Das Treffen mit Peter Morgan kurz vor Weihnachten in Wien hat leicht kafkaeske Züge. Der britische Theaterschriftsteller und Drehbuchautor wohnt im Palais Schwarzenberg. Das ist aber ziemlich groß. Und das zum Palais gehörige Hotel eigentlich geschlossen. Nach einem Anruf öffnet Morgan selbst ein breites Eisentor und bittet in einen zur Wohnung umfunktionierten Seitentrakt des Hotels. Morgan, Jahrgang 1963, ist mit Lila Schwarzenberg verheiratet, mit der er auch vier Kinder hat. Der kurz einmal erwogene Umzug nach Österreich kommt für den Sohn eines deutschen, vor den Nazis geflohenen Juden und einer Polin vorerst dennoch nicht in Frage. Morgan ist als Autor zurzeit dermaßen beschäftigt, dass Wien etwas zu sehr abseits des Film-Business läge. Neben seinem ersten Theaterstück ("Frost/Nixon") schrieb Morgan zuletzt das Drehbuch zu The Last King of Scotland (2006, Regie: Kevin Macdonald) und eben für Stephen Frears´ The Queen, mit dem er schon bei der britischen TV-Produktion über Blairs erste Wahl zum Premierminister, The Deal (2003) zusammengearbeitet hat.
FREITAG: Weiß man überhaupt, wie es in Buckingham Palace aussieht?
PETER MORGAN: Von den Staatsräumlichkeiten gibt es offizielle Fotos, aber nicht von den Privaträumen. Die Designer haben mit Leuten zusammengearbeitet, die vertraulich mit uns kooperiert haben - Sie können sich also darauf verlassen, dass es ziemlich authentisch ist.
Sie hatten also Ihre Spione?
Natürlich!
Es heißt, dass sich die königliche Familie in keiner Weise kooperativ gezeigt hätte. Haben Sie das denn erwartet?
Ich hätte natürlich nie erwartet, dass sie Interviews geben würden. Ich habe mich darauf bezogen, dass wir auf keinem ihrer Grundstücke filmen konnten, und die ganze schottische Aristokratie hat uns auch den Zugang zu ihren Besitztümern verweigert, weswegen es sehr, sehr schwierig war, überhaupt Drehorte zu finden. Zum Glück gab es zwei Anwesen bei Balmoral (Sommersitz der Royal Family, Red.), die sich mittlerweile in öffentlichem Besitz befinden. Also haben wir die Küche des einen Hauses verwendet, die Auffahrt des nächsten - wir sind wie die ewigen Juden durch Schottland gezogen.
Diese Verweigerung hat aber nicht damit zu tun, dass Stephen Frears oder Sie so einen schlechten Ruf hätten?
Nein, überhaupt nicht! Stephen hätte es wohl ganz gerne, wenn er das Image eines Banditen genösse, aber das ist er nicht. Er ist ein sentimentaler alter Linker.
Wie kommt so jemand auf diesen Stoff?
Stephen und ich kommen ja - so wie alle aus meiner Sicht interessanten Autoren, also Leute wie Alan Bennett oder David Hare - aus der großen englischen Tradition des Fernsehspiels. Das ist meines Erachtens auch die spannendste Möglichkeit, weil da Filme über den Zustand der Nation von einem erwartet werden. Die Queen handelt von einer Frau, die die Welt, in der sie lebt, nicht mehr versteht. Ein ziemlich sentimentaler Stoff also, selbst wenn man der Monarchie gegenüber kritisch eingestellt ist. Interessanterweise denkt jeder, wir hätten bewusst versucht, der Queen gegenüber Sympathie aufzubringen. Wenn sie den Film aber analysieren, dann zeigt er die Königin in einem ganz anderen Licht: Zu Beginn ist sie arrogant, gönnerhaft, kaltherzig, stolz, stur, eine schlechte, sehr distanzierte Mutter, und am Ende ist sie gedemütigt und lässt jegliche Großzügigkeit vermissen.
Das sind alles Dinge, die ihr persönliches Drama zeigen. Inwieweit lässt es sich denn als politische Aussage werten?
Wenn man über die Führer schreibt, kann man nicht über den Menschen schreiben, ohne zugleich etwas über die Institution zu sagen: Die Queen ist eben zugleich Elisabeth Windsor und die Krone. Ähnliches gilt für Tony Blair: Er ist ein Mensch, aber auch die Regierung.
