Zerteiltes Leid

Fleischindustrie Schlachthöfe als Infektionsherde, katastrophale Zustände für Mensch und Tier: Die Massenproduktion von tierischen Lebensmitteln war schon vor der Pandemie untragbar
Ausgabe 22/2020
Zerteiltes Leid

Grafik: der Freitag

Kotelett macht krank

Viel rotes Fleisch zu essen, ist eine mäßig gute Idee. Von Tiermastbetrieben gezüchtet, Großschlachtereien zerlegt und in Supermärkten gekauft, halten wir ein seltsames Produkt in der Hand – Schweinefleisch in Styroporwannen, von Folie umhüllt. Liefert zwar Vitamine, aber auch entzündungsfördernde Arachidonsäure und Purine. Wer seine Arthrose mit Harnsäurekristallen und Schlackstoffen befeuern, Rheuma und Leberzirrhose verstärken will, sollte kräftig zulangen, bei Multipler Sklerose wirkt es ähnlich. Stoffwechselkrankheiten werden gründlicher. Die angereicherten Antibiotika (bei Rindern eher Penizillin) genügen zwar nicht, um Grippe per Kotelett zu kurieren, machen aber Keime resistent – weshalb fleißige Fleischesser dann zu härteren Kuren greifen müssen. Überhaupt: Unverarbeitetes rotes Fleisch wird von der Forschung als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft.

Es geht auch anders: Sie kaufen eine Keule, sehen vorher dem Sattelschwein im Internet beim Wachsen zu, wissen, was es isst, wer es züchtet – romantischere Autoren würden „umsorgt“ schreiben – und schlachtet. Sie verstehen Produktionswege und bekommen einen Liefertermin. Alles im Netz, alles weniger hipster, als es klingt, für 29 Euro pro Kilo Sonntagsbraten. Weniger Fleisch essen, das kann heißen, besseres Fleisch zu essen.

Schlachtfeldgeruch

Einmal im Jahr wurde bei den Großeltern die Sau geschlachtet. Ein Tag allergrößter Konfusion.“ Wiglaf Droste malt in der feinen Anthologie Wurst dem Schlachttag ein Gemälde. Wuseln, Fluchen, Blutrühren, Männerrollen, Frauenstärke. Aberglaube über zerredete Würste gemahnte Schweigen: „Es waren noch die Zeiten ungehemmter und dankbarer Fleischeslust. Man sprach vor dem Essen noch ein Gebet. Essen, egal was, war Kulturhandlung, man wusste noch ums Opferlamm und die Geschenke der Natur und den Dank dafür.“

Ein Bild aus einem anderen Jahrhundert mit Farben aus Mühe, Schweiß und schweren Gerüchen, dabei übersichtlich gehalten, eine fast stoische Skizze, die auch Vegetariern schmeckt. Darin hatten alle ihren Platz, Würste, Metzelsuppe, Pökelfleisch wurde gefördert und überhaupt alles vom Schwein verwendet. Schlachterträge wurden konserviert, übers Jahr verteilt, genossen. Wenn Schlachten, dann so: als Hochamt körperlicher Arbeit, als Ritus aus sorgfältig überliefertem Wissen und Trichinenbeschau, ineinandergreifenden Arbeitsschritten mit externer Expertise in Figur des Hausschlachters. Bolzenschuss, Ausbluten, Reinigen, Rasieren, erste Proben, Bratbirnenschnaps, zeremonieller Ernst.

