Yoga macht mich aggressiv, Russland noch mehr

Die Kosmopolitin Unsere Kolumnistin mag sich nicht entspannen, schon gar nicht wenn es um Homophobie geht
Ausgabe 17/2019

Also ich bin der letzte Mensch, der Yoga verteidigt, wirklich. Der allerletzte, weil ich das nicht kann: weder diese Verrenkungen, die so unmenschlich aussehen für Leute wie mich, die immer noch an dem Trauma knabbern, im Sportunterricht als Letzte ins Team gewählt worden zu sein. Oder an dem schlimmeren Trauma: als Erste ausgewählt worden zu sein, aber nur weil die beste Freundin sportlich war und Mannschaftsführerin sein durfte.

Das andere, was zum Yoga gehört, kann ich ebenso wenig: meine Mitte finden. Ruhig atmen. Den Atem spüren. Wie er hineinfließt und wieder hinaus, überhaupt diesen blöden Atem beobachten. Den Atem beobachten, ohne dabei aggressiv zu werden, das kann ich nicht. Wenn ich aggressiv werde, versteift sich der Kiefer, was das entspannte Fließen von Atem, rein, raus und so, eh unmöglich macht. Weil ich am liebsten schreien würde: Ich atme doch, seit ich auf der Welt bin. Ich will meinen Atem nicht beobachten. Das ist wie Gras beim Wachsen zuzusehen, und die Stimme, diese Yoga-durchtränkte Stimme, die mich beim Atmen anleitet – obwohl das mal endlich etwas ist, bei dem ich keine Hilfe brauche –, die macht mich noch aggressiver. Ich sage das nur vorweg, damit klar ist, dass ich wirklich niemand bin, der sich um den Zugang zu Yoga Sorgen macht, also grundsätzlich gar nicht.

In Russland stand Yoga lange in einer bestimmten Schicht ganz hoch im Kurs, so wie viele Dinge in Russland schichtenbeschränkt sind, inzwischen ist es aber wie im Westen zu einer alltäglichen Sportart geworden (ich weiß nie, ob es für Yoga eine Beleidigung ist, wenn man es als Sportart bezeichnet).

Nun soll Yoga in Russland an einem Ort verboten werden, an dem Entspannung eine Überlebensnotwendigkeit sein kann und man viel Zeit hat, in Ruhe ein- und auszuatmen. Und den Atem zu beobachten, weil es dort sonst nicht viel gibt, was man beobachten könnte: in Untersuchungshaftanstalten. Die Begründung dieses Verbots ist so abstrus wie empörend: Der Präsident der russischen Vereinigung zur Erforschung von Religionen und Sekten hat festgestellt, dass Yoga nicht nur zu einer „Realitätsflucht“ führe und anbiete, „hochnäsig über die Ängste der ganzen Welt zu lachen“, was dem eigentlichen Sinn des strafrechtlichen Systems widerspreche. Nein, er hat auch das größere Problem erkannt, das Yoga als Konsequenz nach sich ziehe und das der indischen wie der westlichen Welt wohl bisher verborgen geblieben ist. Yoga könne zu homosexuellen Verbindungen unter den Häftlingen führen, weil „eine unkontrollierbare sexuelle Erregung“ während der in Haft ausgeübten Yoga-Praxis nicht auszuschließen sei.

Nun ist Russland ja berüchtigt dafür, Homosexualität auf jede noch so perverse Weise als pervers abzustempeln, zu unterdrücken und unter Strafe zu stellen. Jegliche positiven Äußerungen über Homosexualität im Beisein von Minderjährigen oder über Medien und Internet werden bestraft, Aktivisten fordern Facebook dazu auf, die neu eingeführten Icons für gleichgeschlechtliche Ehen zu entfernen, um nicht „Sodomiten zu verwöhnen“, 51 Prozent der Bevölkerung stimmten dem Vorschlag zu, Homosexuelle ohne deren Einwilligung einer Heilbehandlung zu unterziehen oder aus der Gesellschaft zu isolieren. Diese Liste der menschenfeindlichen Angriffe soll nun also noch um ein Yoga-Verbot erweitert werden. So ruhig will ich gar nicht atmen lernen, dass mich das nicht empört.

Die deutsch-russische Autorin Lena Gorelik schreibt als Die Kosmopolitin über interkulturelle Begebenheiten für den Freitag

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