffekt? Oder potenziert sich das ins Unendliche, so als ob man zwei Spiegel einander gegenüber stellt?

Reichlich neue Gelegenheit zur Selbstdarstellung bekommt Schweiger nun dank Ai Weiwei. Der sich als bekanntester Gesellschaftskritiker Chinas selbst inszenierende Künstler will einen Episodenfilm über Berlin drehen. Er wird nicht nur – aus der Ferne, weil er China nicht verlassen darf – via Videotelefon Regie führen, sondern selbst mitspielen. Da sein Sohn in Berlin lebt, darf der natürlich im Film nicht fehlen. Oder ist die Hauptstadt der Drehort, weil der Sohn dort lebt? Das Drehbuch jedenfalls hat die Mutter geschrieben. Was Familienfilz und -vermarktung angeht, haben sich mit Ai Weiwei und Til Schweiger also zwei auf Augenhöhe gefunden. Bestimmt bekommt der Deutsche seine Bagage auch noch im Streifen unter. Die können zwar genauso wenig schauspielern wie der Papa, aber genauso schön „Menno!“ sagen. Tobias Prüwer

U

Unser Leben – 2035 Wir sind unabhängig von Öl und teilen, was wir brauchen, statt alles immer neu zu kaufen. Das Wirtschaftswachstum hat als Parameter ausgedient. Aber Achtung: Da holen die Überbleibsel der Großkonzerne, die Profiteure der alten Überflussgesellschaft, doch noch einmal zum letzten großen Schlag aus … Wie der aussieht und was dann geschieht, darf gern jemand aus dem cineastischen Fach entscheiden. In den Kinos braucht es dringend einen guten, optimistischen Film über unser Leben in 20 Jahren. Anhänger der Postwachstumsbewegung integrieren gern von Schriftstellern entworfene Zukunftsszenarien in ihre Sachbücher – wie die Futurzwei-Stiftung es bei ihrem Zukunftsalmanach (2014, Fischer Verlag, 544 S., 16,99 €) gemacht hat. So wird vorstellbar, wie eine gute Gesellschaft aussehen könnte, jenseits aller Theorien über Kapitalismus und Klimawandel. Beim Film herrscht da eine Leerstelle, es gibt nur – sehenswerte – Dystopien wie Die kommenden Tage (2010). Will sich das deutsche Kino an einem Degrowth-Epos oder einem Nachhaltigkeitsblockbuster versuchen, würde ich Andreas Dresen, Franz Xaver Gernstl oder Hans Weingartner den Plot anvertrauen. Sebastian Puschner

V

Virtuelle Sequels In Hollywood schlafen die Toten heute nicht mehr ganz so fest. Seit dem Aufstieg der digitalen Bildbearbeitung recycelt vor allem die werbetreibende Industrie gern verstorbene Leinwandgrößen. 2013 bearbeitete eine Schokoladenmarke den Audrey-Hepburn-Film Ein Herz und eine Krone so, dass sich Hepburn am Ende auf der Rückbank eines Cabriolets glücksstrahlend durch Rom chauffieren lässt – natürlich mit der richtigen Schokolade in der Handtasche.

Abendfüllende Filme mit den Größen von einst sind da nur noch eine Frage der Zeit. Marilyn Monroe wird dann wohl an unzähligen weiteren Straßenecken das Röckchen hochgepustet, James Dean darf noch mal Hasenfußrennen fahren, und Cary Grant flüchtet weiter vor Flugzeugen. Unter den Klassikern, die einer Fortsetzung bedürfen, wird unverständlicherweise auch immer „Casablanca“ genannt. Nur, wer will wirklich sehen, wie sich Rick Blaine und Ilsa Lund irgendwann doch kriegen und dann durch einen tristen Ehealltag kämpfen? Jan Pfaff

W

Werwölfinnen Werewolf Women of the SS: Was für ein Filmtitel. Er war im Vorspann von Grindhouse angekündigt, einem Horror-Thriller-Doublefeature, das Quentin Tarantino und Robert Rodriguez 2007 herausbrachten. Für die Regie der SS-Werwölfinnen war, laut Trailer, Rob Zombie, Metalmusiker und Angstfilmanimateur, vorgesehen. Der Plot: Im Zweiten Weltkrieg züchtet eine Gruppe Nazis um den (natürlich!) verrückten Wissenschaftler Dr. Fu Manchu (natürlich! Nicolas Cage) eine Armee von Frauen, die sich in Werwölfinnen verwandeln können. Angeführt wird das Experiment von Gretchen und Eva Krupp. Das machte große Lust auf mehr – war aber nur ein Fake, einer von insgesamt fünfen, die die Grindhouse-Macher als Gag in ihren Film einbauten. Zwei der Faketrailer wurden später dann doch zu Langfilmen ausgewalzt. Ganz neu ist die Werwölfinnenidee nicht. Sie knüpft an die 70er-Jahre-Kombination aus Nazi-Exploitation und Frauengefängnisfantasien an, die besonders den Streifen Ilsa, She Wolf of the SS (1974) berüchtigt gemacht hat: KZ-Aufseherin ergeht sich in sadistischen und homoerotischen Quälereien. Na ja. Tobias Prüwer

Z

Zombie-Apokalypse Beim Besuch in Moskau entdeckt Angela Merkel, als sie Wladimir in den Po kneift, dass Putin ein Alienroboter vom Planeten Mars ist. Sie alarmiert den Chef der Geheimorganisation Käproschmi (Käsige protestantische Schmierenkomödianten) und ihren Freund – und Rivalen – Joachim G. Der will den gesamten Osten der Welt für das christliche Abendland alternativlos machen, da fällt ihm, als er sich unter dem Vorwand einer Bibelkriegserklärung an eine Praktikantin heranmacht, eine Luther-Büste auf den Kopf und tötet ihn. Der Reporter Mandiek, der wegen wiederholten Schweiger-Bashings (➝ Til – die ganze Wahrheit) zu lebenslangem Witwenschütteln bei der B-Zeitung verurteilt wurde, erscheint am Tatort und erweckt den GAUCK! durch sein Blitzlicht zu einem Nachleben als Zombie. Der GAUCK! fällt sofort über den Reporter her und zerfetzt wahllos Zuschauer, Regisseure und Berlinale-Juroren und fast die gesamte deutsche Filmförderung. GAUCK! DIE ZOMBIEKALYPSE – demnächst in diesem Theater. Georg Seeßlen

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