Droste schaut zurück, wehmütig aufs Schicksal der Kreatur, aber liebevoll aufs leidenschaftliche Werkeln: „So stellte man sich den Orkus vor, Schlachtfeldgeruch, wabernde Dämpfe aus dem Brühkessel, im Dunst schemenhaftes Huschen und blitzende Messer und immer das leise Scheppern der Messersammlung, die der Metzger über seinem Gummischurz wie einen Revolver umgebunden hatte. Es war Kampf, alle waren wie im Fieber.“

Info

Wurst Wiglaf Droste, Nikolas Heidelbach, Vincent Klink Dumont Taschenbuch 2015, 160 Seiten, 14,99 €

Teures Gemüse

Trotz wachsender Absatzzahlen von Biolebensmitteln stimmt das Stereotyp des deutschen Supermarktkunden: Er fährt im nach EU-Schnitt teuersten Auto vor, drinnen ist das Fleisch im Verhältnis zur Kaufkraft zwar teurer als in Litauen oder Ungarn, liegt aber gerade bei 88 Prozent vom EU-Mittel und im unteren Drittel.

Bei steigendem Wohlstand geben Menschen im Verhältnis weniger für Essen aus – für das Pfund Supermarktmett werden bis zu 150 Schweine und 60 Rinder zusammengewischt. Turbomästung mit Antibiotika, Futtermittel, für das Brasiliens Urwald abgeholzt wird, Transportwege quer durch Europa, als Massenschlachtung billiger, weil keine Kleinmengenabgaben anfallen: Die Deutschen bereiten es in den teuersten Küchen zu.

Hartz-IV-Empfänger hingegen können gar nicht anders, als auf Billigfleisch und Sonderangebote zu hoffen, der SGB-II-Regelsatz hat an 35,5 Prozent für „Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke“ gedacht. Das sind 150,60 Euro im Monat, knapp 5 Euro pro Tag: Gemüse ist in Corona-Zeiten deutlich teurer geworden, frisches Obst im April sogar um 11 Prozent. Das Statistische Bundesamt stellte eben fest, dass 769.000 Bezieher von Grundsicherungsleistungen nicht einmal jeden zweiten Tag genug Geld für gesundes Essen haben. Jährlich schmeißen Einzelhändler eine halbe Million Tonnen frische Lebensmittel weg.

Billig, billiger, Steak

Das Symbol ist nicht die Hühnerbrust, da schwingt schon ein magerer Gesundheitsbegriff mit, das Symbol ist das Schnitzel. Besser noch: Schweinenackensteak. Soll uns das verboten werden, ist die Frage. Die Frager geben sich als Freunde, als diejenigen, die ein Recht – oder einen Zustand – verteidigen: Springerpresse und AfD ergreifen Partei für die „einfachen Leute“, für Hartz-IV-Empfänger und schlecht bezahlte Arbeiter. Das „uns“ ist Pose und Anmaßung.

Dahinter steht eine schlichte Gleichung: günstige Schnitzel und Nackensteaks zu schützen, vor elitären Großstädtern, im Zweifel vor Robert Habeck. Variationen des Arguments funktionieren mit Billigsprit und Mallorca-Urlaub. Hier wie da: Der Preis fürs Billig-Steak heißt Umweltzerstörung + unwürdige Löhne + Tierquälerei.

Für ein Kilogramm konventionelles Schweinefleisch werden 3.288 Liter Wasser verbraucht. Rechnet man nur die Umweltkosten mit ein, müsste Schweinefleisch 60 Prozent teurer sein. Im Supermarkt zeigt der Preis nicht die Kosten fürs Nackensteak, sondern eine Mischkalkulation – ein Viertel vom Fleischabsatz funktioniert über Sonderangebote. Die locken Kunden an, die dann auch Bier/Kohle/Einmalgrill mitnehmen, Nachtisch vielleicht – und schon rechnet sich alles. In Deutschland werden 0.5 Prozent des Schweinefleisches biologisch hergestellt.

Kultur des toten Tieres

Seit Corona machen Schlachthöfe als Infektionsherde Schlagzeilen. Jetzt soll sich ändern, wie in Deutschland Tiere getötet und zu Nahrung zerkleinert werden. Dabei ist industrielle Tierschlachtung hier schon lange ein Komplex aus Tierleid, Ausbeutung, ein Hort unzumutbarer Bedingungen für Metzger und eine Produktionsstätte von krankheitsbeschleunigendem Essen.

