Zirkus mit einem Unbekannten

Ausstellung Alfred Otto Wolfgang Schulze war arm, aber ein durchaus bekannter Künstler unter dem Namen Wols. Die Bremer Weserburg widmet ihm eine Ausstellung: "Circus Wols"

Alfred Otto Wolfgang Schulze stirbt am 1. September 1951 in Paris, an einer Lebensmittelvergiftung. Er ist 38 Jahre alt. Das Pferdefleisch, das er Tage zuvor gegessen hat, ist verdorben gewesen, die Ärzte missdeuten seine Beschwerden. Zum Sterben sucht Schulze ein Luxushotel auf. Seine Leiche wird, wie die Abfälle, durch den Hinterausgang entfernt.

Schulze war arm, aber ein durchaus bekannter Künstler unter dem Namen Wols. Wols – das war, was die französischen Telegrafinnen von seinem bürgerlichen Namen übriggelassen hatten. Schulze trug diesen Namen gern, weil Bürgerlichkeit ihm zuwider war. Der verstümmelte Name passte zu dem Elend, in dem er lebte; seinem grotesken Tod ging ein Leben voller Entbehrungen voraus, einige Male saß er im Gefängnis, der Alkoholismus ruinierte seinen Körper. Jean-Paul Sartre nannte ihn „armen Teufel“, „herrliche Termite“ und „grausamen Invaliden“. Und beglich, wenn es nötig war, seine Hotelrechnungen.

Die Bremer Weserburg widmet dem Künstler Wols, der sich im Kreise der Surrealisten in Paris herumtrieb und heute als Vorläufer informeller Malerei gefeiert wird, nun eine Ausstellung. Von einer Werkschau oder Retrospektive kann allerdings nicht die Rede sein. Kuratiert wurde die Schau vom Bildhauer Olaf Metzel, einem radikalen Künstler, der in seinen Arbeiten einen explizit politischen Ansatz verfolgt.

Anstelle einer Wols-Ausstellung hat Metzel einen Circus Wols errichtet. Neben frühen fotografischen Arbeiten, Aquarellen, Tuschezeichnungen und Öl-Bildern des 1932 nach Frankreich emigrierten Deutschen, hat Metzel 50 weitere Künstler in die Ausstellung geholt. Einen „Parcours zum Flanieren“ nennt er selbst seine Ausstellung. Neben Wols gehören gehören Künstler wie Paul Klee, Asger Jorn und Louise Bourgeois dieser Strecke an. Die Verbindungen einiger dieser Namen zu Wols erschließen sich sofort, andere bleiben rätselhaft. Erklären will die Ausstellung nichts, es gibt einen Banjospieler, aber keinen Audioguide. Der Künstler Metzel wollte kuratieren, wie er Kunst macht: intuitiv, nicht völlig auflösbar.

Drogenerfahrungen

Einen Akzent setzen die kleinformatigen Aquarelle und Tuschezeichnungen, die Wols in den späten dreißiger und frühen vierziger Jahren angefertigt hat. Er folgte hier der Praxis des automatischen Malens, einer Technik, mit der die Surrealisten dem Unbewussten Ausdruck zu verschaffen suchten. Unter dem Einfluss von Drogen und Alkohol zog Wols mit der Feder filigrane Linien über wasserfarbgrundierte Papierbögen. Diese Linien addieren sich zu Landschaften, Stadtgebilden oder abstrakten Strukturen, in denen man sich trotz der kleinen Formate schnell verlieren kann.

Eine Verbindung, die offensichtlich ist, unterhält Wols zu den feinen „Mescalinzeichnungen“ von Henri Michaux aus den späten fünfziger Jahren, für deren Entstehung ebenfalls Drogenerfahrungen eine Rolle gespielt haben. Oder die nass auf nass aquarellierten Frauenportraits von Marlene Dumas, in denen der Einsatz der Wasserfarbe auf Wols verweist.

Neben handwerklichen Fragen ist es zuerst die Haltung, die Metzel interessiert. Dann sieht man Wols in der Linie mit Revolutionären wie Guy Debord, Constant und Dieter Roth. Und schließlich platziert sich der Kurator selbst im Circus Wols: bescheiden, weil indirekt, mit einem Foto, auf dem der Maler Raymond Hains eine Brezel als Maske benutzt.

Circus Wols. Eine Hommage. Weserburg, Bremen. Bis 28. Mai. Katalog 28

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