Dunkel, düster und drohend sieht sie aus, die voll verschleierte Frau auf den rot-weiß-schwarzen Plakaten mit der Überschrift „Extremismus stoppen!“. Am 7. März stimmt die Schweiz über das sogenannte „Burka-Verbot“ ab. Sollte die Volksinitiative angenommen werden, dürfen sich muslimische Frauen im öffentlichen Raum nicht mehr mit einer Burka oder einem Niqab verhüllen, vom Verbot ausgenommen wären lediglich Gotteshäuser.
Dass diese Initiative, für deren Kampagne Hunderttausende von Franken investiert werden, völlig unverhältnismäßig ist, steht außer Frage. Von den 200.000 in der Schweiz wohnhaften Muslimas tragen von der allgemeinen Wahrnehmung her keine 50 einen Niqab – und so gut wie niemand eine Burka. Ebenso dürfte unstrittig sein, dass zwischen Kabul und Zürich Welten liegen. Mag der Gesichtsschleier unter Paschtunen in Afghanistan Ausdruck einer Unterdrückung der Frau sein, so tragen ihn die Frauen in der Schweiz freiwillig; sie haben sich bisher politisch auch nicht radikalisiert. Zu diesem Schluss kommt unter anderen der Luzerner Islamwissenschaftler Andreas Tunger-Zanetti in seinem neuen Buch Verhüllung und bestätigt damit vergleichbare Forschungen in Belgien, Dänemark, Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden.
An allem ist der Islam schuld
Das alles mag so gar nicht in das Bild passen, das die Urheber der Volksinitiative von der muslimischen Frau und dem Islam zeichnen: das der unmündigen, ungebildeten Muslima, Opfer einer rückständigen Religion und quasi ferngesteuert von sexistischen, vollbärtigen, unberechenbaren Ehemännern. Dass dieses klischierte, unverhohlen rassistische Bild jeder Realität entbehrt oder zumindest dem Selbstverständnis vieler Betroffener zuwiderläuft, spielt keine Rolle, solange es als Stigma zur Ab- und Ausgrenzung funktioniert. Wer derart anders ist, so anders denkt, so anders glaubt, sich so anders kleidet, gehört nicht „zu uns“ – und darf deshalb auch nicht weiter in „unserer Gesellschaft“ sichtbar sein.
Alles unsichtbar zu machen, was – wohlgemerkt von „uns“ – als „muslimisch“ oder „islamisch“ empfunden wird, ist seit Jahren das Ziel der Leute vom Egerkinger Komitee, das hinter der Burka-Initiative steckt. Für sie ist der Islam eine ständige Bedrohung und trägt die Schuld an allem Möglichen. „Wir zielen auf die Muslime“, kommentiert eines der Komiteemitglieder und meint damit nicht etwa Individuen, sondern Mitglieder einer Glaubensgemeinschaft, die mit negativen Eigenschaften versehen werden, oft erfunden oder zumindest überzeichnet, aber in jedem Fall geeignet, die „Anderen“ zu dämonisieren und abzuwerten. So werden, was paradox anmuten mag, diese Menschen als Menschen unsichtbar, indem sie als etwas anderes sichtbar gemacht werden, nämlich als „die Muslime“ – als eine homogene, bedrohliche, monströse Gruppe.
Vier Minarette, ein Verbot
Die vermeintlich „Anderen“ selbst zu Wort kommen zu lassen, das sei unabdingbar, um die Vorurteile aufzubrechen, tönt es immer wieder aus Kreisen, die einem Burka-Verbot kritisch gegenüberstehen. Doch sind in der Schweiz wie auch anderswo die Betroffenen inzwischen offenbar müde, an derlei Diskussionen teilzunehmen. Oder sie fürchten Anfeindungen. Dabei sei nicht vergessen, dass Debatten über Kleidungsvorschriften, die angeblich religiösen Ursprungs sind, primär von uns an sie herangetragen werden. Tatsächlich ist der Gesichtsschleier für viele der 450.000 Muslime in der Schweiz ein Relikt, das in ihrem Alltag gar nicht vorkommt und selbst in der islamischen Kultur zunehmend zum Anachronismus verkommt. Sich gegenüber dem Gesichtsschleier zu positionieren oder, im Fall der Männer, gegenüber dem Vollbart mit rasierter Oberlippe, ergäbe für sie genauso viel Sinn wie die an gewöhnliche Christen gerichtete Frage, was sie mit dem Gewand des Ku-Klux-Klans zu tun haben.
Wie unsere verzerrten Bilder der „Anderen“ am Leben erhalten werden, gehört ins komplexe Feld der Stereotypenforschung. Einer ihrer Pioniere, der Journalist und spätere Propagandist des Neoliberalismus Walter Lippmann (1889–1974), war überzeugt, dass die Medien über eine unvergleichliche Macht verfügen, immer wieder dieselben Vorurteile zu verbreiten und so Feindbilder zu zementieren.
