Zeit für Lösungen

EU-Türkei-Gipfel Die Vereinbarung mit Ankara verschafft der EU eine Atempause, in der besonders die Linke wieder Fuß fassen muss
Ausgabe 12/2016
Die Linkspartei muss endlich überzeugende Lösungen finden
Die Linkspartei muss endlich überzeugende Lösungen finden

Foto: Ipon/Imago

Durchbruch ist ein großes Wort, wenn der Begriff auf den jüngsten EU-Türkei-Gipfel gemünzt ist. Fest steht, dass die Vereinbarung mit Ankara der EU eine Atempause beschert hat. Doch unzählige Probleme sind weiter völlig ungeklärt. Das betrifft vor allem die rechtliche Frage. Wird das Abkommen den geltenden Normen überhaupt gerecht? Völkerrechtlich ist es höchst fragwürdig, dass der „Deal“ auf dem Austausch von Kontingenten basiert. Für jeden nach Griechenland Geflüchteten und daraufhin in die Türkei Zurückgeführten darf künftig ein Syrer aus den dortigen Lagern in die EU einreisen. Damit stellt sich – trotz der garantierten Einzelfallprüfung im ein-wöchigen Schnellverfahren (!) – die Frage: Wo bleibt das individuelle Recht auf Asyl? Pro Asyl hat seine Klage bereits angekündigt.

Hinzu kommt die grundsätzliche Frage, ob sich Europa so sehr in die Hände einer Pseudo-Demokratie wie dem Erdoğan-Regime begeben darf. Doch greift es zu kurz, wenn die Opposition in Deutschland moralisch hochfahrend von einem „Offenbarungseid“ und der „Schande Europas“ spricht – in politischer Hinsicht ist die Lage diffiziler.

Hier stellt der Gipfel tatsächlich einen Durchbruch dar, nämlich in der öffentlichen Meinung. Gut ein halbes Jahr nach Beginn der Fluchtbewegung wurde eine irgendwie geartete „Lösung“ so sehr herbeigesehnt, dass die Zustimmungswerte für die Kanzlerin umgehend nach oben gingen. Hinzu kommt – und diese Frage müssen vorrangig die Kritiker beantworten: Was wäre die Alternative? Dieser Punkt betrifft in erster Linie die CSU. Über ein halbes Jahr hat Horst Seehofer Front gegen Angela Merkel gemacht und damit den Aufstieg der AfD maßgeblich befördert, ohne auch nur den Ansatz einer eigenen Lösung zu bieten. Dass nationale Grenzschließungen ein untaugliches Mittel sind, ist jeden Tag an der griechisch-mazedonischen Grenze zu besichtigen. Die gleiche Anfrage gilt der Linkspartei. Natürlich ist die Forderung nach einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge in der EU weiterhin berechtigt, nur offensichtlich sind alle Versuche bislang an Ungarn, der Slowakei und anderen gescheitert.

Der Anfang vom Ende

Daher wäre auch das seit 2011 geltende Parteiprogramm der Linken zu hinterfragen. Dort heißt es: „Wir fordern offene Grenzen für alle Menschen.“ Für den Großteil der Wähler scheint das keine taugliche Antwort auf die große Flucht zu sein, wie der Ausgang der Landtagswahlen gezeigt hat. Ganz offensichtlich ist es der Partei nicht gelungen, ihren gewaltigen menschenrechtlichen Anspruch mit den Abstiegsängsten in Teilen der eigenen Wählerschaft in Übereinstimmung zu bringen. Genau das muss eine Volkspartei aber leisten, wenn sie nicht ihren Zuspruch verspielen will.

Tatsächlich war speziell die Wahl in Sachsen-Anhalt ein Menetekel für die Linkspartei: Unter den Arbeitslosen und Arbeitern wählten 40 Prozent AfD. Anders ausgedrückt: Wie die FPÖ und der Front National könnte die AfD zur neuen Arbeiterpartei werden.

Hier zeigt sich: Die Linkspartei muss endlich überzeugende Lösungen für das deklassierte Prekariat, aber auch für das verunsicherte Kleinbürgertum finden. Andernfalls droht sie ihre Basis im Osten zu verlieren. Diese aber ist überlebenswichtig für das gesamte Projekt Linkspartei, wie die nach wie vor marginalen Wahlprozente im Westen belegen. Gelingt es ihr nicht, sich als östliche Volkspartei gegen die AfD zu behaupten, könnte der Aufstieg der Neuen Rechten der Anfang vom Ende der Linkspartei sein.

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