Prozess Ex-Bundespräsident Wulff pflegte ein enges Verhältnis zu Unternehmern und muss sich nun vor Gericht verantworten. Doch seine Nähe zur Wirtschaft ist kein Einzelfall
Im Mai 2001 war Eckart von Klaeden schon mal bei einer zwielichtigen Aktion ertappt worden. Damals tobte die Schwarzgeldaffäre um geheime CDU-Konten im Ausland, und Klaeden war als parlamentarischer Geschäftsführer der CDU Hals über Kopf nach Luzern gereist, um ein angeblich neu aufgetauchtes Bankdepot aus Helmut Kohls Zeiten zu identifizieren. Erst vor Ort stellte sich heraus, dass gar kein Konto existierte und die CDU einem Streich der Satirezeitschrift Titanic aufgesessen war. Als sich damals Titanic-Chefredakteur Martin Sonneborn in einem Luzerner Café an den Tisch von Klaedens setzte und die Charade enthüllte, kippte der sich vor Schreck ein Bier übers Chemisette.
Ob der CDU-Politiker jetzt wieder so schreckhaft reagiert hat, als die Berliner Staatsan
t, als die Berliner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Vorteilsnahme eröffnete, ist nicht bekannt. Von Klaeden war nach der Bundestagswahl als Staatsminister aus dem Kanzleramt ausgeschieden und als Lobbyist in den Daimler-Konzern gewechselt, wo er seit 1. November den Bereich Politik und Außenbeziehungen leitet. Die Ermittler prüfen nun, ob er schon im Kanzleramt rechtswidrige Außenbeziehungen zu Daimler unterhielt und dem Automobilbauer etwa bei Gesetzesinitiativen und Verordnungen direkt oder indirekt zu Diensten war.Der Vorwurf solcherart Interessenverquickung wird immer wieder erhoben, wenn Politiker aus Ämtern ausscheiden und sich hochdotierte Posten in der Wirtschaft sichern. Absprachen zwischen Unternehmen und Politikern aber sind juristisch schwer nachweisbar. Es bedarf schon hinreichend starker Indizien, um eine Vorteilsnahme und -gabe gerichtsfest nachzuweisen.Das zeigt die lange Liste der Politiker, die trotz geradezu dreister Berufswechsel ungeschoren davongekommen sind. Der ehemalige EU-Kommissar für Industrie und Telekommunikation, Martin Bangemann, gehört zu ihnen. Der Politiker, der auch einmal FDP-Chef war, nahm während seiner EU-Amtszeit 1999 einen Job beim spanischen Telekommunikationsunternehmen Telefónica an. Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) wechselte nach seiner Abwahl 2005 in den Dunstkreis von Gazprom: Seit Frühjahr 2006 ist er Aufsichtsratschef des Pipeline-Konsortiums NEGP, das die in seiner Regierungszeit beschlossene und geförderte Ostseepipeline betreibt. Der Grünen-Politiker Matthias Berninger, unter Rot-Grün Staatssekretär im Berliner Verbraucherschutzministerium, arbeitet seit Februar 2007 für den amerikanischen Nahrungsmittelkonzern Mars in Brüssel. Der 2010 aus dem Amt geschiedene hessische Ministerpräsident Roland Koch wurde Vorstandschef des Bau- und Dienstleistungskonzerns Bilfinger, der dem CDU-Politiker Großaufträge wie am Frankfurter Flughafen verdankt.Hässlicher ImageschadenIn allen diesen und noch weiteren Fällen gab es zwar öffentliche Aufregung und Schmähungen gegen die vermeintlich korrupten Politiker. Die Justiz aber fand keine Handhabe, mit der sich der Wechsel der ehemaligen Amtsträger in die Wirtschaft strafrechtlich ahnden ließ. Auch von Klaeden könnte also mit einiger Berechtigung darauf hoffen, dass höchstens ein hässlicher Imageschaden für ihn zurückbleibt, mit dem sich aber dank der Daimler-Courtage sicher gut leben ließe.Die Diskussion um den Fall Klaeden fällt zusammen mit dem Prozessbeginn gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff und seinen Gönner, den Filmproduzenten David Groenewold. Das Landgericht Hannover wird von kommender Woche an prüfen müssen, ob es sich bei den Zuwendungen, die Groenewold seinem Freund gewährte und die Wulff in Anspruch nahm, um Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme handelte.Bei dem Prozess geht es – legt man die oben beschriebenen Fälle als Maßstab an – um eine Kleinigkeit. Die Anklageschrift führt nur eine Summe von 753,60 Euro auf, mit der Groenewold seinen Politikerfreund gefügig gemacht haben soll. Ihr Ermittlungseifer in der Strafsache 4212 Js 27683/13 hat der Staatsanwaltschaft Hannover dann auch erstaunlich viel Kritik beschert. Die Medien, sonst stets vornweg mit dem Vorwurf, Politiker würden von einer zaghaften Justiz zu sacht angefasst, sahen plötzlich Wulff als Opfer entfesselter Ermittler. In der Süddeutschen Zeitung war die Rede von Maßlosigkeit aufseiten der Staatsanwaltschaft, von einem „Ermittlungsexzess“ und einer „dünnen Anklage“; die FAZ bescheinigte dem strafrechtlichen Vorwurf gegen den Ex-Präsidenten „geringes Gewicht“; und