Wunschprogramm

Linksbündig Dem Trivialen zu entkommen ist schwerer, als viele wahrhaben wollen

Manchen Themen entgeht man einfach nicht. Was Anfang vergangener Woche noch nach einer nur mühsam aufgepeppten Neuauflage einer bereits ziemlich abgedroschenen Idee aussah, dazu versteckt im Nachtprogramm, wurde binnen weniger Tage zum Bezugs- und Angelpunkt fast aller Diskussionen. Wann haben Sie das letzte Mal ein zwangloses Gespräch geführt, in dem nicht nach spätestens 20 Minuten von RTLs "Dschungelcamp" die Rede war? Wie bei echten Katastrophen eines bestimmten Ausmaßes wurden auf allen Kanälen zahlreiche Experten berufen, sich dazu zu äußern. Manche meldeten sich auch von selbst. Und einige, ich habe es selbst gehört, sprachen vom Untergang des Abendlandes.

Die geballte Meinungsfreudigkeit, mit der sich alles, was gerne diskutiert, auf das unansehnliche Objekt stürzt, hat nachgerade etwas Kurioses. Fast könnte man meinen, es würde ein altes Feuilletonistenspiel gespielt: Schreibe einen Text, in dem du die Agenda 2010, die Elitendiskussion und das 20-jährige Jubiläum des Privatfernsehens in Deutschland zusammenbringst. Dank Ich bin ein Star - Holt mich hier raus! das reinste Kinderspiel: Menschen, die unter widrigen Bedingungen im australischen Dschungel für ihre jeweils eigenen Ich-AGs Werbung machen, dabei diversen selbst auferlegten Gesundheitsrisiken trotzen und sich seltsamerweise ziemlich auserwählt vorkommen, wenn für sie "gevotet" wird - das kann uns nur ein quotengeiler Privatsender bieten! Fehlt doch eigentlich nur noch das Weltsozialforum in Indien - die Themen der Woche wären in einem Zug abgehakt. Aber auch die fleißigsten Kulturkritiker kriegen nicht alles hin. Volker Panzers gepflegte Diskutierrunde Sonntagnachts im Zweiten wechselte das Thema lieber gleich ganz aus: Statt über "moderne Sklaven" wurde über "Obszönität der Medien - Wer holt uns da raus" gesprochen und in der Ankündigung Kakerlakenfreiheit garantiert.

Die Willigkeit, mit der hier schon im Diskussions-Titel das Logo der Sendung aufgenommen wurde, über die da reflektiert werden sollte, zeigt das Problem an: Wie entkommt man der Falle, beim Gespräch darüber nur zu verdoppeln, was die inkriminierte Sendung bereits bietet? Was war eigentlich zuerst da, fragt man sich, die spezifische Lust an der Herabsetzung jener "Halbprominenz", die unseren Medienhorizont notwendig bevölkert oder die Einladung dazu durch die RTL-Sendung? So fehlte in keinem Artikel der Hinweis auf den prekären Popularitätszustand der Beteiligten, als sei der nicht schon in Titel und Anlage der Sendung ausreichend in Frage gestellt. Lieber noch als all die gesellschaftskritischen Essays zu lesen und Metadiskussionen zu hören tut man sich da vielleicht doch noch die Sache selbst an.

Im Beiprogramm der allgemeinen Empörung sehen manche ihre Stunde zu einem Imagewechsel gekommen: Ausgerechnet einige jener Werbekunden, die doch mit dem sturen Blick auf die Quote den "Medienniedergang" zuerst ausgelöst haben, treten nun auf als Retter von Anstand und Moral, indem sie ankündigen, im Umfeld einer solch "unwürdigen" Sendung nicht mehr werben zu wollen. Ein Rollenwechsel, mindestens so kurios, wie wenn sich ein einschlägiges Sonntagsblatt als Aufklärer betätigt und verkündet, das "Dschungelcamp" sei ein "Lügencamp", weil vor wirklichen Unwettern der Wildnis genauso geschützt wie vor wirklich gefährlichen Tieren. Wir waren froh, das zu erfahren.

Im medialen Rausch, in dem alles mit allem und das wiederum unweigerlich mit Dschungel, Kakerlaken und Küblböck zusammengebracht wird, liest sich ein Hinweis aus dem Internet-Feuilletondienst Perlentaucher zwangsläufig wie ein Metakommentar: Der Economist dieser Woche beschäftige sich mit dem Thema Ekel. Ekel, so kann auf der entsprechenden Testseite jeder an sich selbst überprüfen, stehe im Zusammenhang mit der Angst vor Infektion, beziehungsweise der Einschätzung der Gefahr dazu. Das Gefühl angesichts der vielbesprochenen Sendung selbst und dem Rummel drum herum ist dieser Angst recht ähnlich: Weder soll sie verboten noch abgesetzt werden - sie soll sich nur nicht weiter ausbreiten und darüber hinaus bitte tatsächlich endlich vorbei sein.


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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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