Zeitenwende verschlafen

Filmfestival War da etwas? Da war etwas. Die Revolutionen in Kairo und Tunis. Eine Zeitenwende in der arabischen Welt und am Nil. Nicht mehr und nicht weniger. Und die Berlinale?

Ägypten ist mit über 110 Jahren Cinematographie immerhin das älteste und traditionsreichste Filmland der muslimischen Welt. Unkonventionell wäre es gewesen, hätte die Berlinale dem ägyptischen und arabischen Film spontan ein Forum verschafft. Zugegeben: Viel Zeit war nicht. So schnell kann eine Großveranstaltung nicht reagieren. Oder doch? An diesem Freitag wird es tatsächlich ein kleines Sonderprogramm von und zu Ehren der Filmnation Ägypten geben. Das Forum auf der Berlinale hat sich eingeklinkt. Offiziell will die Berlinale aber nicht Teil davon sein. Oder will es die Kuratorin des Sonderprogramms nicht? Ein Geschmack von Provinz liegt über einer im Grunde guten Initiative. Kein Hinweis zu dem Sonderprogramm jedenfalls auf der Startseite der Berlinale-Homepage.

Was fast keiner weiß dieser Tage in Berlin: es gibt sie, die jungen talentierten Filmemacher und Produzenten aus Ägypten und Tunesien. Sie sitzen am Halleschen Ufer, einen Steinwurf vom Potsdamer Platz entfernt. 200 Jung-Filmer aus aller Welt. Talent Campus heißt die Veranstaltung. Eine Nachwuchsförderung, die Berlinale-Chef Dieter Kosslick seinerzeit selbst mit initiiert hat. Die Filmjugend der Berlinale-Welt hockt dort auf Bierbänken und redet sich die Köpfe heiß. Polstersessel und roter Teppich wirken gefühlt Meilen entfernt.

Ein Forum aber haben die Filmemacher aus Nahost, die vorige Woche noch Anführer der Revolution waren und sogar eine Protestzug der Filmemacher anführten, auch dort nicht bekommen. Dabei haben die Produzenten aus Kairo und Tunis viele Botschaften mitgebracht. Eine davon lautet: Schluss mit den Stereotypen. Mit Filmgeschichten, die immer nur muslimische Extremisten, Selbstmord-Attentäter oder Frauenschinder zeigen. Was das mit der Leinwand und der Berlinale zu tun hat ? Europa gibt die Stereotypen vor: Für eine Reihe von Koproduktionen in Kino und Fernsehen, die zwischen dem Libanon und Marokko entstehen, gibt es einen knallharten Tausch-Handel – europäische Fördergelder gegen die Zusage, sich an Themenvorstellungen des Westens auszurichten. Und weil das Bild vom „Anderen“ bisher vor allem von Negativ-Schlagzeilen geprägt war, bleibt dies eine okzidentalisch-orientalische Partnerschaft von Ungleichen. Wäre die Berlinale schlau gewesen, hätte sie sich dies zunutze gemacht. Längst steht man mit einem Bein – dem World Cinema Fund zum Beispiel – im Markt der nahöstlichen Produktionen. Ein Heimspiel. Deshalb liegt es nahe, die Dynamik der Filmschaffenden aufzunehmen und in positive Energie umzuwandeln: zum Beispiel mit der Zusage, neue Mittel und einen speziellen Schwerpunkt für die Förderung unabhängiger Filme zwischen Maghreb und Sanaa festzumachen.

Das würden nicht nur die ägyptischen Produzenten in Berlin nach Hause twittern. Denn diejenigen, die jetzt auf dem Talent-Campus auf den Bierbänken sitzen, sind die Generation von Morgen. Was hätte also näher gelegen, als sie mit einer Geste des Respekts Teil einer unvergesslichen Berlinale werden zu lassen? Es stimmt zwar. Es ist kein ägyptischer Filmemacher zur Zeit in Haft oder unter Hausarrest, soweit wir wissen – dies ist das traurige Privileg des iranischen Regisseurs und Jury-Mitglieds Jafar Panahi. Trotzdem verpflichtet gerade sein leerer Sitz in der Jury zur Universalität der Gedanken, für die auch die Filmemacher aus Nahost auf der Berlinale stehen. Was Kairo und Teheran dieser Tage verbindet, das bemerkt selbst ein Blinder mit dem Krückstock.

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