die Welt stellte gar die Frage, ob es „angesichts der winzigen Summe, um die es geht“, überhaupt eines langwierigen Gerichtsverfahrens bedarf.Mutige RichterDieses Verfahren aber wird zeigen, dass es eben um mehr geht als nur gut 750 Euro. Nämlich um eine von allen Beteiligten als normal empfundene Nähe zwischen Politik und Wirtschaft, in der gegenseitige Gefälligkeiten zur Regel gehören, um abseits eines öffentlichen Nutzens persönliche Vorteile zu erzielen. Wenn man so will, steht der Fall Wulff/Groenewold für das Anfangsstadium von Entwicklungen, die zu solchen Endpunkten wie Schröder/Gazprom, Koch/Bilfinger oder eben Klaeden/Daimler führen. Das Gericht in Hannover könnte, wenn es klug und mutig genug urteilt, solche geradlinigen Entwicklungen für die Zukunft zumindest erschweren.Mit ihrem Eröffnungsbeschluss hat die Kammer immerhin schon ein Zeichen gesetzt. Und zwar nicht nur damit, dass sie den ursprünglichen Bestechungsvorwurf der Staatsanwaltschaft auf Vorteilsgewährung und –annahme zurechtstutzte. Sie hat auch deutlich gemacht, dass sie den einzigen Verdachtsfall in der Anklage – das Sponsoring eines Oktoberfestaufenthalts in Höhe von 753,60 Euro – nur als Teil einer Kette von Zuwendungen Groenewolds an Wulff wertet, mit denen möglicherweise Erwartungen an politisches Handeln verbunden waren.So wird es im Prozess zwar vorrangig, aber eben nicht nur um jenen gemeinsamen München-Trip von 2008 gehen. Vom 26. bis 28. September 2008 hatten Wulff – damals niedersächsischer Ministerpräsident – und seine Frau Bettina im Bayerischen Hof genächtigt, einem Fünf-Sterne-Hotel. Für zwei Nächte in der Juniorsuite bezahlte Wulff per Kreditkarte 577,90 Euro. Was er angeblich erst vier Jahre später erfahren haben will – die Juniorsuite war tatsächlich 400 Euro teurer, das Upgrade hatte diskret sein Freund Groenewold übernommen. Aus Freundlichkeit, wie der Filmunternehmer es später darstellte, und weil es ihm peinlich gewesen sei, dass der Trip teurer geworden war als von ihm in Aussicht gestellt. Nach Rechnung der Staatsanwaltschaft hat Groenewold zudem weitere Kosten des Oktoberfestausflugs in Höhe von rund 360 Euro, unter anderem für die Bewirtung der Wulffs im Käfer-Festzelt auf der Wiesn, übernommen.Das Gericht sieht darin eine Vorteilsgewährung, auch wenn das Sponsoring nicht an eine konkrete Diensthandlung geknüpft ist, die Wulff quasi als Gegenleistung kurz danach erbrachte. „Ziel der Vorteilszuwendung muss nur sein, Einfluss auf die nicht notwendig konkretisierte künftige Dienstausübung zu nehmen oder die vergangene Dienstausübung zu honorieren“, heißt es im Eröffnungsbeschluss der Kammer. Dazu könne es ausreichen, „dass der Wille des Vorteilsgebers auf ein generelles Wohlwollen des Vorteilsnehmers bei zukünftigen Entscheidungen gerichtet ist“.Tatsächlich gab es zwischen Wulff und Groenewold seit ihrem Kennenlernen 2003 eine ganze Reihe von dienstlichen und geschäftlichen Berührungspunkten, bei denen dem Unternehmer das Wohlwollen des Ministerpräsidenten hätte zugute kommen können. Mal ging es um eine Gesetzesinitiative zur Filmfinanzierung, mal um die Förderung eines von Groenewold mitfinanzierten Filmprojekts durch das Land Niedersachsen oder eine Landesbürgschaft für eine Firma, in der der Unternehmer zeitweise Geschäftsführer war. Auf der anderen Seite listet das Gericht in seinem Beschluss mehrere Vorgänge aus den Jahren zwischen 2005 und 2008 auf, die als Vorteilsgewährung durch Groenewold gewertet werden könnten: Einladungen Wulffs zu sogenannten „Abenden unter Freunden“ auf der Berlinale, die Begleichung der Kosten eines Abendessens des Ehepaars und seiner Personenschützer in Berlin sowie weitere acht gemeinsame Restaurantbesuche auf Sylt und auf Capri, bei denen jeweils Groenewold die Zeche zahlte.Zwar räumt die Kammer ein, dass sich aus dem anfangs geschäftlichen Verhältnis zwischen den beiden Angeklagten über die Zeit hinweg eine Freundschaft entwickelte und auch Wulff – wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß – seinem Freund Vorteile in Form etwa von Essenseinladungen und Geschenken gewährte. Dennoch bleibe der hinreichende Verdacht, dass die finanzielle Zuwendung durch Groenewold beim Oktoberfestwochenende „für die Dienstausübung“ im Allgemeinen gedacht war.Die Berliner Staatsanwaltschaft dürfte sehr genau hinschauen, welchen Maßstab das Gericht in Hannover an den Umgang zwischen Unternehmern und Politikern anlegen wird. Davon könnte abhängen, wie engagiert sie ihre Ermittlungen gegen den frischgebackenen Daimler-Manager Eckart von Klaeden führt.
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