Zertifiziertes Soja? Schlechter Witz!

Ökologie Wald schützen ist viel wichtiger als Aufforstung. Entwicklungsminister Gerd Müller muss das noch lernen
Ausgabe 28/2019
Platz für Palmöl?
Platz für Palmöl?

Foto: Carl de Souza/AFP/Getty Images

Der folgende Text stammt wirklich nicht aus einer Palmöl-Werbebroschüre: „Zusammengenommen ist der Anteil von Palmöl, das unter Selbstverpflichtung zu null Entwaldung gewonnen wird, im vergangenen Jahr um 60 Prozent gestiegen. Diese Plantagen bedecken eine Fläche von der Größe Portugals. Der Wert dieses Palmöls beträgt 30 Milliarden Dollar innerhalb einer 50-Milliarden-Dollar-Industrie. Das reduziert geschätzte 400 bis 450 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr und insgesamt zwei Milliarden Tonnen bis 2020.“ Zu finden sind diese Worte in der Waldschutzerklärung der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2014. Ob UN-Erklärung oder Werbebroschüre, das macht im Prinzip keinen Unterschied. Denn der Urheber dieser kruden Gleichung ist Wilmar International: größter Palmölkonzern der Welt, verantwortlich für illegale Abholzung und Menschenrechtsverletzungen, Unterzeichner der Waldschutzerklärung – neben 27 Regierungen und 33 Konzernen, darunter Cargill, Deutsche Bank, Nestlé und Unilever.

Sie versprachen, die Entwaldung weltweit bis 2020 zu halbieren und bis 2030 zu beenden. Das wurde enthusiastisch gefeiert. Danach feierte die Waldvernichtung Rekorde: 2015 brannte in Indonesien Regenwald fünf Mal so groß wie Mallorca ab, 2016 und 2017 wurden global je Flächen der Größe Deutschlands vernichtet. In Brasilien schwindet der Wald für Zuckerrohr- und Soja-Monokulturen schneller, seit der Faschist Jair Bolsonaro an der Macht ist. Zwischen Mai und Juni nahm die Abholzung um zwei Drittel zu.

Kürzlich ist Entwicklungsminister Gerd Müller nach Brasilien gereist. Pathetisch verkündete er, der Waldschutz müsse verstärkt werden, um „die Lunge des Planeten“ zu retten. Importiertes Soja und Palmöl müsse zertifiziert sein und dürfe nicht von gerodeten Waldflächen stammen. Ein schlechter Witz. Denn: Überall, wo heute Monokulturen sind, wuchs einst Wald. Problemrohstoffe wie Tropenholz, Palmöl und Soja werden seit Jahren zertifiziert, ohne dass sich etwas ändern würde. Seit Wilmar mit seinem Kunden Unilever und dem WWF 2004 den Runden Tisch für Nachhaltiges Palmöl mitbegründet hat, ist trotz Siegel die Abholzung in Indonesien fortgeschritten. Der Runde Tisch für „verantwortungsvolles Soja“, von WWF und Amaggi – größter Sojakonzern der Welt – gegründet, hat die Waldvernichtung ebenfalls eher befeuert: Weil zertifiziertes Soja nicht dort wachsen darf, wo nach 2009 gerodet wurde, stieg 2009 die Umwandlung von Wald in Ackerland.

Aufforstung, wie die Bundesregierung sie verspricht und die jetzt als größte Hoffnung für das Klima gilt, kann soziale und ökologische Verheerungen sogar vorantreiben: Dafür werden keine Soja- oder Palmöl-Monokulturen weichen. Gerade die sollen neue Wälder ja ausgleichen und erhalten. Das führt bereits heute zu Landkonflikten mit der lokalen Bevölkerung, der die Plantagen ihre Lebensgrundlagen rauben und die auf degradierten Flächen lebt, wo aufgeforstet werden soll. Oder zur Vertreibung Indigener, deren Wald zum Schutzgebiet erklärt wird. Drei Viertel aller Wälder fallen der landwirtschaftlichen Nutzung zum Opfer, dazu kommen wachsende Abbaugebiete für mineralische Rohstoffe. Jedes Jahr kauft Deutschland Güter ein, die dessen doppelte Fläche anderswo beanspruchen. Wenn Wald geschützt werden soll – was viel wichtiger ist, als neuen zu pflanzen –, geht das nur per Abkehr von der ressourcenintensiven Wachstumswirtschaft: von der Massenproduktion der Fleisch- und Lebensmittelindustrie, vom Individualverkehr, von schwedischen Wegwerfmöbeln.

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