Wüstensand im Stiefel

Europawahlen in Italien Die neue Wahlallianz von Romano Prodi könnte für ihre wenig überzeugende Irak-Politik abgestraft werden

"Wir sind aber für den Frieden", soll der Bürgermeister Desiderio Fogarin von Camponogara höflich zu Gianfranco Fini von der Alleanza Nationale (AN) gesagt haben, als er den Vizepremier auf dem Flughafen von Ciampino zu den Beerdigungsfeierlichkeiten des Soldaten Matteo Vanzan abholte. Fini habe den Mann mit dem weißen Schnauz, der sein Vater hätte sein können, eine Weile perplex angeschaut und geantwortet: "Ich danke Ihnen, wir tun unsere Bestes". Die Anekdote war im Corriere della Sera kurz vor der Parlamentsdebatte über das italienische Irak-Kontingent Ende Mai zu lesen.

Im 12.000-Seelen-Dorf Camponogara unweit von Venedig hält man nichts von Berlusconis Irak-Engagement, und das nicht erst seit einer der Ihren gefallen ist. Der Korrespondent des Corriere meinte dazu, der 72-jährige Bürgermeister, der auf eine Jahrzehnte lange Vergangenheit als stolzes PCI-Mitglied (*) zurückblickt und heute für die Kommunalwahlen eine freie Liste anführt, hätte Fini vielleicht noch eine andere Eigentümlichkeit seines Ortes erklären müssen. Jeden ersten Sonntag im Monat wird um halb elf Uhr morgens im Beisein des Gemeinderates die Nationalflagge zu den Klängen der Nationalhymne - der Inno di Mameli - gehisst, "um den Jungen zu zeigen, wofür wir in der Vergangenheit gekämpft haben".

Die kleine Episode ist eine der vielen Facetten im sich vehement oder verhalten artikulierenden Widerstand gegen Silvio Berlusconis Gefolgschaft gegenüber Präsident Bush. In einem Land, in dem vor Beginn des Irak-Krieges im März 2003 zweieinhalb Millionen Friedensfahnen von den Balkonen hingen, ist der Unmut über die Präsenz der 3.000 Soldaten und Carabinieri in der "Koalition der Willigen" allgegenwärtig, wie das gerade mit dem Protest Hunderttausender gegen den Bush-Besuch in Rom deutlich wurde. Spätestens am 6. April, als im südirakischen Nasiryia, dem Hauptquartier des Kontingents, der "Kampf um die Brücken" und seine zivilen Opfer keinen Zweifel mehr an italienischen Kriegshandlungen unter fremdem Kommando ließen, war das Gerede von der friedlichen Mission Antica Babilonia nicht mehr haltbar.

Linke, Grüne und die Friedensbewegung verlangen seit Monaten den unverzüglichen Abzug des italienischen Korps, mithin den Abbruch einer nach Römischem Recht verfassungswidrigen Operation. Es spekuliert nicht fahrlässig, wer davon ausgeht, dass der Streit über das Irak-Abenteuer am 13. Juni von einigem Gewicht sein dürfte.

Die Italiener sind an diesem Tag nicht nur aufgerufen, über ihre Abgeordneten in Brüssel und Straßburg, sondern auch über die Zusammensetzung der lokalen Parlamente zu entscheiden. Vor einem Jahr hatten die Provinz- und Regionalwahlen der Mitte-Links-Opposition und dem mit ihr verbündeten Rifondazione Comunista (RC) einen Achtungserfolg beschert. Nun tritt mit Romano Prodis Liste Uniti nell´ Ulivo ein zentristisches Bündnis an, das ihr designierter Leader zu einer reformistischen Partei für die Wahlen 2006 zusammenschweißen möchte. Mit einiger Aussicht auf Erfolg, denn Berlusconis heterogene Rechtskoalition bröckelt - das Resultat neoliberalen Wirtschaftens sind nicht die versprochenen 1,5 Millionen neuen Arbeitsplätze. Zu den gravierenden Problemen im Mezzogiorno bleibt die Regierung stumm. Mit seinem durch fragwürdige Finanzoperationen getürkten Haushaltsbudget macht der Premierminister in der EU keine gute Figur.

