Zeugin der Anklage

Chodorkowski-Prozess Im derzeit laufenden zweiten Prozess gegen Michail Chodorkowski könnte erstmals eine Kronzeugin gegen den einstigen Öl-Tycoon aussagen. Sie heißt Swetlana Bachmina.

Vor wenigen Tagen hat die Duma in Moskau ein Gesetz verabschiedet, wonach Verurteilte, die sich bereit erklären, mit der Justiz zu kooperieren, mit Straferlass rechnen dürfen. Das klingt nach einer Kronzeugenregelung. Und Swetlana Bachmina, einst eine enge Vertraute des seit 2003 inhaftierten Unternehmers Michail Chodorkowski, könnte die erste prominenten Zeugin sein, bei der es zu einem solchen Deal kommt. Wird sich Bachmina darauf einlassen? Vor genau 24 Stunden wurde sie vorzeitig aus der Haft nach Hasue geschickt. Man könnte von einer Vorleistung sprechen.

Haft in der Frauenkolonie

Zur Geschichte des Falls, Swetlana Bachmina war am 7. Dezember 2004 von der Generalstaatsanwaltschaft in Moskau angeklagt worden, sich Aktiva des Ölunternehmens Tomskneft von umgerechnet mehr als 400 Millionen Euro angeeignet und Steuern hinterzogen zu haben. Obwohl das Management von Tomskneft die Anklage für unbegründet hielt, wurde Bachmina nach einem langen Prozess im April 2006 zu sieben Jahren Haft in einer so genannten Frauenkolonie verurteilt. Später gab es einen Straferlass, das Strafmaß wurde auf sechseinhalb Jahre gesenkt. Die oppositionelle Presse in Russland führte damals das harte Urteil darauf zurück, dass sich Bachmina geweigert habe, Aussagen zu machen, die ihren ehemaligen Chef Chodorkowski belasten konnten. Auch dem Öl-Tycoon und einstigen Chef des heute insolventen Ölkonzerns Yukos waren schließlich Steuerhinterziehung und Veruntreuungen in Milliardenhöhe zur Last gelegt – er wurde in einem ersten Verfahren zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Seither spaltet der Fall Chodorkowski die russische Gesellschaft. Der eine Teil unterstützt die exemplarische Bestrafung des Ex-Milliardärs, der andere sieht darin eine juristisch bemäntelte Revanche wegen Chodorkowskis politischen Ambitionen vor den Duma-Wahlen Ende 2003.

Besonders das Urteil gegen Bachmina, damals Mutter von zwei kleinen Kindern, die ihre Strafe in Mordwinien verbüßen musste, stieß bei Menschenrechtlern auf scharfen Protest. Sie verstärkten ihren Druck auf die Behörden und organisierten Mahnwachen, um den Richterspruch gegen Bachmina als politisch motiviert anzuprangern. Neue Hoffnungen keimten auf, als Dmitri Medwedjew 2008 zum Präsidenten gewählt wurde. Unter anderem wandte sich eine Mitschülerin Bachminas mit einem Gnadenappell an den neuen Staatschef und wies darauf hin, dass die beiden Söhne der Inhaftierten seit über drei Jahren ohne Mutter leben müssten. Auch Jelena Bonner, die Witwe von Andrej Sacharow, schloss sich der Bitte an, der Gefangenen Haftverschonung zu gewähren. Ein weiterer Vorstoß für die Begnadigung Bachminas war ein Gesuch bekannter russischer Künstler. Dieser Druck musste irgendwann zu Konsequenzen führen.

Dmitri Medwedjew hielt es für nötig, angesichts der Wirtschaftskrise und der Vorwürfe, in Russland werde die Meinung der Menschenrechtler überhört, in seinem Aufsehen erregenden Interview mit der oppositionellen Nowaja Gaseta vor zwei Wochen deutlich zu machen, er sei zu einem Dialog bereit. Zufall oder nicht, plötzlich fiel auch die Beurteilung des Verhaltens Bachminas in der Strafkolonie positiv aus. Nun freilich lautet die alles entscheidende Frage: Da Bachmina am 27. April tatsächlich begnadigt wurde, wird sie dann den Behörden verpflichtet sein und im derzeit laufenden zweiten Prozess gegen Chodorkowski aussagen? Als Zeugin der Anklage?

Keine Frage der Barmherzigkeit

Viel steht auf dem Spiel.Im schlimmsten Fall drohen Chodorkowski, dem unter anderem die Entwendung von russischem Erdöl im Wert von 25 Milliarden Dollar zur Last gelegt wird, eine 20jährige Haftstrafe. Der ehemalige Yukos-Chef erkennt seine Schuld in keinem der ihm zur Last gelegten Anklagepunkt an. Er gab aber inzwischen bekannt, dass er die Freilassung Bachmina begrüße, die Begleitumstände interessierten ihn nicht und blieben für ihn ohne Bedeutung. Ist es denkbar, dass sich Swetlana Bachmina vor ihrer gestrigen Freilassung damit einverstanden erklären hat, gegen Chodorkowski auszusagen? Für das Gericht ist sie zweifellos eine äußerst wertvolle Zeugin. Ihre Erklärungen könnten für das Urteil sogar entscheidend sein, was besonders die Staatsanwaltschaft hoffnungsvoll stimmt. Das politische Kalkül scheint offensichtlich. Mit Barmherzigkeit hat die Haftentlassung Bachminas wenig zu tun.

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