Oskar wer? Ach, den meinten Sie. Was macht der denn jetzt? Lebt er auf dem Lande? - Wird solche Unvertrautheit mit dem Namen in einiger Zeit die Regel sein, wenn das Gespräch auf Oskar Lafontaine kommt? Oskar wer?
Das ist nicht anzunehmen. Ob der entschwundene Sozialdemokrat Lafontaine seinen Garten in Südfrankreich oder an der Saar bestellt, wird schon bald nicht mehr von allgemeinem Interesse sein. Aber sein Name markiert möglicherweise eine Zäsur, die eines Tages im Rückblick als wesentlich erkannt werden wird. Eine solche Fügung hält einen Namen im öffentlichen Bewußtsein lebendig - weit hinaus über Werk und Wirken des Namensträgers.
Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Biermanns Lieder, wie gut oder schlecht die einzelnen sein
e einzelnen sein mögen, bleiben in ihrer Bedeutung beträchtlich zurück hinter der des Einschnitts in der Geschichte der DDR, der sich mit dem Namen des Liedermachers verbindet: als gegen Biermanns Ausbürgerung öffentlich Front gemacht und so die DDR grundsätzlich verändert wurde. Davon läßt sich lange zehren.Die politische Arbeit Lafontaines ist bemerkenswert gewesen, nicht zuletzt in der Mitwirkung an Gerhard Schröders Aufstieg zum Bundeskanzler. Er hat es früh verstanden, sich auf Bundesebene, wo die erste Liga spielt, aus einer Minderheitenposition heraus durchzusetzen. Er hat die SPD aufgeschlossen für ökologische Notwendigkeiten; er hat die traditionelle Beschränkung auf Probleme der Arbeiterschaft, nicht als einziger, aber doch führend durchbrochen. Er hat die alte Partei thematisch modernisiert. Dies alles wird verblassen. Was aber könnte Lafontaines Namen Bestand verschaffen?Oskar Lafontaine ist in seiner politischen Karriere nicht den populären Weg der Anpassung an Banken, Versicherungen und andere mächtige Branchen gegangen. Er hat nicht angestrebt, so gut wie möglich den Wirtschaftsbossen zu gleichen. Einige seiner wichtigen Antriebskräfte waren offenbar von anderer Art, als es gewöhnlich jene sind - nicht abschätzig gesagt -, mit denen man in Konzernvorstände gelangt. Er wollte gesellschaftlich kein Aufsteiger sein. Lafontaine war in der Politik ein altmodischer Mensch; ein Mann aus dem 19. Jahrhundert. Gelegentlich sehe ich in ihm eine Figur Balzacs.Unterm Schreiben wird mir bewußt, daß ich einen Nachruf verfasse. Möge Oskar Lafontaine ein langes, gesundes Leben beschieden sein. In den Tonfall eines Schlußworts bin ich wohl verfallen, weil die Freiheiten, die sich Lafontaine bei seinem Abschied von Bonn genommen hat, ihrer Art nach kein politisches Comeback zulassen.Die Mißachtung des angemaßten Rechts der Medien, sofort umfassende Auskunft und einen Jagdschein für weitertreibende Fragen fordern zu können - diese Verweigerung, die sich Oskar Lafontaine herausgenommen hat, würde eine Rückkehr in die Politik nicht verhindern. Es sieht eher so aus, als kämen die Medien in Teilen gerade wegen ihrer Häme gegen Lafontaine zu einiger Besinnung. Und es könnte sein, daß sich souveräne, selbstbewußte Politiker künftig ein Beispiel an dieser Haltung Lafontaines nehmen. Dann verdankte die Republik dem Überdrüssigen das Setzen eines Vorbilds.Das politische Comeback ist ausgeschlossen - oder es müßten Ostern und Pfingsten auf einen gemeinsamen Tag fallen -, weil der sozialdemokratische Parteivorsitzende Lafontaine beim Abschied spontan eine übermäßige Egozentrik an den Tag gelegt hat. Den Medien schuldete er nichts; der Partei noch einige Erklärungen. Aber vor allem war von außen zu