Besteht die Tragödie beider nicht darin, dass sie ein enormes Maß an Rollendisziplin aufbringen müssen und nicht einfach "sie selbst" sein können? Es gibt ja diese eine Szene, in der die Queen davon spricht, dass sie eigentlich immer nur das erfüllt hat, was von ihr erwartet wurde - oder von dem sie glaubte, dass es von ihr erwartet wird.
Diese Szene ist erst ganz am Ende nachgedreht worden und die einzige, die nicht unmittelbar meinem Drehbuch entstammte, sondern von einem Kollektiv geschrieben wurde: Der von Ihnen angesprochene Satz stammte von Helen Mirren, der Satz über ihr Mädchendasein vom amerikanischen Produzenten, das Angebot von Tony Blair, ihr bei der "Modernisierung" zu helfen, stammt von Stephen Frears und die Antwort, er solle sich da nicht übernehmen, wieder von mir. Ich habe diese Szene gehasst!
Warum haben Sie sie dann doch hinein genommen?
Weil ich die Einschätzung teilte, der Filme benötigte noch etwas Zusätzliches. Ich fand es nur etwas überartikuliert. Die große Mehrheit aber hatte das Gefühl, dass der Film dadurch um einiges emotionaler wird. Man kriegt schon ein Gefühl dafür, dass hier jemand um sein Leben betrogen wurde. Wir nannten die Szene dann den "Helen-Award-Moment" - obwohl sie ihre Preise vermutlich auch so gewonnen hätte.
Haben Sie eine solche Performance von Helen Mirren erwartet?
Nein! Ich war ein bisschen nervös, jemand wie Judi Dench wäre die offensichtliche Wahl gewesen. Ich dachte: Es ist zumindest was anderes. An den ersten Drehtagen war ich etwas besorgt, weil ich fand, dass Helen ein bisschen verhungert aussah: die Königin auf Atkins-Diät. Aber nach einer Woche geschah das, was bei wirklich, wirklich großen Schauspielern passiert: Sie verändern sich physisch und sehen aus wie die Person, die sie darstellen. Das klingt alles ziemlich verrückt und ein bisschen prätentiös, aber es ist wirklich wahr. Zu Beginn sagte am Set noch jeder "Hallo, Helen, wie läuft´s?", und nach einer Woche standen alle grade und witzelten verlegen: "Natürlich ist sie Ihre Majestät." Den Umstand, dass man einen Film über die Queen im Nachthemd drehte, empfanden sie irgendwie als Verrat.
"Die Queen" zeigt durchaus auch Sympathien für Tony Blair, der den Zenit seiner Popularität ja schon vor langem überschritten hat. Hier aber macht er seine Sache eigentlich ziemlich gut.
Das hat er ja auch. Es wäre total unehrlich und unverantwortlich, Pointen herauszuschlagen, indem man den Blair von heute auf den damaligen projiziert. Wenn man eine Geschichte darüber machen will, das Blair nicht alle Tassen im Schrank hat, würde das natürlich klaglos funktionieren - aber nicht über seine Anfangszeit als Premierminister, als er für die meisten einfach der Messias war.
Das große Mysterium ist ja, warum Blair sich die Rettung der Monarchie zur Aufgabe macht.
Zum einen ist Blair viel konservativer als man gemeinhin annimmt, also ist es nur logisch, dass er der Monarchie zur Hilfe eilt. Zum anderen ist die Queen genau so alt wie Blairs verstorbene Mutter, der er sehr ergeben war. Ihr nicht beizustehen muss Blair also fast wie ein Muttermord vorkommen.
Haben Sie mit Frears darüber psychologische Diskussionen geführt?
Oh, ja. Aber auf eine sehr englische Art. Er sagt etwa: "Quite Freudian, isn´t it?" Und ich darauf: "Yes."
Sogar mit Charles hat man irgendwie Mitleid. Er fühlt sich so sichtlich unwohl. Nur Prinz Philip ist einfach ein Arschloch.
In den USA hatten einige Zuseher offenbar den Eindruck, dass er ein sehr loyaler Gatte ist, ein Fels in der Brandung. Man kann ihn aber auch als Witzfaschisten betrachten. Mit Charles ist es ähnlich: Einige fanden ihn sehr verständnisvoll dargestellt, andere unglaublich bösartig. In Wirklichkeit bringt das Publikum seine jeweils ganz persönlichen Projektionen mit.
