Yes, Sir!

Kommentar Das Fünfte Gebot und unsere mörderisch wütende Friedenspolitik

Die allerschlimmste Lüge lautet, wir führen gar keine Kriege mehr. Im Orwellschen Neusprech werden nur noch humanitäre, friedensstiftende Maßnahmen ergriffen. Eindeutig ist aber das Töten von Menschen nicht das Retten von Menschen. Eindeutig ist Kriegsvorbereitung keine Abrüstung, Lüge keine Wahrheit, Grausamkeit keine Menschlichkeit.

Man fragte 1998 Madeleine Albright, damals Außenministerin unter Clinton, ob ihr der Tod von 500.000 irakischen Kindern unter fünf Jahren ein fortgesetztes US-Embargo gegen den Irak wert sei. Was antwortete die hochrangige Politikerin eines westlichen Staates? "Yes, Sir!" - und Punkt. Sind es nicht Kriminelle, die uns regieren, unverantwortliche Zyniker der Macht? Was geschah, als Clinton im August 1998 mit den Anlagen von al-Shifa ein Chemiewerk am Rande der sudanesischen Hauptstadt Khartum auf den bloßen Verdacht hin bombardieren ließ, es produziere Waffen? Was tut ein solcher Präsident, wenn er das einzige pharmazeutische Werk in einem Land der Dritten Welt bis auf die Grundmauern zerstört hat? Baut er es wieder auf? Entschuldigt er sich? Schickt er Arzneimittel in den Sudan? Nichts davon, obwohl in al-Shifa tatsächlich nur Medikamente hergestellt wurden. Treffen wir mit der Zerstörung des Werkes nicht auch auf eine der Ursachen für das Desaster in Darfur?

Ich könnte diese Aufzählung endlos fortsetzen. Und sie würde Punkt für Punkt eine Begründung dafür sein, weshalb auf der Tafel der zehn Gebote steht: "Du sollst nicht töten!" Wie schwer ist es angesichts unserer mörderisch wütenden Friedenspolitik daran zu erinnern, dass "Du sollst nicht töten!" mit Sicherheit auch heißt: "Du sollst mit 18 Jahren nicht beginnen zu trainieren, wie man am effizientesten tötet! Dazu darfst du dich nicht zwingen lassen."

Erinnern wir uns: Als Bush senior 1991 erklärte, wir haben den Kalten Krieg gewonnen, gab es keinen deutschen Politiker, der ihm sagte, was denn der Preis dafür war. Der bestand auch darin, dass in dieser Zeit 50 Millionen Menschen pro Jahr verhungert sind. Ich wollte um diesen Preis niemals Sieger der Geschichte sein. Auch wenn vieles nach einem differenzierten Urteil verlangt, gibt es für mich an diesem Punkt kein Wenn und Aber mehr, weil sich alles - wie dieser Sieg, den Bush verkündete - ins Gegenteil verkehrt hat: Wir führen Krieg im Zeichen von Gerechtigkeit, Fortschritt, Freiheit und Menschlichkeit und sorgen für das Gegenteil. Wir führen Krieg gegen den Terrorismus - und der Terror verbreitet sich weiter. Wir bekehren Staaten zur Demokratie und hinterlassen Zwang und Zerstörung. Ein finaler Irrsinn, den jeder erkennen kann. Fast möchte ich sagen - mühelos.

Warum sollten wir da nicht ungerührt und im Sinne Tucholskys sagen: "Soldaten sind Mörder"? Wozu sonst erzieht man den 18-Jährigen als zu vollkommener Empfindungslosigkeit und zum Töten auf Befehl? Ich höre sagen, dass unsere Soldaten ja weiter Bürger in Uniform blieben. Was hat das damit zu tun, dass sie der Krieg in Afghanistan und anderswo in eine Gegenwelt führt? Aus ihnen latente Täter macht, die nur auf den Befehl warten, sich selber von der Kette zu lassen? Es gibt keine Armee der Welt, in der man Befehlsverweigerung aus Gewissensgründen trainiert und lernt, wie man unmenschliche Befehle verweigert. Es gibt sie nirgendwo. Man schiebt sich einen Stahlhelm übers Gehirn und hört auf zu denken. Man zieht sich eine Uniform an und gibt seine Menschlichkeit an der Garderobe zum Wallhall einfach ab. Man schiebt sich einen Koppel um den Bauch, auf dem steht "Gott mit uns!", und hat das Recht zu jeglichem Verbrechen.

Den ganzen Kalten Krieg über hat man uns beibringen wollen, dass wir all die Abscheulichkeiten militärischer Massenvernichtung nur erlernen müssten, um sie niemals auszuführen. Jüngst schrieb der Spiegel, die Deutschen müssten lernen, wie die Anderen zu töten. - Es gab nach 1989 die große Chance, dass endlich eine Generation aufstünde, die nicht mehr über den Schlachthof geht, um Eintritt in die Geschichte zu finden. Noch immer hätten wir die Chance, diese Generation endlich zu bekommen. Ersparen wir unseren Kindern und Kindeskindern den Krieg ein für alle mal, sagen wir es genau so wie Wolfgang Borchert, der 1947 - lungenkrank und sterbend - als sein Vermächtnis schrieb: "Mann an der Werkbank, wenn sie wiederkommen und dir sagen, du sollst statt Wasserrohren und Kochgeschirren Kanonenrohre und Handgranaten ziehen. Mann an der Werkbank, sag nein!"

Eugen Drewermann ist Theologe und Schriftsteller.


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