erkennen, daß auch seine politisch-dienstliche Umgebung nicht ins Vertrauen gezogen worden war. Lafontaine lebte seit Wochen unter der Anspannung durch professionelle Fehler (an denen er seinen Anteil hatte); durch die nur noch mühsam verdeckte, schnell wachsende Etatmisere; durch die Geschwätzigkeit des Kanzleramts. Und nun die Bekenntnisse des Bundeskanzlers über seine Vorlieben bei Anzügen, Mänteln und Schuhen. Lafontaines Überdruß ist gut zu verstehen. Aber so, wie er Abschied genommen hat, kann er künftig mit politischen Äußerungen noch Respekt und Zustimmung erlangen - Gefolgschaft jedoch wird er keine mehr finden. Politiker und ihre Mitarbeiter haben ein gefährlich gutes Gedächtnis.Lafontaine war taktisch begabt bis zur Schlitzohrigkeit. Aber in Grundfragen war er in der Regel von einer redlichen Offenheit, die, weil sie so selten ist, oft als eine besonders infame Art der Vernebelung angesehen und verunglimpft wurde. Kein anderer Politiker im Land hat deutsche Stammtische so gereizt wie Lafontaine, wenn er sagte, daß ihm ein gebildeter Afrikaner näher stehe als ein brutaler, glatzköpfiger deutscher Schläger; oder daß er sich einem Türken, der seit dreißig Jahren in Deutschland lebt, aus gemeinsamer Vergangenheit über Jahrzehnte mehr verbunden fühle als einem sogenannten Rußlanddeutschen, mit dem die Gemeinsamkeit vier oder fünf Generationen zurückliegt. Was die Stammtische besonders irritierte, war, daß Lafontaine sich Blößen gab durch das Ernstnehmen von emanzipierten Positionen, die viele Kollegen allenfalls leise sonntags bis zum Mittagläuten äußern.Welche Zäsur könnte sich eines Tages mit Lafontaines Namen verbinden? Er war ein Volkstribun im altmodischen Stil, der einen Parteitag auf seine Seite zwingen konnte. Aber die gefälligen Selbstdarstellungen des Politikers neuen Typs in den elektronischen Medien standen ihm nicht zu Gebote. Fast rührend wirkte er in seiner Hilflosigkeit in den letzten Tagen als Finanzminister, wenn er sich in Diskussionen mit Politikern und Journalisten im Fernsehen direkt an die Benachteiligten im Land wandte, die die wohlmeinende Absicht seiner Steuerreform doch gewiß begreifen würden. Ein einsamer Rufer bei der dramaturgisch falschen Anwendung des Mediums.Mit Oskar Lafontaine ist ein Parteimann gescheitert, für den die SPD auch ein Ort sozialer Utopien war und nicht nur eine Wahlplattform. Sein Sturz betrifft grundsätzlich alle Parteien: Sie haben mit ihm verloren gegen den Mann der neuen politisch-gesellschaftlichen Strukturen. Unversehens kann aus dem Bündnis für Arbeit ein Schritt in eine Art Ständestaat mit Vorrechten für die große Wirtschaft, den ersten Stand, werden. Eine Herrschaft, die nicht abzuwenden ist, verfestigt sich. Das Credo wird obligatorisch: Wer gegen die Privilegien des ersten Standes argumentiert, der frevelt am Gemeinwohl. Das wäre dann, langfristig gesehen, mit dem Rücktritt Lafontaines verbunden. Eine Zäsur.Zur aktuellen Kommentierung läßt sich nach einer Woche neu nur noch beitragen: Für Leute mit einem Jahreseinkommen über 200.000 Mark ist es gut, daß Lafontaine an den Steuerplänen nicht mehr beteiligt ist; für Leute mit einem Jahreseinkommen unter 80.000 Mark ist es nicht so günstig; und für die dazwischen ist es mehr oder weniger egal.Weitere Artikel zu diesem Thema:Josef NeuserDer Bundestag als AufsichtsratIm GesprächSozialpolitik ist kein RestpostenMichael JägerDer Würfel ist gefallenWieland ElfferdingWenn die Opposition mitregiertAndreas WehrSo oder so: normal