In der Bundesrepublik wurden 2018 rund 657 Millionen Hühner und fast 57 Millionen Schweine geschlachtet. Dazu weitere Millionen Puten, Rinder, Schafe. Deutsche vertilgen im Jahr 59,5 Kilogramm Fleisch, rechnet man dazu Hundefutter, Produkte wie Gelatine, die in Lippenstift und Lakritz auftauchen und mit der Wein geklärt wird, sind es 87,8 Kilogramm, Tendenz langsam sinkend. Das GfK-Haushaltspanel zählte, dass im vergangenen Jahr 129.000 Tonnen gemischtes Hack (bei Aldi-Süd gerade für 3,69 Euro pro Kilo zu bekommen) über die Theke gereicht wurden. Gerne auch: Hähnchenbrust (115.000 Tonnen) und Schnitzel, beziehungsweise Steaks vom Schwein (knapp 100 Tonnen). Männer essen von allem fast doppelt so viel, Frauen entsprechend weniger: Noch immer gilt: Die Wurstsemmel macht groß und stark, und der richtige Mann beweist sich am Grill. Fleisch ist Selbstverständnis, Fetisch.

Steuererhebungen und Schlachtprotokolle notieren im 19. Jahrhundert den Anstieg des Fleischkonsums um fast das Dreifache, billig produziertes Schweinefleisch wird die neue Lieblingsmahlzeit der Deutschen. Die Industrialisierung brachte vor allem bei Arbeitern und Mittelstand mehr Fleisch auf den Teller. Demonstrativer Konsum, Wohlstandszeichen, sich anbahnende Vollfettfröhlichkeit: „Fleischverbrauch“, hat der Historiker Hans-Jürgen Teuteberg mit einem Blick vom Mittelalter aus schon 1988 festgestellt, „ist ein erstaunlich sensibler Wohlstandsmesser.“ Nach dem Krieg rief großer Hunger bald nach immer mehr und immer billigerer Ware, meist aus dem Discounter: 89 Prozent der geschlachteten Kühe oder Rinder werden im Supermarkt gekauft. In den vergangenen dreißig Jahren hat sich die Zahl der Landmetzgereien mehr als halbiert. Zur Konsumkultur entwickelten Unternehmen die passende Herstellung: Die EU-Erweiterung verhalf Hunderttausenden Osteuropäern zu Arbeitsverhältnissen in deutschen Großschlachtereien, bis zu 90 Prozent bei Subunternehmern angestellt, manchmal für Stundenlöhne von unter fünf Euro. Entsendegesetz und Mindestlohn werden zumeist umgangen, die Arbeitsumstände sind oft miserabel, bei den Kontrollbehörden sparten die Landesregierungen gerne, verzichteten teilweise ganz auf Überprüfung.

Durch Covid-19 aufgeschreckt, antwortete nun das Bundeskabinett: Schlachten und Verarbeiten soll nur noch Betriebsangehörigen erlaubt sein, Betriebe müssen den Behörden Wohn- und Arbeitsort melden. Clemens Tönnies, Chef des größten Fleischproduzenten Deutschlands – die Konzern-Holding ermetzgerte 2018 einen Jahresumsatz von 6,65 Milliarden Euro –, hat schon angekündigt: Sollte es so kommen, würden Tierhaltung, Schlachtung, Verarbeitung „durch europäische Wettbewerber“ ersetzt.

In der Schlachtstraße

Wenn die Lastwagen kommen, beginnt die Arbeit. Ställe und Futter kosten, wenn die Schweine also geliefert werden, geht es los, bis die Wagen leer sind. Die Tiere gehen mit dem Fahrstuhl hinab in den CO₂-Schacht, betäubt wieder hinauf, dann werden sie aufgehängt, kopfüber an der Kette durch die Schlachtstraße, Entblutungsstich in die Herzgegend, ein Bolzenschuss ist bei 57 Millionen Schlachtschweinen im Jahr ein Kostenfaktor, dauert auch zu lang.

