"Der Fahrweg ist offen", kommentierte der Freitag vor einem Jahr (30.10.1998, S. 4). Gemeint war damit das, was SPD und Grüne im Koali tionsvertrag und mit Wirkung zum 1. April auch gesetzlich, zum Einstieg in die Ökologische Steuerreform (ÖSR) vereinbart hatten: die Lohnnebenkosten um 0,8 Prozentpunkte zu senken und dafür die Verteuerung von Kraftstoffen um sechs Pfennig zu beschließen. Der Artikel kritisierte, dass sich die Koalitionäre zunächst nur auf eine Ökosteuer-Stufe verständigt hatten. Den Geburtsfehler der nicht vorhandenen Langfristigkeit haben SPD und Grüne zwar inzwischen behoben, doch sonst haben sie aus der Reform ein Leichtgewicht gemacht.
Das neue Jahrtausend läutet zugleich die zweite Stufe der Ökologischen Steue
er Ökologischen Steuerreform ein. Bis zum Jahr 2003 werden insgesamt fünf Stufen beschritten worden sein. Diese strategische Orientierung, die den lähmenden Vier-Jahres-Zyklus von parlamentarischer Politik durchbricht, ist eine historische Zäsur. Zugleich hat Rot-Grün eine instrumentelle Erweiterung bundesdeutscher Umweltpolitik vorgenommen, die erst mit zeitlichem Abstand gewürdigt werden wird, dann nämlich, wenn deutlich wird, welche neuen Optionen sich dadurch eröffnen.Zwischen 2000 und 2003 ist vorgesehen, Kraftstoffe um jährlich sechs Pfennig pro Liter (einen höheren Betrag verhinderte der Kanzler höchstpersönlich) und Strom um jeweils 0,5 Pfennig/kWh zu verteuern. Mit diesen Einnahmen sollen die Beiträge zur Rentenversicherung innerhalb von vier Jahren um einen Prozentpunkt reduziert werden (0,1 Prozentpunkte im Jahr 2000, jeweils 0,3 Prozentpunkte in den Folgejahren).Zentraler Makel der kommenden Ökosteuer-Stufen wird deren absehbar geringe ökologische Lenkungswirkung sein. Die Kraftstoff-Verteuerungen werden den Kohlendioxid-Ausstoß des Verkehrssektors allenfalls stabilisieren, der Autoverkehr wird weiter ungebrochen wachsen. Da Erdgas und Heiz öl - und das ist ein schlimmer Strukturfehler - von Erhöhungen ausgenommen werden, wird es auch keine weitere Erschließung der großen Einsparpotentiale im Raumwärmebereich geben. Der grundsätzlich positive Effekt der Stromsteuererhöhungen wird durch die Strompreissenkungen, die die Folge der Liberalisierung des Marktes sind, aufgehoben. Für den Kohleverbrauch wurde außerhalb der Stromerzeugung auch diesmal keine Energiebesteuerung eingeführt - ein Kniefall vor der Lobby.Fünf Jahre nach Einführung der Ökologischen Steuerreform soll dann eine zusätzliche CO2-Reduzierung von etwa zwei Prozent erreicht sein - eine große Lücke zum Plan der Bundesregierung, den Kohlendioxidausstoß bis zum Jahr 2005 gegenüber 1990 um 25 Prozent zu verringern. Diese Lücke könnte geschlossen werden, wenn die Ausnahmen und Sonderregelungen begrenzt würden. Stattdessen gilt der reduzierte Steuersatz von 20 Prozent für das produzierende Gewerbe und die Landwirtschaft, flankiert von einer sogenannten "Härteklausel", auch weiter.Und auch die im Koalitionsvertrag vereinbarte Absenkung der Lohnnebenkosten um 2,4 Prozentpunkte nach drei Jahren wird verfehlt werden: Nur 1,8 sind bis 2003 real. Die sozialen Wirkungen sind ausgesprochen schief: Man erhöht Wohngeld und BAföG, gleicht aber die Renten nur an den Inflationsausgleich an. Rentnerinnen und Rentner mit geringem Einkommen sind per Saldo also die Hauptbetroffenen.Inzwischen sind die nächsten Stufen gesetzlich festgelegt, was das öffentliche Interesse am Thema Ökologische Steuerreform erlahmen lassen wird. Lediglich die geplante Neufassung der Ausnahme- und Sonderregelungen zur dritten Stufe könnte noch einmal Lobbyisten mobilisieren und eine kurzzeitige Re-Thematisierung anstoßen. Die aus EU-rechtlichen Gründen umstrittene Steuerbefreiung für erneuerbare Energieträger beziehungsweise die (uralte) Diskussion um eine Kerosinsteuer erfährt vielleicht für den Fall des Scheiterns der Energiekonsensgespräche eine Neuauflage. Gleichwohl dürften die wesentlichen Eckdaten, insbesondere die beschlossenen Steuersätze, nicht mehr angetastet werden. Das heißt aber nicht, dass die Totenglocken für die Reform läuten.Frühere Ansätze einer Ökologischen Finanzreform verfolgten einen breiteren Ansatz. Neben einer Energiebesteuerung war dabei insbesondere auch der Abbau ökologisch kontraproduktiver Subventionen vorgesehen. Für Ökologiepolitiker besteht nun die Chance, dieses Konzept mit der notwendigen Haushaltskonsolidierung zu verkoppeln, indem "Modernisierung" unter Rückgriff auf ökologische Werte betrieben wird. Wenn tatsächlich bis zum Jahr 2006 ein ausgeglichener Haushalt vorgelegt werden soll, sind gewaltige Anstrengungen nötig. Mögliche ökologische Akzente berühren internationale Abkommen und können nur europaweit vollzogen werden, zum Beispiel die Aufhebung der Mineralölsteuerbefreiung für die Luftfahrt und die Steuerbefreiung des Eigenverbrauchs von Mineralölherstellungs- und Gasgewinnungsbetrieben ("Herstellerprivileg"). Nationaler Handlungsspielraum hingegen besteht etwa in der Angleichung des ermäßigten Mineralölsteuersatzes für Diesel an den Steuersatz von bleifreiem Benzin, die beispielsweise in Großbritannien längst vollzogen worden ist, in der Umwandlung der Kilometer- in eine (niedrigere) verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale und im Streichen ökologisch unsinniger Verkehrsprojekte. Ein erster Ansatz ist die von der Bundesregierung im Zukunftsprogramm 2000 geplante Abschaffung der Gasölbetriebshilfe in der Landwirtschaft.Ökologisch kontraproduktive Subventionen kenntlich zu machen, das bestehende Ökosteuer-Gesetz auf seine Wirksamkeit hin zu überprüfen und den Bedarf für weitere Umweltsteuern, neben denen für Energie zu untersuchen, könnte Aufgabe einer Ökosteuer-Kommission sein. Damit werden, wie etwa in nordeuropäischen Ländern bereits erfolgreich praktiziert, Akteure mit einem Eigeninteresse am Thema institutionalisiert, die das Abrutschen von der politischen Agenda verhindern und ein Comeback vorbereiten.Von unseren Autoren ist jüngst ein Buch zum Thema erschienen. Danyel T. Reiche/Carsten Krebs (1999): Der Einstieg in die Ökologische Steuerreform. Aufstieg, Restriktionen und Durchsetzung eines umweltpolitischen Themas, Verlag Peter Lang, Frankfurt/Main, 337 Seiten. ISBN 3-631-35561-0. Das Buch kann per Fax direkt beim Verlag unter 069/780 70 550 für 69,- Mark bestellt werden.