Mit angezogener Handbremse

Romano Prodis sogenannter Listone, der die Linksdemokraten (DS), Francesco Rutellis Margherita, die Sozialisten und Republikaner vereinigt, hat allerdings mit dem Missvergnügen über eine widersprüchliche Irak-Politik zu kämpfen. Im Juli 2003 hatten die Linksdemokraten und Abgeordnete der Zentristen noch gegen eine Irak-Mission an der Seite der USA gestimmt. Im Bemühen, die Reihen in der neuen Wahlallianz zusammenzuhalten, verfolgen deren Wortführer unterdessen eine Politik der angezogenen Handbremse gegen ihre internen Linken. Dies war immer dann zu spüren, wenn der Linksdemokrat Piero Fassino in den vergangenen Wochen beinahe schon verzweifelt sein immer kraftloseres Ultimatum "svolta o ritiro!" - Wende zur UNO oder Rückzug - wiederholte.

Dass sich die große Mehrheit des Listone bei der Verlängerung des Truppeneinsatzes im Senat der Stimme enthielt und dem Votum in der Abgeordnetenkammer fern blieb, war kaum dazu angetan, bei der Friedensbewegung Vertrauen in Prodis neue reformistische Allianz zu wecken. Das Argument, es sei nicht gelungen, die Vorlage von anderen internationalen Operationen zu trennen, verfing nicht im Geringsten. Dass Prodis Reformisten ausgerechnet die breiteste Bewegung im Land brüskieren mussten, provozierte unter den DS-Linken einige spektakuläre Übertritte auf andere Listen. Einer von Ihnen - Alberto Asor Rosa - begründete seine Entscheidung mit den Worten: "Wenn das Verhalten im Senat das Eintrittsticket ist, mit dem sich diese neue moderate Bewegung dem Land präsentiert, ist nichts Gutes zu erwarten."

Verspielte Wende

In Berlusconis Forza Italia ist - nachdem Spanien seine Truppen abgezogen hat - Schadensbegrenzung angesagt. Die in den Keller gefallenen Umfragewerte für den Regierungschef sind Alarmzeichen genug. Berlusconi weigert sich hartnäckig, im Parlament Rechenschaft über den Verbleib der italienischen Einheiten im Irak abzulegen.

In der Debatte vom 20. Mai führte er mit seinem Auftritt eine groteske Variante für den Schulterschluss mit George Bush vor und erklärte in gewohnt selbstgefälliger Manier, seine Regierung habe erreicht, dass der US-Präsident nun eine gewichtigere Rolle der UNO im Irak befürworte. Noch eine Woche zuvor hatte er genau das als "unnütz" bezeichnet. Die folgenschwere Botschaft aber lautete: Italien bleibt an der Seite der USA im Irak. "Die Rede eines Statisten auf internationalen Parkett", kommentierte La Repubblica. Berlusconi habe dem Datum 30. Juni, dem Tag des Antritts einer neuen irakischen Regierung, in nebulöser Weise lediglich das Wort "UNO" beigefügt und sich ansonsten seiner "Obsession" - der Verteufelung alles Linken - gewidmet. Das wirklich frappierende Ereignis dieses Tages war jedoch, dass erstmals ein fraktionsübergreifender Antrag für einen Truppenabzug im Falle einer gestärkten Rolle der UNO im Irak auf der Tagesordnung stand. Mit Ausnahme einiger Dissidenten stimmten Prodis Reformisten zu. Berlusconi hatte sie kalt erwischt, war doch ein Eingreifen der UNO auch ihre Forderung, wenngleich mit einer präzisen Vorstellung über deren (auch militärische) Kompetenzen. Die Farce im Parlament wäre kaum der Rede wert, gäbe es nicht den 13. Juni und das womöglich unfreiwillige Wahlgeschenk an die regierende Rechtskoalition.

(*) Italienische Kommunistische Partei


Europawahlen in Italien 1999

ParteiProzentMandate

Forza Italia (Berlusconi)25,222

Democratici di Sinistria (Linksdemokraten/DS)17,415

Alleanza Nationale (AN)10,39

Partito Popolare (Margherita)4,34

Democratici (Prodi)7,77

Lista Bonino8,57

Lega Nord4,54

Grüne1,82

Rifondazione Comunista4,34

CCD/CDU (Christdemokraten)2,6 / 2,12 / 2

Andere11,88

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