Schlachten als Just-in-time-System, Hochtechnologie, Menschenhandel, Mafia. Werkverträge heißt das Zauberwort, Vereinbarungen, die helfen, alle Verantwortung für Arbeiter zu ignorieren. Erinnerung an Manchesterkapitalismus. Heißt: industrielle Massenabfertigung, eigentlich acht Stunden am Tag, eigentlich Mindestlohn, aber es geht oft doppelt so lang. Tönnies allein lässt ein Drittel aller Schweine in Deutschland schlachten, Westfleisch, Vion, Willms Gruppe heißen die nächstgrößten. Für Werkverträge werden Quoten geschlachtet, Stunden nicht gezählt oder mit Bleistift eingetragen, die Pausen auf wenige Minuten gekürzt, Lohn gibt es bar auf die Hand, so lässt sich’s schlechter überprüfen.

Brühtonne – da lösen sich Borsten, weiter mit Handarbeit, es ist kalt und feucht: die Ohren abtrennen, Schwanz und Beine, Rektum aufbohren, Haut abziehen, Längsschnitt, die Organe raus, Zerteilen, Sortieren, Zermalmen, Zubereiten, Verpacken, jeder Schritt eine Station, Akkord, zwölf, vierzehn, sechzehn Stunden lang.

Etwa 20 Prozent der Weltbevölkerung konsumieren 40 Prozent der Fleischproduktion, es sind Bewohner der Industrieländer. Sie essen die besten Stücke. Arbeiter werden oft abgeschirmt und bewacht, sowieso kontrolliert: meist Rumänen und Bulgaren schlachten in Deutschland, 30.000 oder mehr Werkverträge gibt es, Arbeiter zahlen Vermittlungsgebühren, Bettmiete von 200, manchmal sogar 350 Euro im Monat, den Transport, Werkzeuge, Schutzkleidung, Reinigung. Es gibt Strafkataloge für Fehlschnitte, für heruntergefallenes Fleisch, fürs Zuspätkommen, für unordentliche Wohnstätten, wenn da die Heizung zu hoch gestellt ist. Für unerlaubtes Laufen durchs Kühlhaus.

Deutschland ist Billiglohnland der Schlachtindustrie, vor allem nach Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen werden Tiere aus ganz Europa gebracht. Sie kommen mit Lastwagen und dann geht es los.

Hack das Klima

Im Schnitt braucht es neun Pflanzenkalorien für eine Fleischkalorie. Die Umweltkosten für dieses Prozedere sind dementsprechend: Sojaanbau in südamerikanischen Monokulturen, kräftig beregnet mit Pestiziden und Herbiziden. Rinder- und Schweinemast verantworten etwa 15 Prozent der von Menschen gemachten Treibhausemissionen, hat die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen gezählt. Der Verlust von Wäldern und Sümpfen schwächt das Immunsystem der Erde, fördert die Erwärmung.

Das Umweltbundesamt schätzt, dass ein Kilogramm Rindfleisch bis zu 28 Kilogramm Treibhausgase produziert, dazu gehören Methan und Lachgas, die 25- und 300-mal klimaschädlicher sind als CO₂.

Bereits heute sind die fünf größten Fleisch- und Molkereikonzerne verantwortlich für mehr Klimagasausstoß im Jahr als einer der größten Ölkonzerne der Welt. Der brasilianische Fleischkonzern JBS verursacht die meisten Treibhausgase, die klimaschädlichsten Unternehmen aus Deutschland sind das Deutsche Milchkontor auf Platz 21 und die Firma Tönnies knapp dahinter.

Machen wir so weiter, wird die Landwirtschaft mit industrieller Fleischproduktion 2050 Hauptmotor des Klimawandels sein. Seit 2009 stößt sie schon 77 Prozent mehr Treibhausgase aus.

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