Tatsächlich findet man in der (westlichen) Presse nur selten leidlich gewöhnliche Geschichten von Menschen, die – nebst vielem anderen – muslimischen Glaubens sind: die ihrer Arbeit nachgehen, sich für Kunst interessieren oder für ihre Kinder aufwendige Geburtstagsfeiern arrangieren, Netflix schauen, sich um die Zukunft sorgen, weinen und hoffen – wie wir alle. Stattdessen hören wir, kommt die Rede auf Muslime, nur von: Terror, Gewalt, Extremismus. Was eine solcherart zugespitzte Wahrnehmung bewirkt, hat Lippmann analysiert. Früher oder später, schreibt er in seinem Buch Die öffentliche Meinung (1922), werde der Einzelne keine Macht mehr über Stereotype haben. Sehe man eine Person, die dem Klischee entspricht, würden wie automatisch jene Bilder wachgerufen, die sich in den Köpfen festgesetzt haben. Ob diese der Wirklichkeit entsprechen, ist zweitrangig.
Den Initiatoren eines Burka-Verbots scheint genau das gut zu gelingen. Vor gut zehn Jahren hatte das Egerkinger Komitee bereits eine Abstimmung zu einem Minarett-Verbot auf den Weg gebracht. Damals gab es in der ganzen Schweiz nur vier Minarette, und doch wurde die Initiative von fast zwei Dritteln der Stimmberechtigten angenommen.
Kommentare 14
Da die Schweiz scharf auf Tourismus aus dem nahen Osten ist, wird die Tourismuswirtschaft ohnehin dagegen lobbyieren in dem sie sich unauffällig der Indentitätspolitik bedient.
Das passiert ja jetzt schon dauernd. Irgendwann werden die ganzen Identitätshysteriker merken, daß sie sich vor den Karren der Wirtschaft haben spannen lassen um die universelle Konsumideologie durchzusetzen.
Man sieht jetzt schon: Identitätspolitik ist besser als Doppeldenk.
Vor ein paar Jahren galt der Kampf gegen Verschleierung der Frauen noch als links und feministisch, heute als rechtsextrem und rassistisch.
Mit Hilfe der Identitätspolitik lässt sich wirklich jeder ganz nach Bedarf stigmatisieren oder zum Befreier stilisieren.
Identitätspolitik hat das Zeug zur neuen Religion.
Hatte in den letzten Wochen ein interessantes Interview im Inforadio gehört, hier wurde berichtet, daß die "radikal" Verschleierten sich eher aus Konvertiten und Frauen, die sich noch auf Identitätsfindung befinden, rekrutieren.
Und erhrlich, das beruhigt mich, viele haben solche Phasen im Leben, nicht jeder jugendliche Bartträger oder Träger scwarzer Klamotten ist ein Radikaler.
Sollen die Frauen sich im Alltag "entdecken", solange sie nicht als Lehrerin Mädchen durch sozialen Druck zum Verschleiern zwingen, sollen sie ihren "Bart" und ihre "schwarzen Klamotten" tragen......
Sie wollen vielleicht Aufmerksamkei und müssen durch das Leben lernen, daß es dafür bessere Möglichkeiten gibt als aufgesetzte Abgrenzung.
Manche sagen, genau so sei es mit den Rechten.
"die Betroffenen (sind) inzwischen offenbar müde, an derlei Diskussionen teilzunehmen." Was für Diskussionen sind denn hier gemeint? Die führen doch die Europäer untereinander - ohne Beteiligung der Muslime.
Dann nennen Sie mir mal muslimische Länder in denen Debatten über die Verschleierung der Frau stattfinden!
Bei der Nijab und der Burka handelt es sich um eine patriarchal-religiös und kulturell bestimmte Kleidung. Auch andere Religionen schreiben bestimmte Kleidungen vor oder ihre Anhänger zeigen öffentlich ihre Zugehörigkeit dazu. Neben den Religionen kennen wir aus der Geschichte auch politische Organisationen mit Uniformträgern. Ich würde ein Verbot für das Tragen religiös oder politisch bestimmter Kleidung nur dann unterstützen, wenn es den öffentlichen Frieden gravieren stört oder volksverhetzerisch wirkt. Beides kann man meines Erachtens für die Burka und den Nijab nicht begründen. Insofern würde ich der individuellen Selbstbestimmung im öffentlichen Bereich den Vorrang einräumen. Auf der Grundlage der Selbstbestimmung kritisiert man umgekehrt ja auch, wenn Regierungen ein Kopftuch strafbewehrt per Gesetz vorschreiben.
In ausnahmslos allen muslimischen Länder findet diese Debatte statt. Nur halt nicht im Fernsehen.