Gibt es für Sie so etwas wie eine konsistente Lesart der Figuren? Entwickeln Sie ein Verhältnis zu ihnen, etwa in dem Sinne, dass Sie sie zu mögen beginnen ...
Charles war ein Problem für mich. Über ihn haben sich Stephen und ich am meisten gestritten. Er wollte mehr Charles, ich wollte weniger - weil sich das eigentliche Drama meines Erachtens zwischen Blair und der Queen abspielt. Stephen wollte immer noch eine zusätzliche Schicht, er wollte es noch komplexer und mehr als "Kammerstück" (dt. im Original, Red.) haben. Ich war immer eher nervös, sobald es um den Haushalt der Royals ging, weil ich vermeiden wollte, dass das Publikum in ein Look-Alike-Drama verstrickt wird. Es sollte lieber Einsicht in Machtstrukturen gewinnen.
Michael Sheen hat sich ja schon in "The Deal", Ihrer ersten Arbeit mit Stephen Frears, als Blair-Darsteller bewährt. Wie gefällt Ihnen seine Vorstellung in dem Film jetzt?
Für mich ist er der technisch versierteste Schauspieler überhaupt. He doesn´t need Proben. Er kommt am ersten Tag an den Set und weiß alles. Er spielt in dem Stück, das ich jetzt geschrieben habe, und er wird auch in meinen beiden nächsten Filmen dabei sein. Michael ist einfach der, für den ich schreibe.
Es gibt im Film ein paar Szenen, die an der Grenze sind. Etwa wenn Blair mit der Queen telefoniert und dabei ein Fußball-T-Shirt trägt, auf dem sein Name steht ...
Über die haben wir auch lang diskutiert! Wir wissen, dass Kevin Keegan ihm dieses Newcastle-Shirt geschenkt hat, wir haben Fotos davon - aber wenn er es im Film anhat, so ist das einfach lächerlich. Übrigens war auch das eine Szene, wo wir nachdrehen mussten. Stephen fragte: "Rosa Shirt oder Fußballshirt?" Ich sagte: "Rosa Shirt." Als ich schließlich die Muster sah, hatte Blair das Fußballshirt an. Mittlerweile bereuen wir´s beide, aber die Leute lachen jedes Mal!
Einen guten Lacher soll man nicht verachten.
Absolutely. Don´t waste a joke, never!
Sie haben sich ja früher schon mit gekrönten Häuptern beschäftigt, waren einer der Skript-Doktoren bei "King Ralph" mit John Goodman.
Bitte verzeihen Sie mir, wir müssen alle unsere Butter aufs Brot verdienen und Dinge tun, auf die wir nicht unbedingt stolz sind. Aber in Österreich und Deutschland hat King Ralph sein Publikum gefunden - im Rest der Welt muss ich immer so tun, als wäre das alles nicht passiert.
Was sind Ihre nächsten Projekte?
Ich schreibe gerade an einem Film über die Gespräche, die David Frost 1977 mit Richard Nixon geführt hat. Und dann mache ich noch einen weiteren Film mit Stephen, über einen berühmten englischen Footballmanager, der Alkoholiker war und schlichtweg durchgeknallt. Das wird ein wirklich interessanter Film - schwarzweiß, ganz im Stil der Working-Class-Dramen der sechziger Jahre wie Saturday Night and Sunday Morning -, der so ziemlich genau das Gegenteil von dem zeigt, was Fußball heute ist: Keine metrosexuellen Weicheier, die sich ihre Brust harzen lassen, sondern Kicker, die geraucht und getrunken und sich geprügelt haben.
Heute sind die Sportler sehr zahm und langweilig geworden.
Niemand sagt mehr irgendwas, das gilt für Politiker genauso wie für Fußballer oder Manager. Jeder eiert nur mehr herum: "Ja, das war ein interessantes Spiel, wir haben 0:9 verloren, aber ich gebe da niemandem die Schuld." Damals, in den Tagen der "Pre-Spin-Ära", wäre das undenkbar gewesen. Ich habe mir etliche Fernsehinterviews aus den siebziger Jahren angesehen, die sind unglaublich: "Meine Mitspieler widern mich an, das sind alles bloß Wichser!" Es hat außerdem noch nie einen guten Film über Fußball gegeben. Wir werden keine Spielszenen zeigen, sondern uns ganz auf das Training und den Manager konzentrieren - den natürlich wieder Michael Sheen spielt, der Fußballer war, bevor er Schauspieler wurde.
Das Gespräch führten Klaus Nüchtern und Michael Omasta
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