Wenn es Debatten gibt, die aber nur im Privaten und nicht öffentlich stattfinden, beweist das ja wohl, daß die Verschleierung nicht freiwillig ist.
Ich habe ein – na sag `ich mal – eher weniger restriktives muslimisches Land durch meine dort geborene Frau kennengelernt...Marokko. Mir ist es wichtig, zwischen Mensch und Kultur zu unterscheiden. Wie kann ich Menschen beurteilen, ihnen Vorwürfe machen, die nur in wirklich ausnahmsweisen Situationen, Möglichkeiten bekamen, aufzuwachen und diesen patriarchalisch-religiösen Traditionsmüll nach und nach zu verstehen? In meiner Kindheit sah das in Deutschland ähnlich aus. Das Sagen im Dorf hatte eigentlich die Kirche, dann kam der Bürgermeister mit entsprechender Religionsvorbildung und dann, wenn man Glück hatte – großes Glück hatte – der Lehrer mit schon mehr differenziertem Blick für eine offenere Gesellschaft. Die Problematik ist die, dass die offene Gesellschaft von Individuen ausgeht und nicht von Kollektiven, nicht von Religionsgemeinschaften und auch nicht von Familien. Bestens erklärt das für mich Michael Schmidt-Salomon...“Wir haben bei muslimischen Familien, nach Europa emigrierten, sehr häufig das große Problem, dass die Individuen ( Mitglieder), gerade die Jüngeren, die Kinder und Jugendlichen, all die Freiheiten, die ihnen eine offene Gesellschaft bietet, gar nicht nutzen können, weil sie immer noch unter so starker familiärer und festgefahren traditioneller Kontrolle stehen. Dagegen gibt es bislang keine vernünftigen Gegenmassnahmen. ...Wir brauchen ein besseres Bildungssystem...." (Michael Schmidt-Salomon) Nichts, was ich nicht schon selbst erfahren habe: Man tut sich leichter, den Willen der Kinder zu brechen und ihnen Persönlichkeit und Individualität zu nehmen, sie zu kontrollieren....wenn man sie in das Korsett von Religion, überholter Tradition und Normen einspannt...Für den Erfolg oder Misserfolg von fortschrittlicher Intergration, ist in erster Instanz die Familie verantwortlich. Verhalten und Erziehung im Elternhaus sind eben prägend und „da liegt der Hund begraben“. Ich plädiere für einen religionsfreien Ethik-Unterricht, für das Entfernen aller religiösen Symbolik in den Schulhäusern. Und erst dann stünde eine Diskussion über ein Burkaverbot zur Debatte. Wir sollten erst einmal vor unserer Tür kehren. Mir ist jedoch bewusst, dass jede freie Gesellschaft ein Problem mit totalitären Religionsauslegungen bekommt, sobald diese eine kritische Masse erreicht haben. Die wenigen Burkaträgerinnen sind keine krtische Masse. Christentum und Islam unterscheiden sich in dieser Hinsicht qualitativ nicht besonders. Ich werde das sicher nicht mehr erleben, ob sich mein Anspruch an eine wirkliche menschliche Gesellschaft erfüllen wird: Bildung im eigentlichsten Sinne sollte Möglichkeiten und Bedingungen schaffen, die zur Erweiterung von menschlicher Wahrnehmung und menschlichem Bewusstseins beitragen. Doch nach wie vor ist Bildung größtenteils davon geprägt, Stützen für das große Kapitalismusgetriebe zu produzieren.
Ist doch in dem Zusammenhang egal, ob freiwillig oder nicht. Die einen machen es freiwillig, die anderen "freiwillig". Hier laufen die Krähen in und um die Herzklinik, wo arabische Familien ganze Etagen mieten, um ihre verfetteten Patriarchen zu retten. Die sind so reich, dass sie sich niemals an irgendwelche Verbote durch Angsthasen halten werden. Das werden die Schweizer auch schnell merken. Ich kann diese Leute auch nicht ausstehen. Schreibe ich ihnen deshalb ihre Tracht vor?
Wer immer auf dem Verbotstrip ist und sich dazu staatliche Macht leihen will muss wissen: auch seine Hobbies, Kerninteressen oder Rechte kommen bei derart hemmungslosen Exzessen irgendwann an die Reihe.
Und das ist eine wesentlich größere Bedrohung für jedermanns Freiheit als die Burka oder der Nquab anderer Leute.
Ich bin im übrigen auch gegen Verbote oder Kleiderordnungen, ausser im Staatsdienst.
Denn so wird sichtbar, daß die Muslime sich selbst absondern und westlich geprägte Menschen müssen sich nicht absurderweise dauernd rechtfertigen, wenn Muslime auf ihren Traditionen beharren.
// Vor ein paar Jahren galt der Kampf gegen Verschleierung der Frauen noch als links und feministisch, heute als rechtsextrem und rassistisch.//
Bingo! Da ist was wahres dran.